!doctype
Categories: Konzertbericht

Oder noch schlimmer: Sind wir’s noch immer? (10 Jahre Immergut)

Geburtstag. Yeah. Das Immergut ist tatsächlich gerade 10 Jahre alt geworden. Und hat das gebührend gefeiert. Mit großer Sause, mit all den Bands, die immer schon da waren, und mit Tränen in den strahlenden Augen.

Vorher: Als ich das Line-Up sehe, bin ich enttäuscht. Fast alle schon gesehen. Und dann fällts auf, ja genau, alle schon mal gesehen. Und zwar genau hier. Und war immer gut. (okay, Wortwitz an dieser Stelle abgehakt)

Da:
Es ist voll. Vor allem der Parkplatz. Ich warte mit zwei Bierkästen vor dem Eingang, bis das Auto irgendwo verstaut ist. Den Soundtrack zum Zeltaufbau liefern Kate Mosh von irgendeinem Busdach, das über den Zeltplatz ragt.

Drinnen: Der erste Spaziergang übers Festivalgelände macht mich grinsen. Da sind sie wieder, diese schönen, schönen Menschen…

Draußen: Währen Virginia Jetzt! „Wir sind nicht von schlechten Eltern“ singen, treffe ich einen Menschen mit einem Fass unterm Arm. Er dachte, Flaschen seien hier verboten. Wir trinken Bierschaum.

Auf der Bühne:
Olli Schulz erklärt, dass er zum ersten Mal hier spielt, weil er vor Jahren als Tomte-Fahrer immer nur Fußball gucken wollte. Später singen alle im Chor: Die Guten, die bluten, weil die Knechten sie schlechten. Ein Hauch von Revolution liegt in der Luft. 100 Sympathiepunkte, weil er den Bibo weder tanzt noch spielt.

Auf dem Weg: Unsere Zeltnachbarn haben ein Absperrband über den Weg gehangen und schreien jetzt immer, wenn jemand kommt: Ficken, Fotzen, LIMBO. Mit teilweisem Erfolg.

Als es dunkel wird: Bodi Bill sind nicht nur die besten Tänzer der Welt, sondern auch noch die bestangezogensten. Die Menge tobt, der Holzboden bebt und ab jetzt werde ich nie mehr aufhören zu tanzen. Denn schon kommt Whitest Boy Alive. Wir tanzen in der letzten Reihe. Da ist Platz und der Bierstand. Bei Die Sterne wieder ganz vorne. Frank Spilker ist sichtlich bewegt.„Waren wir Bekloppte? Oder Krank? Oder beides? Oder noch schlimmer, sind wir’s noch immer?“ Ja, scheint so.

Als es wieder hell wird: Frittenbude spielen die Hits der Kollegen und geben Rave endlich einen Sinn: Raven gegen Deutschland, raven gegen Deutschland. Danach King Klatsche, der seinem Namen alle Ehre macht. Er und Spencer scheinen noch besoffener als alle, die jede Oasis-Zeile innbrünstig mitbrüllen (und das tun tatsächlich ALLE). Dass sie die meisten Lieder hier doppelt spielen, stört keinen mehr, vielleicht kriegt es auch schon gar keiner mehr mit.

Irgendwo zwischen Gut und Böse: Auf dem Weg zum Klo, dort, wo sie sonst Limbo tanzen, liegt ein Junge mit geschlossenen Augen, einen halbvollen Sixpack im Arm. Als ich zurückkomme hat sich eine Traube um ihn gebildet. Ob der noch lebt, fragen sie sich. Der schlafende Junge kratzt sich an der Nase. „Ach scheiße“, murmelt einer, „der will doch nur im Mittelpunkt stehen“, und geht.



Fußballturnier:
verschlafen.

Auf dem besten Festival der Welt: Gab es schon am ersten Tag Gratulationen und Lobesreden allerorten, erzählt heute nahezu jeder, wie sehr er dieses Festival liebt. Ein großes Familienfest.

