140.000 verkaufte Tonträger vom Berlin-Calling-Soundtrack allein im deutschsprachigen Raum, eine Tour von Istanbul bis Paris in riesigen Hallen, 100.000 Konzertbesucher – Paul Kalkbrenner hat es geschafft. Zwar ist er schon seit fast 15 Jahren eine feste Größe in der Technoszene, doch erst seit dem 2008er Film „Berlin Calling“ brach der Hype aus. Dunkle Venues in denen hundertausend Kehlen mit verschiedenen Akzenten seinen Namen schreien: „Paule, Paule, Paule…!“ bis er endlich die Bühne betritt, gehören mittlerweile zum Standard. Umso schwieriger ist es, einen Live-Act von diesem Format auf DVD zu bannen, die Atmosphäre, das Feeling. Aber genau das versucht „2010 – A Live Documentary“. Das Filmteam um Max Penzel und Hannes Stöhr, zwei alte Bekannte die schon für Berlin Calling verantwortlich waren, begleitete Kalkbrenner auf über 15 Konzerten und hielt nicht nur zehn Songs an zehn verschiedenen Orten fest, sondern drehte auch eine einstündige Doku zur Kalkbrenner-Tour.
Paul Kalkbrenner – 2010 A Live Documentary (Trailer)
Wenn seine alten Fans aus den frühen BPitch-Zeiten ihm nun den Ausverkauf vorwerfen, mangelt es ihnen nicht an Argumenten dafür. Schon das Cover, schwarze Schrift auf gelbem Grund, wirkt termingerecht zum Weihnachtswahn zusammen gebastelt. Das Paint-Programm würde dazu reichen. Eine etwas lieblose Extras-Sektion und eine Akustik bei den Livemitschnitten, die verständlicherweise nicht mit dem gewohnten Kalkbrenner-Studio-Sound mithalten kann. Der Inhalt der DVD wird als Tour-Nebenprodukt abgestempelt. Angesichts der hohen cinematografischen Qualität der aufgenommenen Bilder ist der Vorwurf jedoch schnell widerlegt. Aufgenommen mit fünf bis acht Kameras, bietet der Film perspektivisch interessant aufbereitetes Material, das von den BPitch Haus-Visualisten „Pfadfinderei“ bearbeitet und mit grafischen Spielereien aufgewertet wurde.
Die Doku zeigt den Kumpelcharakter von Kalkbrenner auf: Der zum europäischen Superstar avancierte Musiker als Kartenabreißer, auf dem Fußballplatz beim Kicken und Biertrinken mit seiner Crew oder wie er seiner Freundin zum Geburtstag gratuliert – Auch wenn neben vielen Weggefährten auch seine Freundin, DJane Simina Grigoriu, und sein erfolgreicher Bruder Fritz zu Wort kommen, sollte man jedoch nicht zu große Intimität erwarten. Schönster Moment: Ein ausgelaugter, müder Kalkbrenner diskutiert liegend mit seinem Tourmanager, der ihn zu seinem Auftritt scheuchen will und muss. Showsequenzen mit tanzenden, glücklichen Fans treffen hier tiefe Augenringe und träge Lider. Bei im Schnitt drei Shows pro Woche spielte der Live-Act dieses Jahr, gab es Schlafmangel inklusive.
Paul Kalkbrenner – Melt Picknick 2010
Seit „Berlin Calling“ ist der Jetsetter ausgebucht und gestresst. So ist es nicht verwunderlich, dass man ihn nur sehr schwer für ein paar Minuten zu sprechen bekommt. Eine hohe Anzahl von Versuchen und Anläufen, um ihn an den Hörer zu bekommen, scheint mittlerweile ebenso zum Standard geworden zu sein, wie ausverkaufte Hallen und der Hype um seine Person. Zwischen Tür und Funkloch konnten wir trotzdem ein kleines verrauschtes Interview mit ihm führen.
motor.de: Berlin Calling war ja sehr erfolgreich – Was denkst du war ausschlaggebend, dass dein Soundtrack-Album dich als Künstler so nach oben katapultiert hat?
