Oasis sind die Brüder Liam und Noel Gallagher plus ein paar wechselnde, eigentlich egale Mitmusiker – so die Meinung der meisten durchschnittlichen Musikinteressierten, aber auch vieler Anhänger. Denn das Medien- und Faninteresse konzentriert sich von Anfang auf die beiden Geschwister, die sich so öffentlichkeitswirksam wie unterhaltsam selbst loben, streiten, prügeln und über andere Bands herziehen.
Die Geschichte von Oasis beginnt 1991 in Manchester, genauer gesagt im Arbeiterviertel Burnage. Paul Hutton (Gesang) gründet mit Paul „Bonehead“ Arthurs (Gitarre), Paul „Guigsy“ McGuigan (Bass) und Tony McCarroll (Drums) die Band The Rain. Da die restlichen Mitglieder aber unzufrieden mit Hutton sind, wird er bald als Sänger von Boneheads Kumpel, dem 19-jährigen Liam Gallagher, abgelöst. Dieser schlägt kurz darauf die Namensänderung in Oasis vor. Ihr erstes Konzert spielt die Band im August 1991 im Boardwalk Club in Manchester. Unter den Gästen: Liams fünf Jahre ältere Bruder Noel, zu diesem Zeitpunkt Roadie bei den Inspiral Carpets. Der zeigte sich von der Show und den Songs nicht besonders beeindruckt, so dass er mit einem Angebot an die Gruppe herantritt: Er wird der alleinige Songwriter und Bandleader von Oasis. Dafür wird sich der Band eine ernsthafte Chance auf kommerziellen Erfolg eröffnen. Doch selbst in seinen kühnsten Träumen wird Noel nicht damit gerechnet haben, was in den nächsten Jahren folgen sollte.
Er hat in seiner Zeit als Roadie viele Songs geschrieben, die er nun mit Oasis an die Öffentlichkeit bringen will. Diese beruhen auf einer einfachen Grundregel: Simplizität. Gitarren, Bass und Schlagzeug spielen einfache Akkorde bzw. Rhythmen, dazu singt Liam Noels brillante, Identifikation stiftende Texte, was eine infektiöse, fast unaufhaltsame Mischung ergibt. Schon bei den ersten Songs zeigen sich klar die Vorbilder der Band: Rolling Stones, Kinks, Stone Roses, T.Rex, Who, Sex Pistols. Und natürlich die Beatles, die von den Gallagher-Brüder immer wieder als größter musikalischer Einfluss genannt werden.
Nach einem Jahr, das Oasis hauptsächlich mit Proben, Konzerten und Demoaufnahmen verbringen, kommt im Mai 1993 der Durchbruch: Alan McGee, Mitbesitzer des Indie-Labels Creation Records, sieht die Band bei einem Konzert im Glasgower Club King Tut’s Wah Wah Hut und zeigt sich so beeindruckt, dass er vier Tage später einen Plattenvertag mit ihnen abschließt. Wegen Lizenzierungsproblemen in Amerika schließen Oasis einen weltweiten Deal mit Sony ab, der das Quintett im Gegenzug an Creation für Großbritannien sublizenziert.
Die erste Single „Supersonic“ wird im April 1994 veröffentlicht und erreicht Platz 31 in den UK-Charts. Nach einer weiteren Single „Shakermaker“ ist es der Song „Live Forever“, der als erster die Top Ten knackt. Das Album-Debüt „Definitely Maybe“ kommt im September 1994 heraus und geht direkt auf Platz eins. Es trifft perfekt den damaligen britischen Zeitgeist und findet vor allem bei den „Lads“ großen Anklang. Die Songs handeln von Themen wie Eskapismus und Arbeitsmüdigkeit (gerade nach jahrelangem Regieren der konservativen Tories ein beliebtes Thema), Zigaretten, Alkohol und Drogen, dem Wunsch nach einem besseren Leben und natürlich Mädchen. Doch diese „normalen“ Themen der Rockmusik werden in ungewöhnliche Bilder gepackt, die doch Jede/r sofort versteht. Zeilen wie „I’m feeling supersonic, give me gin and tonic“ oder „Tonight I’m a rock’n’roll star“ sind mit der Zeit sogar als geflügelte Wörter in den englischen Sprachgebrauch übernommen worden. „Definitely Maybe“ wird das bis dato am schnellsten verkaufte Debütalbum aller Zeiten in Großbritannien. Bereits zu diesem Zeitpunkt sorgt die Band mit ihrem wilden Lebenstil für Schlagzeilen, inklusive Alkohol- und Drogeneskapaden. Zu Weihnachten veröffentlicht das Quintett die Single „Whatever“, die auf Platz drei der Charts einsteigt.