Höhepunkte: Auch wenn Thees Uhlmann nicht ganz so gut drauf ist, wie man es von ihm kennt, die Fans sind es. Singen seine Songs, als er schon längst aufgehört hat. Und da ist sie wieder, die Liebe zur Musik, die Liebe zu den Tönen.
Schlimm war der Moment vor zwei Jahren, als wir uns in die erste Reihe kämpften, um Jeans Team zu feiern, stattdessen aber muff potter auf die Bühne kamen. Diesmal aber kein Todesfall, sondern zwei bis drei Jungs mit eletronischen Geräten und einer Supershow. Von wegen keine Melodien. Von wegen kein Gott. Tanzen zum Kaputtgehen.
Pale geben ihr letztes Konzert. Und es wird klar, was das Besondere hier ist. Die Veranstalter sind die größten Fans, springen in der ersten Reihe und freuen sich.
The Soundtrack of our lives sind vor allem deswegen in der Erinnerung, weil sie es damals schafften, alle Zuschauer dazu zu bewegen, sich hinzusetzen, damit der beliebte Sänger in Kaftan durch die Massen schreiten konnte. So auch diesmal, um dann einen Mann in Frauenkleidern zu verheiraten.

Auf Händen getragen: Auf der gefeierten Indiedisko rennt plötzlich eine Meute auf Kemper (Organisator des Ganzen, hört jetzt auf) zu, hebt ihn hoch und trägt ihn durchs Zelt. Ehre wem Ehre gebührt!

Am Ende: Irgendwann weichen die Indiehits den Hits der 80er. Es wird immer schlimmer, so langsam gehen alle ins Bett. Aber dann: The return of King Klatsche. Er rettet eine längst verloren geglaubte Party. Mitten am Morgen Indiegassenhauer zum Mitgrölen. Wie geil sind denn oasis, bitte?

Am Boden: Ein Typ hat im Judounterricht seiner Kindheit gelernt, wie man richtig fällt. Vor zwei Wochen entdeckte er, dass er einfach aus dem Stand umfallen kann, ohne sich weh zu tun. Das müssen wir der Welt zeigen und ziehen über den sonnigen Zeltplatz. Unterhalten uns mit Freaks bis er plötzlich einfach umfällt. Gesichter wie bei der versteckten Kamera.

An Coolness nicht zu überbieten: Vor einem Zelt sitzt morgens um acht ein Junge und liest. Dostojewski, Der Spieler. Zeigt sich unbeeindruckt von der Umfallaktion. Wünscht uns trotzdem einen schönen Tag.

Vorbei: Wir tanzen sogar noch beim Zeltabbauen. Alles war gut. Alles wird gut. Immer gut. (…musste noch mal sein)

Recent Posts

There is a crack in everything, that’s how the light gets in

“There is a crack in everything, that's how the light gets in”, sang einst der…

2 Jahren ago

Zwischen Pop und Experiment

Seit September veröffentlichen Yule Post und Tom Gatza gemeinsame Singles. Mit BYE erscheint nun die…

2 Jahren ago

Never Mind Modus Mio, Here’s the »NEW SILK«

Spätherbst 2022. Deutschrap TikTok-tänzelt zur zweihundertsten lieblosen Drill-Attrappe. Es wird höchste Zeit für neuen Druck…

2 Jahren ago

No time for losers with toxic desires

Sofia Portanet veröffentlicht am 2. November 2022 ihre neue Single Unstoppable, die dritte Single aus…

2 Jahren ago

Eine Geschichte von der Spannung zwischen Freundschaft und der Sehnsucht nach Intimität, untermauert von euphorischem Techno

Mit ihrer neuen Single “Mess Me Up” erzählt die junge Berlinerin benzii eine Geschichte von…

2 Jahren ago

MS DOCKVILLE 2022 – FESTIVAL FÜR MUSIK & KUNST

Ein Festival ist mehr als nur viele Konzerte – ein Festival ist eine Einladung, sich…

2 Jahren ago