Okkervil River stießen im Mai mit ihrem ruppigen sechsten Album einigen Folkjüngern vor den Kopf. Kreativ-Diktator und Mastermind Will Sheff bezieht im Interview Stellung.
Will Sheff ist ein kleiner Magnet im Süden der USA – stetig zieht er begabte Musiker an und stößt sie wieder ab. Die Endprodukte dieses Prozesses der letzten Jahre nennen sich „The Stage Names“ und „The Stand-Ins“, die von Kritikern hochgelobten Okkervil River-Platten von 2007 und 2008. Nun hat der bindungsunfähige Indiefolker aus Austin erneut Horden an Künstlern um sich versammelt und sein siebtes Album aufgenommen. „I Am Very Far“ kommt als opulentes und energiegeladenes Werk daher mit gleichsam heiteren aber auch groteskem Charakter. Mit motor.de plauderte Will Sheff über den Einfluss seiner sanften Diktatur auf das sechste Album der Band und dessen Entstehungsprozess.
motor.de: Du twitterst von deinem Interviewmarathon in Berlin aus gerade von den Jetlag-Stadien – geht’s dir mittlerweile besser?
Will Sheff: Ich denke, ich habe mich über die Zeit daran gewöhnt. Ich bleibe dann normalerweise die ganze Nacht über wach bis ich langsam verrückt werde und dann schlafe ich die ganze Zeit. Danach komme ich normalerweise klar.
motor.de: “I Am very far” ist nun schon dein sechstes Werk mit Okkervil River. Welches ist deine Lieblingsphase im Entstehungsprozess eines Albums – hast du denn überhaupt eine?
Will Sheff: Naja, nur darüber zu reden, wie ich es jetzt gerade mache, wahrscheinlich nicht. Sorry Fans. (lacht) Wahrscheinlich ist es das Schreiben. Es ist stimulierend und ergreifend. Die Aufnahmen sind vergleichbar und auch sehr lustig. Das ist, wie wenn du ein kleines Kind bist – alles, was dir einfällt, in eine Kiste werfen. Da gibt es noch diesen Hauptaspekt: Das Einspielen, Musik zu machen, etwas zu kreieren und die Kreativität zu absorbieren. Ein Album zu performen, ist natürlich auch sehr sehr großartig – schließlich stehst du vor einem Publikum. Das macht immer Spaß. Du produzierst dabei die Musik immer wieder neu, legst einen neuen Aspekt hinein, gibst ihr einen neuen Sinn. Nunja, Promotion gefällt mir in Anbetracht dessen am wenigsten. (lacht)
motor.de: Du bist Okkervil Rivers Mastermind – wie viel Einfluss gestehst du den anderen zu?
Will Sheff: Ich sage ihnen nicht, was sie zu spielen haben, oder wie sie Bass und Schlagzeug spielen müssen. Vielleicht sage ich ihnen: „Oh, lass uns hier mal etwas anderes ausprobieren“. Wir sind alle individuelle Persönlichkeiten, alle tragen ihren Teil zum Album bei. Allein schon wenn du dir die Unterschiede zwischen Travis und Collie anhörst, oder Zack, unserem allerersten Schlagzeuger, und Pat, oder Howard, Trebor und Lauren an der Mandoline – du weißt schon was ich meine – diese Leute kamen mit völlig verschiedenen Hintergründen. Pat war in vielen Garage-Bands, Justin hat einen Jazz-Background. Ich denke, das hörst du letztendlich auf den Platten und ich denke, dass das eine richtig richtig gute Sache ist.
motor.de: Ist es für dich als Schreiber nicht schwierig, deine Ideen von den Songs an so viele Mitmusiker zu tansportieren? Ist es schwer, deine Band anzuweisen, deine Vision umzusetzen?
Will Sheff: Der Punkt ist für sie sehr interessant. Ich denke, dass sie eben ihre eigene Vision von den Songs haben und ihre eigenen Erfahrungen hineinlegen. Ehrlich gesagt rede ich mit den Musikern mehr als mit irgendwem sonst darüber, wovon die Songs handeln. Aber sie werden ihre eigene Interpretation der Songs finden und ihre eigene Art und Weise, wie sie sie präsentieren wollen. Auf der einen Seite liefern sie den Song ab, auf der anderen stehen sie aber auch außerhalb.
Okkervil River – “Wake and Be Fine”
motor.de: Also bist du im Endeffekt mit ihrer Arbeit zufrieden?
Will Sheff: Absolut! Das ist das beste Line-Up der Band momentan. Fantastische Musiker und fantastische Menschen. Wir hatten bei den Aufnahmen eine großartige Zeit zusammen. Wahrscheinlich ist die musikalische Qualität durch dieses Line-Up um mindestens zwei Grad besser als irgend ein anderes Album vorher.
motor.de: Es gibt also bei Okkervil River keine Kreativ-Diktatur nur weil du das Mastermind dahinter bist?