Die erste Nummer eins schaffen Oasis im April 1995 mit „Some Might Say“, der Vorab-Single zum zweiten Album. Zur selben Zeit wird Tony McCarroll aus der Band geworfen, laut Noel wegen „zu geringer musikalischer Fähigkeiten.“ Er sei nicht in der Lage, die Drums für die neuen Songs zu spielen. Auf Empfehlung von Paul Weller wird Alan White der neue Schlagzeuger von Oasis und nimmt im Mai gleich an den Aufnahmen von neuem Material in den Rockfield Studios teil. Zur selben Zeit wird auch von der englischen Regenbogenpresse der „Battle Of BritPop“ mit Blur ausgerufen. Hintergrund: deren „Country House“ soll ebenso wie Oasis’ neue Single „Roll With It“ am 14. August 1995 veröffentlicht werden. Am Ende gewinnen Blur die Schlacht mit 274.000 zu 216.000 Verkäufen in der ersten Woche. Wenige Wochen später lässt Noel in einem Interview mit dem Observer verlauten, dass er hoffe, dass Blurs Damon Albarn und Alex James „AIDS bekommen und sterben.“ In einem Brief entschuldigt er sich wenig später für diese Aussage. Im September 1995 verlässt Bassist Guigsy kurzzeitig die Band wegen nervöser Erschöpfung und wird durch Scott McLeod ersetzt, der auch im Video zu „Wonderwall“ auftaucht. Nach wenigen Wochen schmeißt McLeod den Job jedoch wieder hin und Guigsy entschließt sich zu einer Rückkehr zu Oasis. Im selben Monat erscheint das zweite Album, „(What’s The Story) Monrning Glory?“. Bei seinem Erscheinen wegen des breiteren, orchestraleren Sounds nicht so gefeiert wie das Debüt, gilt es heute als das Opus Magnum der Band. Hymnen wie „Don’t Look Back In Anger“, „Morning Glory“ oder „Champagne Supernova“ (mit Gitarre und Background-Gesang von Paul Weller) gelten immer noch als einige der besten Songs von Oasis.
Ihre ersten großen Headliner-Open-Air-Gigs spielt das Quintett am 27. und 28. April 1996 in Maine Road, dem Fussballstadion des Lieblingsclubs der Gallagher-Brüder, Manchester City. Die Show wird später unter dem Titel „…There And Then“ als Video veröffentlicht. Am 10. und 11. August spielt die Band die bis dato größten Open-Air-Konzerte einer einzelnen Gruppe in Großbritannien vor 250.000 Zuschauern in Knebworth. Doch die Schwierigkeiten zwischen den Geschwistern sorgen auch weiterhin für Unruhe. Die Aufnahmen für eine Folge der MTV-Unplugged-Reihe in der Royal Festival Hall sagt Liam wegen angeblicher Halsbeschwerden ab, sieht sich die Show dann aber von einem Balkon aus mit Bier und Zigaretten an und stört mit Zwischenrufen. Als Noel ihn von der Bühne aus entdeckt, kann er seinen Ärger nur schwer verbergen. Vier Tage später begibt sich die Band auf Amerika-Tour – ohne Liam. Er stößt erst am 30. August wieder zur Band. Ein paar Wochen später fliegt Noel nach einem Streit nach Hause, was die Spekulationen um einen möglichen Split von Oasis anheizt. Doch die Brüder versöhnen sich bald wieder und beenden die Tour.
Ende 1996 und Anfang 1997 verbringen die Manchunians in den Abbey Road Studios und den Ridge Farm Studios, um ihr drittes Album aufzunehmen. Streitigkeiten zwischen den Brüdern und heftiger Drogenmissbrauch prägen die Sessions. Im August 1997 kommt „Be Here Now“ heraus, vorangegangen von der UK-Nummer-eins-Single „D’You Know What I Mean?“. Das Album gilt heute als das Musterexemplar der Arbeit einer Band, die mit zuviel Drogen und zuviel Geld die Zeit im Studio verbringt. „Be Here Now“ wird von Überproduktion und Songs geprägt, die selten die fünf-Minuten-Grenze unterschreiten. Trotzdem wurde es mit 696.000 verkauften Einheiten an den ersten Tagen zum schnellstverkauften Album der britischen Musikgeschichte. Doch die Kritiker wenden sich von der Band ab, da sie die hohen künstlerischen Erwartungen nicht erfüllt. Nach der desaströsen „Be Here Now“-Tour beschließt das Quintett, 1998 erst einmal auf Abstand zu gehen. Die einzige Veröffentlichung in diesem Jahr wird die B-Seiten-Compilation „The Masterplan“, die mit „Talk Tonight“, „Listen Up“ und „The Masterplan“ einige Songs enthält, die zu den stärksten von Oasis überhaupt zählen.
