Sieht man mal von seiner blank rasierten Glatze ab, ist Ed Kowalczyk ein unverbesserlicher Hippie geblieben. Diese Milde. Diese Aura von Love and Peace. Dieser fast schon Budda-mäßige Langmut mit der er zum x-ten mal Fragen zu ‘Throwing Copper’ beantwortet. Nein, er sei nicht der Meinung, dass ihr 94er Erfolgsalbum das Beste sei, was sie je produziert hätten. Ja, die Verkaufszahlen hätten damals jeden vernünftigen Rahmen gesprengt (Zwölf Millionen verkaufte Platten! 27 Mal Platin!). Ja, auf der Platte waren viele tolle Songs. Nein, das würde aber nicht bedeuten, dass sie damals schon ihr gesamtes kreatives Pulver verschossen hätten. Und so weiter, und so weiter.
Der Mann ist mit durchschaubar provokanten Fragen einfach nicht aus der Ruhe zu bringen.
“Natürlich sagen viele, ‘Throwing Copper’ sei unser bestes Album, weil es sich am besten verkauft hat. Aber es war auch eine Phase der Musikgeschichte, in der man sehr offen für Rock-Musik war, die unkonventionell war und die Grenzen auslotete. Die frühen Neunziger waren einfach eine sehr aufregende Zeit für die Musik allgemein”

Und die Musik von Live passte einfach auf diese Zeit wie der Arsch auf den Eimer. Farbenprächtiger, emotionaler Rock. Pathetisch und lebensbejahend bis an die Schmerzgrenze und ohne Angst vor ganz großen Gefühlen. Live 1994 waren zwar unfassbar gut – aber aus heutiger Sicht, wo Style und Pose alles sind, auch unfassbar uncool.
Und sich mit einem Image als unzeitgemäße Rock-Antiquität auf Dauer zu arrangieren, ist verdammt schwierig. Die Nachfolgealben klangen entsprechend wie der Versuch, sich krampfhaft musikalisch von ‘Throwing Copper’ zu emanzipieren. ‘Secret Samadhi’ nervte mit buddhistischen Lyrik-Geschwurbel und ‘V’ mit unnötig experimenteller Instrumentalisierung.

Spätestens mit dem 2003er ‘Birds Of Prey’ haben die Jungs dann aber wohl eingesehen, dass Weiterentwicklung kein Selbstzweck ist. Seitdem besinnt sich die Gruppe wieder auf alte Stärken. Kraftvolle Riffs, Schlagzeug-Knalleffekte und die altbekannten Crescendopassagen, in denen sich Eds Stimme in Ungeahnte Höhen aufschwingt und dem Hörer einen ganzen Ameisenstaat den Rücken runterkrabbeln lässt. Die aktuelle Scheibe ‘Songs From Black Mountain’ ist insofern vor allem eine Fortsetzung dieses Rückbesinnungsprozesses.
Ed: “Gitarre, Vocals, Schlagzeug, Bass – Wir wollten es so rein und direkt wie möglich machen. Das ist ein fortlaufender Prozess des Entschlackens und Vereinfachens. Und je älter und ‘weiser’ wir werden, desto mehr versuchen wir uns auf das zu konzentrieren, was wir am besten können.” Lieber etwas altbacken klingen als schlecht, scheint die Devise zu sein. Eine gute Entscheidung. Der Sound von Live im Jahre 2006 ist der Energie von damals dadurch wieder näher als je zuvor. Pathetisch? Klar! Peinlich? Vielleicht ein bisschen. Aber vielleicht gerade deswegen wieder verdammt gut!

Text: Matthias Pflügner