Vor 35 Jahren veröffentlichten die Sex Pistols ihr Album “Never Mind The Bollocks”, ein Klassiker in jeder Plattensammlung. Natürlich muss man dafür etwas für Punk, rohen Punk, Ur-Punk übrig haben, aber wer hat das nicht. Kein Wunder, dass wir uns in unserer Kolumne ausführlicher mit dem Phänomen auseinandergesetzt haben.
Und wenn wir gerade bei Nostalgie sind, das im Musikbereich wohl am häufigsten diskutierte Buch – “Retromania” von Simon Reynolds – ist im Oktober auch in der deutschen Fassung erschienen. Kaum neue Innovationen in der Musik? Gerade für uns neologistischen Unken-Köpfe natürlich ein kleiner Affront, aber ganz so Unrecht hat der Kollege natürlich nicht. Auch keine schlechte Idee für ein Weihnachtsgeschenk für den Musikliebhaber mit dem Blick über den alltäglichen Chart-Tellerrand.
Berührt sind wir immer noch von der fünfjährigen Geburstagparty des Liebhaber-Labels Erased Tapes Records. Im Berliner Radialsystem V konnten wir einem Konzertabend beiwohnen, der sich als dringend notwendige Handbremse einer allseits gestressten Generation herausstellte. Fazit nach einem Abend mit Nils Frahm und Ólafur Arnalds: In der Welt von Erased Tapes sind Worte irrelevant.
Bevor ihr euch gänzlich dem frohen Stöbern des Platten-Sammelsuriums hingeben könnt, hier eine kleine Liste aller relevanten Platten aus dem Oktober: Benjamin Gibbard, Paul Banks, Boys Noize, Steve Bug, John Frusciante, Skip&Die, Tame Impala, Anstam, Godspeed You! Black Emperor, Trail Of Dead, Moon Duo, Will Samson, Kreidler und Fritz Kalkbrenner.
Black Marble – “A Different Arrangement” (05.10., Hardly Art)
Und selbst wenn Simon Reynolds recht hat, Oldschool-Sounds können halt trotzdem gefallen. Und wir, die schreibenden Idioten, finden dann so tolle Worte wie Coldwave für das, was Black Marble da machen. Ihr Album ist die nicht bestellte Kreuzung aus John Maus, Factory Records und Depeche Mode. Hey, nicht den schwarzen Mascara vergessen!
Omega Male – “Omega Male” (12.10., Full Time Hobby)
Fujiya & Miyagi als Referenz wird wohl nicht ausreichen, um euch zu begeistern, nicht wahr? Dann muss ein Satz aus dem Promozettel her: “Laptop sex music played by two white dudes” – got it? “Omega Male” ist lässig, manchmal lasziv, krautig, wenn es sein muss und ganz bestimmt ein bisschen funky unterwegs. Indeed, der Soundtrack zum Sich-Selbst-Geil-Finden.
(12.10., Plug Research)
Der
tUnE yArDs-Bassist Nate Brenner wird in seiner Heimat schon als “Bootsy Collins von Oakland” gefeiert. Also genau, es geht funkig zu, aber halt, Trugschluss. Sein Debüt balzt mir allerlei, da schießen die Synthies aus allen Löchern, chillwavig kommt schnell die Erholung. Ein kleiner Ideen-Tsunami. Retro und doch irgendwie futuristisch.
Fanta Dorado und der innere Kreis – “Fanta Dorado und der innere Kreis” (19.10., Italic)
“Wir haben Dienst, wir haben Dienst, haben wir auch sonst nichts, haben wir Dienst”. Noch einen? “Kommt die Wahrheit ans Licht oder tut sie es nicht. Worin besteht der Unterschied, wenn alles gleichzeitig geschieht.” Kann man mal machen, einfach nur die Texte lesen, wäre aber schade um das Solodebüt von Stabil Elite Nikolai Szymanski. Überproduktiv, der junge Herr. Poppig, synthetisch, gut.
(19.10., PIAS)
Der Ex-Razorlighter will es gefühlvoll, eingängig, verspielt und ein bisschen melancholisch. Ob weichgespülter Singer/Songwriter-Pop oder charmant schönes Popgut – Andy Burrows steht die Streicher- und Harmonieverliebtheit gut, auch wenn “Company” leider nicht allzu sehr fesselt.
Brasstronaut – “Mean Sun” (19.10., Tin Angel)
Dieses Album schreit nach mehr Platz, dabei steht doch als Notiz auf dem Zettel: Für das Sammelsurium zu gut. Melodien wie Himmelsverzierungen, eine Stimme mit dem speziellen Kuschelfaktor – folkig, jazzig, schwelgerisch. Wenn ihr dieses Jahr nur noch ein Album hören dürft, dann “Mean Sun”. Geheimtipp. Ach was, vielleicht sogar die (geheime) Platte des Jahres.
(19.10., Unter Schafen Records)
Das kanadische Quintett träumt sich auf “The North” etwas zu sehr in den siebten Indie-Schlagerhimmel. Überzuckerte Melodien und halbgarer Synthie-Pop dominieren dabei den neuen Langspieler. Dennoch findet man zwischendrin vertraut schöne Stars-Momente wie “A Song Is A Weapon”.
Michael Mayer – “Mantasy” (26.10., Kompakt)
Die Fantasie ist echt! Darf es überraschen, dass Kompakt-Chef Mayer mit seinem zweiten Album überzeugt? Unbedingt. Allein der Titeltrack: Wer schafft es sonst noch, Gui Boratto & Giorgio Moroder zusammenzuführen? Techno, House, Funk, Ambient, Minimal – you call it, alles auf diesen unfassbaren 60 Minuten. Zurückhaltend, aber nicht introvertiert.