Anfang 1999 starten die Manchunians zusammen mit Produzent Mark „Spike“ Stent die Arbeiten an ihrem vierten Album. Die Aufnahmen laufen nicht besonders gut und werden vom plötzlichen Ausstieg von Paul „Bonehead“ Arthurs im August überschattet. Die Trennung erfolgt dem Vernehmen nach freundschaftlich, weil Arthurs sich um seine Familie kümmern will. Zwei Wochen später schmeißt auch Paul „Guigsy“ McGuigan hin. Kurz darauf geben die Gallaghers eine Pressekonferenz, in der sie das Weiterbestehen von Oasis versichern. “The story and the glory will go on,“ heißt es in einem Statement. Der Rest der Band beschließt, die Aufnahmen fortzusetzen – Noel spielt die meisten von Arthurs’ Gitarren- und McGuigans Bassparts neu ein. Nach Abschluss der Aufnahmen beginnen die Gallaghers und Alan White mit der Suche nach Ersatzmitgliedern. Bald darauf wird Colin „Gem“ Archer, früher bei Heavy Stereo, als neuer Gitarrist vorgestellt. Neuer Bassist wird das ehemalige Mitglied von Ride und Hurricane #1, Andy Bell. Dieser hat allerdings vorher noch nie Bass gespielt und muss es erst erlernen. Nach dem Aus für Creation Records günden Oasis ihr eigenes Label Big Brother, über das sie (außerhalb von Großbritannien und Irland in Sublizenz an Sony) alle folgenden Platten veröffentlichen. Das Album „Standing On The Shoulder Of Giants“ kommt im August 2000 heraus und geht direkt auf Platz eins im UK. Als Neustart erscheint auf dem Cover ein neues, von Archer entworfenes Oasis-Logo, und auch der Sound hat experimentellere, psychedelische Einflüsse. Außerdem gibt Liam sein Songwriter-Debüt mit dem eher mittelmäßigen „Little James“. Somit ist „Standing…“ das erste Album der Band, bei dem nicht alle Songs von Noel stammen. Die Platte erntet aber nur lauwarme Kritiken und ist bis heute die Oasis-Platte mit den niedrigsten Verkäufen. Die anschließende Tour findet ihre Höhepunkte mit zwei ausverkauften Konzerten im Londoner Wembley Stadion vor jeweils 80.000 Zuschauern. Aufnahmen davon werden im Novemberr als Live-Album und -DVD unter dem Titel „Familiar To Millions“ verkauft. 2001 verbringen die Manchunians mit Live-Konzerten und Studiosessions für ihr fünftes Album.
Dieses erscheint im Juli 2002 unter dem Titel „Heathen Chemistry“, zu dem jedes Mitglied außer Drummer Alan White mindestens einen Song beisteuert. Die Demokratie hält somit auch bei Oasis Einzug. Der Sound ist eine Mischung aus den vorherigen Experimenten und einem elementaren Rocksound. Trotz guter Songs wie „The Hindu Times“, „Stop Crying Your Heart Out“ und „Songbird“ bekommt das Album nur gemischte Kritiken, geht aber natürlich auf Platz eins in den UK-Charts. Die anschließende Tour ist wieder mit Vorfällen gespickt. Im Spätsommer 2002 sind Noel und Andy Bell in Indianapolis in einen Autounfall verwickelt. Obwohl niemand schwere Verletzungen davon trägt, müssen ein paar Shows abgesagt werden. Im Dezember müssen mehrere Deutschland-Konzerte verschoben werden, nachdem Liam, Alan White und drei weitere Mitglieder der Band-Entourage nach einer Schlägerei in einem Münchner Nachtclub verhaftet werden. Dabei verliert der jüngere Gallagher-Bruder zwei Schneidezähne.
Die Aufnahmen für ihr sechstes Album beginnen Oasis im Dezember 2003 mit dem Produzenten-Duo Death In Vegas in den Sawmills Studios. Ursprünglich soll das Album im September 2004 erscheinen, zum 10-jährigen Veröffentlichungsjubiläum von „Definitely Maybe“. Doch im Januar 2004 verlässt Alan White die Band. Laut einem Statement von dessen Bruder wurde der Band-Spirit aus White herausgepresst und er wolle sich nun um seine Freundin kümmern. Ab diesem Zeitpunkt tritt die Band offiziell nur noch als Quartett auf, mit wechselnden Drummern. Der erste Ersatzmann für Studio- und Live-Sessions wird Zak Starkey, Sohn von Beatles-Schlagzeuger Ringo Starr. Im Sommer 2004 treten Oasis zum zweiten Mal in ihrer Karriere als Headliner beim legendären Glastonbury-Festival auf. Der Auftritt erntet vor allem negative Kritiken, der NME nennt es ein „Desaster“. Nach vielen Turbulenzen findet sich die Band für die definitiven Album-Aufnahmen von Oktober bis Dezember in den Capitol Studios in Los Angeles ein, zusammen mit Produzent Dave Sardy.
