The year Grunge broke – vor zwanzig Jahren erschien „Smells Like Teen Spirit“.
Foto: Krist Novoselic Collection
Ende August 1991, es war die Must-see-Tour des Jahres, zumindest für alle, die irgendetwas auf ihren musikalischen Sachverstand hielten: Sonic Youth in Europa. Die Avantgarde-Noiserocker waren auf dem vorläufigen Peak ihres Schaffens, ihre Konzerte das Nonplusultra des Alternative Rock – was damals kein Mensch so nannte, das richtige Regal dazu im WOM war „Wave“ – jedes eine Art neues Statement zur Lage der Gitarrenmusik, nachdem doch schon damals alles gesagt schien. Zwei Wochen zogen sie über Festivals und durch ein paar Clubs. Wer in einem davon war, schwärmt heute noch. Und die Vorband? „Kannste vergessen, nur Chaos, totales Getrümmer.“ Musste man halt ertragen, wenn man Sonic Youth sehen wollte. Durchgeknallte Freaks. Nirvana.
Einen Tag, bevor Nirvana nach London flogen, um mit Sonic Youth auf Tour zu gehen, hatten sie einen Videoclip für ihre neue Single gedreht. Der Song dazu fiel auf den Konzerten nicht weiter auf, es war ein weiterer dieser auf der Bühne unerbittlich losbrechenden, enorm lauten und irgendwie kaum strukturiert wirkenden Brachialstücke, bei denen man sich nie sicher sein konnte, ob der Sänger – auch den Namen Kurt Cobain kannte natürlich noch niemand wirklich – eigentlich mit Absicht oder aus Versehen gefährlich nah am Bühnenrand taumelte oder auch mal ins Schlagzeug sprang. Dokumentiert ist diese Tour im – schon bei Erscheinen 1993 legendären – Film „1991: The Year Punk Broke“, aufgenommen mit der Super 8-Kamera des Sonic Youth-Freundes Dave Markey. Immer nah dran war der, es gab keine Berührungsängste, keine Inszenierung für die Kamera, kein Verstecken. Und wann auch immer Kurt Cobain im Bild war, konnte man ihn lächeln sehen. Ein fröhlicher, unbeschwerter Typ im Pullover, so schien es, unterwegs mit Freunden, um Musik zu spielen und gemeinsam abzuhängen, Rock’n’Roll in seiner schönsten Form.
1991: The Year Punk Broke (Trailer)
Am 10. September 1991 erschien „Smells Like Teen Spirit“, gedacht als Wegbereiter für das 14 Tage später kommende Album „Nevermind“. Chancen auf einen breiten Widerhall rechnete man sich gar nicht erst aus, dafür war später das deutlich gefälligere „Come As You Are“ eingeplant. Aber Collegeradios und einige Rockstationen brachten den Ball ins Rollen. „Die Kids hörten es im Radio und zogen aus wie die Lemminge, um die Single zu kaufen“, erzählte Manager Danny Goldberg drei Jahre später dem Nirvana-Biografen Michael Azzerad. Es dauerte dann noch einige Zeit, bis um die Jahreswende dann auch jeder begriffen hatte, dass ab sofort Grunge – so hieß der Stil zum Song – das next big thing war. Der Rest ist Rockhistorie. „Smells Like Teen Spirit“ wurde der unbestritten wichtigste Song des Jahrzehnts, unzählige Preise sammelte er bis heute ein, das dazugehörige Highschool-Video – eine deutliche Referenz an die Ramones – dürfte bis heute das meistgespielte bei MTV sein.
Nirvana – “Smells Like Teen Spirit”
Mehr Videos von Nirvana gibts auf tape.tv!
Nirvana wurden aus dem Stand weg Superstars, jede Plattenfirma versuchte händeringend, auch noch irgendeine Band unter Vertrag zu nehmen, die „Grunge“ oder wenigstens noch „Seattle“ war. Und Seattle, die Heimat der bekanntesten aller dieser Bands, wurde im Handumdrehen von der Dauerregen-Hinterwäldler-Metropole kurz vor Twin-Peaks-Country zur Welthauptstadt der Jugendkultur. Inklusive zerrissener Jeans, Holzfällerhemden und schmieriger langer Haare. Bis heute hält sich das Nirvana-Shirt in der Kleiderordnung von Studentendiscos ganz oben – gleich neben Jim Morrison– und Che Guevara-Konterfeis.
Der Hype war mörderisch. Die Grunge-Szene – es gab wirklich eine, auch und vor allem in Seattle – brach innerhalb der Folgejahre praktisch zusammen. Die wirklich wichtigen Veteranen der Szene – Tad, Screaming Trees oder Mudhoney – konnten nicht mithalten mit dem Erfolg der auf Massenappeal getrimmten Showbands wie Alice In Chains oder dem des weniger dreckigen Emo-Rock der Pearl Jam. Wie eng Nirvana mit dem Underground der Ära bis dato verbunden waren, zeigt noch die Anekdote zur Titelfindung von „Smells Like Teen Spirit“. Die befreundete Bikini Kill-Sängerin Kathleen Hanna – eine Ikone des Riot Grrrl Movement – hatte den Spruch nach einer Partynacht an Cobains Wand gesprüht. Der hielt das für rebellisch – gemeint war allerdings der abgefärbte Geruch von Cobains damaliger Freundin, „Teen Spirit“ war eine Deo-Marke.
Foto: Chris Cuffaro
Es gibt viele hässliche Geschichten über das Auseinanderbrechen von Bands, Freundschaften, über das Scheitern von Labels oder Lebenswegen aus dieser Zeit. Am hässlichsten ist die von Kurt Cobain selbst, der am wenigsten von allen Beteiligten mit dem Superstardom zurecht kam. Keine drei Jahre nach „Smells Like Teen Spirit“ griff er zur Schrotflinte. Lächeln sah man ihn vorher nur noch selten. Dazu muss man in die Ära vor dem Hit zurückgehen. „1991: The Year Punk Broke“ war lange vergriffen und erscheint in dieser Woche erstmals auf DVD.
Augsburg
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