Will Sheff: Ich würde es in vielerlei Hinsicht als eine freundliche, sanfte Diktatur bezeichnen. Diktatur hat so einen schlechten Ruf. Schau dir einen verschrobenen kreativen Diktator an, der alles kontrolliert und den ganzen Prozess beeinflusst – jemanden wie Stanley Kubrick. Manche von diesen Leuten machen eine großartige Arbeit und diese wäre nicht das gleiche, wenn sie nicht so kontrollierend sein und alle in den Wahnsinn treiben würde. Ja, ich habe eine Tendenz zum Kontrollfreak, dessen bin ich mir bewusst. Aber ich versuche die guten Seiten, den kreativen Output, zu nehmen und Menschen nicht zu sehr zu belästigen.
motor.de: Ich habe gelesen, dass zwei Schlagzeuger, Pianisten und Bassisten und sieben Gitarristen bei den Aufnahmen beteiligt waren. Das klingt nach einer Herausforderung.
Will Sheff: Das war sehr, sehr schwierig. Wenn du so viele Musiker zusammen hast, ist es nicht das schwerste, dass alle den Song kennen und spielen können, wobei das schon hart genug ist. Wenn du versuchst, dass zwölf Leute wie einer spielen mit dem gleichen Gefühl dahinter – das wird kompliziert. Du kannst dem Beat etwas voraus sein, aber auch etwas dahinter, es gibt in einer Sekunde so viele Fragmente, die passen müssen. Es gibt den Ansatz, die Persönlichkeit aus den Menschen heraus zu prügeln. Dann würden aber alle wie eine gigantische Maschine zusammen spielen.
motor.de: Dir eilt der Ruf voraus, deine Songs wie ein erstklassiger Romanautor zu konzipieren.
Will Sheff: Das schmeichelt mir sehr und ich genieße es, dass Menschen so über mich denken. Natürlich nehme ich das Songsschreiben ernst, aber ich denke nicht so darüber nach, als wöllte ich eine Geschichte erzählen. Das tat ich nie. Es hängt natürlich damit zusammen, aber in einer sehr sehr alten Art und Weise – etwa so wie bei Homer, dass man zusammen sitzt und sich nachts am Feuer unterhalten möchte. Der Grundriss einer Geschichte funktioniert in einem Song jedoch ganz anders. Es ist nunmal eine ganz eigene Richtung der Kunst – keine Poesie, aber auch kein Roman. Die Songform ist das Ursprünglichere, weil die Geschichten von damals nur überlebten, indem sie gesungen wurden. Bei „I Am Very Far“ geht es nicht um Geschichten. Ich habe versucht, eigenständige Stücke zu erschaffen. Das ist etwas ganz anderes, als ganze Charaktere und Konflikte zu konstruieren.
motor.de: Welche Themen kommen denn auf „I Am Very Far“ vor?
Will Sheff: Als ich das Album schrieb, wollte ich nicht angestrengt darüber nachdenken, welche Themen ich behandeln könnte. Das wäre staubtrocken gewesen. Es geht um Träume und Gedanken, inwiefern sich die Welt real für uns anfühlt. Ich hasse es, wenn Menschen Träume deuten wollen: „Ein Messer bedeutet Erfolg, ein Vogel bedeutet Unsicherheit“ und solche Dinge. Das ist Bullshit. Genauso ist es auch bei Songs. Ich erinnere mich daran, wie in der Highschool das erste Mal über Symbolik geredet wurde. Und ich dachte: „Symbolik? Ah ok. Also ist ein Buch nur ein geheimnisvoller Code? Das ist doch stumpfsinnig!“. Warum sollte ich alles kodieren. Ich wurde geduldig mit den Songs – sie sollten nicht wie ein Geheimcode sein, sondern wie ein Zustand. Wie bei einem Bild: Es gibt kein gewalttätigeres und gleichzeitig schöneres Gefühl als dunkelrot. Ich hab keine Ahnung was zum Teufel das bedeuten soll, aber ich mag das.
motor.de: Du hast nach dem Album mit Roky Erickson gesagt, das Arbeiten mit ihm war eine Erfahrung, die dein Leben verändert hat. Wie meinst du das?
Will Sheff: Roky ist ist eine sehr magische, spezielle Person. Er hat diese unglaublich positive Einstellung und eine große kreative Energie. Er ist immer für das Leben und die Inspiration offen. Es war wirklich sehr tiefgreifend, aber man kann das nur verstehen, wenn man ihn selbst erlebt hat. Er hat mir beigebracht, keine Angst zu haben und Ideen einfach umzusetzen und Einflüsse anzunehmen. Manchmal macht das, was Roky sagt, auf den ersten Blick keinen Sinn, aber dann fühlst du, was er meint, ganz tief in dir. Das war eine sehr inspirierende Erfahrung für mich.
motor.de: Was kannst du mir zum Artwork erzählen? Es sieht ziemlich düster und angsteinfkößend aus.
Will Sheff: (kritzelt während dessen Zeichnungen) Der Künstler ist William Sheff, der so heißt wie ich, aber der nicht ich bin. Wir haben viel zusammen abgehangen und darüber diskutiert, wovon das Album handelt und wie man das darstellen kann. Eigentlich will ich gar nicht zu tief gehen und zu viel davon frei geben, aber eines kann ich dir verraten: Ich wollte, dass Hüter auf dem Cover sind, die Wölfe. Sie können dich in das Album hinein lassen, aber dich auch ganz schnell wieder rauskicken. (lacht)
motor.de: Dieses Jahr feiert Okkervil River seinen 13. Geburtstag – glaubst du an das verflixte 13. Jahr und hast du Angst, dass etwas schreckliches passiert?
Will Sheff: Das Universum interessiert sich nicht genug für mich, um mich zu bestrafen. (lacht)
Interview: Julia Kindel
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