Im Mai 2005, drei Jahre und ebenso viele ausrangierte Studiosessions nach der Vorgänger-Platte, erscheint „Don’t Believe The Truth“. Wieder sind alle Mitglieder als Songwriter auf dem Album vertreten. Natürlich geht es wieder auf Platz eins der Charts (genauso wie die beiden Singles „Lyla“ und „The Importance Of Being Idle“), wird aber von Fans und Kritikern gleichermaßen als das beste Oasis-Album seit „Morning Glory“ gelobt. In der Folge wird die Band mit zwei Q Awards ausgezeichnet („People’s Choice“, „Bestes Album“). Anschließend gehen die Manchunians auf eine fast ein Jahr dauernde Tour durch 26 Länder mit 110 Konzerten, darunter das Londoner Astoria und der New Yorker Madison Square Garden. Der während der Tour von Baillie Walsh gedrehte Film wird im Oktober 2007 unter dem Titel „Lord Don’t Slow Me Down“ veröffentlicht. Die gleichnamige, von Noel gesungene Single wird die erste digital-only-Veröffentlichung der Band. Zur Erfüllung ihres Vertrages mit Sony veröffentlichen Oasis im November 2006 die Best-Of-Sammlung „Stop The Clocks“. Nach anfänglichen Überlegungen, die Plattenfirma die Songauswahl treffen zu lassen und ihre Ruhe zu haben, beschließt die Band schließlich, die Playlist selbst zusammenzustellen. Deshalb finden sich neben den bekannten Hits auch die vier B-Seiten „Acquiesce“, „Half The World Away“, „The Masterplan“ und „Talk Tonight“ auf dem Doppelalbum. Im Februar 2007 erhalten Gallagher & Co. den Brit Award „Outstanding Contribution To Music“. Das Wiederaufleben der Popularität der Band spiegelt sich auch in einer Umfrage des Q Magazine und HMV über die 50 besten britischen Alben der letzten 50 Jahre wider, bei der im Februar 2008 „Definitely Maybe“ und „Morning Glory“ die Plätze eins und zwei belegen.
Im Mai 2008 verlässt Zak Starkey Oasis nach den Aufnahmen für das siebte Album, die im März zusammen mit Produzent Dave Sardy beendet werden. Starkey wird durch den ehemaligen Robbie-Williams-Drummer Chris Sharrock ersetzt. Die erste Single wird „The Shock Of The Lightning“, das Album „Dig Out Your Soul“ erscheint im Oktober 2008 – Platz eins im UK inklusive. Die Kritiker sind wie vom Vorgänger begeistert, der Sound ist stark von den 70er Jahren geprägt, als psychedelische Experimente und purer Pop noch kein Widerspruch waren. Anschließend gehen die Manchunians auf ihre längste, eineinhalbjährige Welttournee. Im Juni 2009 spielen Oasis drei Konzerte im Heaton Park in Manchester, mit ca. 70.000 Zuschauern pro Abend. Nach einem Generatorproblem bei der ersten Show, das zu massiven Verzögerungen führt, erklärt Noel das Konzert für umsonst. 20.000 Leute, die einen kurzen Antrag schreiben, bekommen daraufhin ihr Geld zurück.
Am 28. August 2009 kommt es kurz vor dem Auftritt der Band bei Rock-en-Seine zu einem heftigen Streit zwischen den Gallagher-Brüdern, woraufhin alle weiteren Konzerte abgesagt werden. Kurz darauf gibt Noel über die Oasis-Homepage bekannt, dass er die Gruppe verlassen habe, aufgrund ständiger Beleidigungen von und Streitereien mit Liam: „I have with some sadness and great relief to tell you that I quit Oasis tonight. People will write and say what they like, but I simply could not go on working with Liam a day longer.“ Das Aus der Band wird im Folgenden von Liam in mehreren Interviews bestätigt. Beide Gallaghers geben aber an, weiterhin Musik machen zu wollen.
Oasis haben während ihrer 18-jährigen Karriere weltweit über 70 Millionen Alben verkauft, acht Nummer-eins-Singles im UK gehabt, fünfzehn NME Awards, neun Q Awards, vier MTV Europe Music Awards und fünf Brit Awards gewonnen. Ungezählt bleiben die Menschen, die ihre Songs lieben, die Bands, die sich wegen Oasis gegründet haben, die von ihnen beeinflusst werden, die wegen ihnen Songs schreiben. Die Menschen, die sich sagen: Tonight, I’m a Rock’n’Roll Star.
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