Paul Kalkbrenner: Im Film war alles authentisch – die Leute spüren das. Zudem ist er insgesamt nicht nur gut gelungen, sondern er bietet eine Projektionsfläche für so viele Sachen. Aus diesem Grund denke ich, dass er insgesamt so erfolgreich war und gut ankam.
motor.de: Deine aktuelle DVD zeigt, dass du gut herum gekommen bist in diesem Jahr. Hast du dann Sehnsucht nach der heimischen Couch oder bist du eher der rastlose Typ, der nie an einer Stelle bleiben kann?
Paul Kalkbrenner: Die DVD ist jetzt natürlich kein Spielfilm wie Berlin Calling, wenn man einen Künstler einen Sommer lang mit HD-Kameras begleitet. Aber dichter kommt man nicht ran. Ich bin auch mit der Dokumentation zufrieden, das Ergebnis ist sehr stimmungsvoll. Manchmal war es ein wenig erschreckend. Im Schnittraum musste ich mich oft zurückhalten, weil ich das alles nicht mehr sehen konnte. Dieses „Rumkommen“ mache ich ja schon seit über zehn Jahren, nur haben sich die Dimensionen geändert. Auf dieser Tour jetzt war natürlich alles viel viel größer. Letztendlich bespiele beides gern, große Bühnen wie auch kleine Clubs.
motor.de: Sind filmisch eigentlich weitere Sachen geplant?
Paul Kalkbrenner: Berlin Calling hat gefallen. Vielleicht kommt ja noch was. Ich würde mich allerdings auf nichts festnageln lassen.
motor.de: Siehst du dich eher als Livegig oder als DJ?
Paul Kalkbrenner: Ich bin gar kein DJ. Das habe ich viele Jahre versucht den Leuten zu erklären, warum das so ist. Aber mittlerweile bin ich das leid und lasse es unkommentiert stehen. Es stört mich auch nicht mehr so.
motor.de: Du hast Trompete gelernt – kommt dir die Fähigkeit, klassische Instrumente spielen zu können, dem Prozess des Musikmachens zugute oder hatte das Einfluss auf deine Songs?
Paul Kalkbrenner: Ob ich das Instrument tatsächlich spielen kann, sei mal dahin gestellt. Die Trompete habe ich jetzt ungefähr 20 Jahre nicht angefasst. Tatsächlich war ich auf einer staatlichen Musikschule und habe Noten und solchen Scheiß gelernt. Ich höre gern Klassik, aber letztendlich sind es eher die alten Kinderlieder, die man früher gehört hat, die die Musik beeinflussen. Angenommen jemand sagt, dass er Punk hört, dann ist das nicht frei von Werturteilen. Allein die Musik, die man bis zum Alter von elf oder zwölf Jahren hört, ist frei von Urteilen. Alles danach ist nichts mehr wert.
motor.de: Auf der DVD sind Remixe von Moby- und 2Raumwohnung-Titeln vertreten – Gibt es Acts mit denen du gern zusammenarbeiten möchtest, Remixes die du gern anfertigen würdest?
Paul Kalkbrenner: Nein die gibt es nicht. Ich bin kompromissunfähig, habe es aber zwei oder drei Mal versucht. Jedes mal hat das zu nichts geführt.
motor.de: Was hast du dir als Künstler für 2011 vorgenommen?
Paul Kalkbrenner: Ein neues Album und neue Musik stehen im Vordergrund. Jetzt ist die DVD erst einmal draußen und ich kann mich zurücklehnen. Ansonsten befinden sich Konzerte und Festivalauftritte in der Planungsphase.
VÖ: 3. Dezember 2010
Label: Paul Kalkbrenner Musik / Rough Trade
Tracklisting:
01 Altes Kamuffel
02 Dockyard
03 Aaron
04 Square 1
05 Zulu
06 Since 77
07 Moby – Wait For Me (Paul Kalkbrenner Remix)
08 Gigahertz
09 2raumwohnung – Wir werden sehen (Paul Kalkbrenner Remix)
10 Paul Kalkbrenner – Sky & Sand
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