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“Ich bin nicht George Michael” – Paul Smith im Interview

Maxïmo Park sind Schnee von gestern? Mitnichten: Frontmann Paul Smith will mit seinem Solodebüt “Margins” zeigen, wie gut es der Band geht und trotzdem beweisen, wie leicht er auch ohne sie auskommt.

Es ist einer der letzten Sommertage unter leicht bewölktem Berliner Himmel und Paul Smith genießt vollkommen unbeobachtet vor der Tür seiner Plattenfirmen einen Schwarzen Tee ohne Zuckerzusatz. “Meine erste Tasse des Tages und das zur Mittagszeit”, erklärt er mit verstimmtem Unterton. Sehr aufregend sei das momentan alles für ihn, die letzte Tour mit Maxïmo Park ist gerade ein paar Monate her und schon müsse er erneut die Werbetrommel für ein Album rühren, dass seit mehreren Jahren geplant, aber erst jetzt veröffentlicht werden könne: Die Rede ist freilich von “Margins”, seinem ersten Studiowerk abseits der Band, die sich parallel dazu eine wohlverdiente Pause gönnt und ihren Chef einfach mal ziehen lässt.

Nach drei fulminanten, durchweg großartigen Longplayern ist diese Auszeit bei allen Beteiligten herzlich willkommen. Nicht nur das Maxïmo Park Debüt “A Certain Trigger” von 2005 war großes Entertainment, auch die Nachfolgealben “Our Earthly Pleasures” (2007) und das letztjährige “Quicken The Heart” hielten das Niveau problemlos hoch. So gesehen gibt es gar keinen Grund für einen Alleingang und trotzdem werkelte Paul Smith lange am ersten Soloausflug und findet nun endlich die Zeit “Margins” auf die Welt loszulassen. Obwohl vieles darauf bekannt vorkommt, zieht der schlaksige Songwriter durchaus neue Saiten auf.

Maxïmo Park – “Books From Boxes”

Reduzierter, ohne viel Tamtam spielt sich Smith durch einen Großteil der Beiträge, wirkt ausgeglichener, akustischer und reduzierter als zuletzt im Bandkontext. Demgegenüber lässt er nichts anbrennen, holt hin und wieder die Indiekeule raus und klingt dann genau so, wie man es von ihm erwartet. Doch nichts davon sei geplant gewesen, alles aus einer Laune heraus entstanden, wird Paul Smith im Folgenden noch öfter betonen.

Wie er indes mit der Doppelbelastung umging, ob es Momente gab, in denen er “Margins” lieber ad acta gelegt hätte und warum George Michael bei alledem eine große Rolle spielt, erklärt der Brite im Interview mit motor.de.

motor.de: Aktuell scheint es ein Trend zu sein, als hauptberuflicher Frontmann einer Band Solo sein Glück zu suchen – sieht du dich da in einem Konkurrenzkampf verwickelt?

Paul Smith: Ich habe schon mitbekommen, dass Brandon Flowers, Fran Healy und so einige Sänger mehr, ähnliche Entschlüsse gefasst haben wie ich – einfach mal ohne die Kollegen Musik machen und schauen, was daraus entsteht. Allerdings geht es niemanden von uns um das beste Album aller Zeiten, behaupte ich mal.

motor.de: Dem lässt sich zustimmen und trotzdem habt ihr eins gemeinsam: Ihr versucht euch vom Sound her bewusst vom Tagesgeschäft abzusetzen. Fiel dir das schwer?

Paul Smith: “Margins” entstand aus einer gewissen Laune heraus: Immer dann, wenn ich auf Tour nichts zu tun hatte, zu Hause gerade ein wenig Zeit oder während einer Zugfahrt keine Mails beantworten musste, griff ich zum Stift, schrieb meine Gedanken auf und so entstand ein Song nach dem anderen.

motor.de: Handelt es sich bei “Margins” etwa um ein On The Road-Album?

Paul Smith: (lacht) Das klingt mir zu bedeutungsschwanger. Aber klar, letztes Jahr haben wir unser drittes Album mit Maxïmo Park veröffentlicht und sind direkt im Anschluss auf Tour gegangen. Da blieb wenig Spielraum und vielleicht dauerte es deswegen auch knapp fünf Jahre nach der Fertigstellung des ersten Demos, um nun endlich die ganze Platte veröffentlichen zu können.


motor.de: Ist es dir eigentlich oft passiert, dass du einen Song fertig hattest, der besser im Kreise von Maxïmo Park funktionierte als auf Solopfaden?

Paul Smith: (überlegt lange) Nein, eigentlich nicht. Manchmal kommen dir Ideen und du denkst, toll, dieser Ansatz ist so universell, den kann man glatt doppelt verwenden. Anderseits sind da noch deine Bandkollegen und die haben ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Lass es mich so sagen: wenn die Situation aufkam, habe ich gut überlegt, ob ich diese oder jene Skizze nicht besser für mich behalte – ohne die anderen zu informieren.

motor.de: “Margins” ist eine Spur gesetzter als das, was du zuletzt mit Maxïmo Park gemacht hast – mehr Songwriter-Elemente und eine Spur mehr Akustik bestimmen das Album.

Paul Smith: Wenn man behaupten würde, dass meine Songs sonst mit 100 Kilometer pro Stunde nach vorne preschen, sind es jetzt vielleicht nur 80 oder so. Ich habe ein Faible für sich aufbauende Tracks und konnte dem auf “Margins” noch mehr gerecht werden, weil niemand Einspruch einlegte und ich einfach drauf los muckte, wie es gerade passte.

motor.de: Müssen wir uns jetzt Sorgen um das Fortbestehen von Maxïmo Park machen?

Paul Smith: Da habe ich eine Standartantwort: Ich bin nicht George Michael der gerade Wham! verlassen hat. (leichtes Grinsen) Verstehst du? Diese Soloplatte ist vielmehr ein Statement, wie gut es der Band geht – den Frontmann einfach mal in den Urlaub zu schicken und wenn er genug hat, dort weiterzumachen, wo man beim letzten Mal aufgehört hat, funktioniert nur, wenn sich alle untereinander verstehen.

motor.de: Hast du eigentlich schon ein Album der anderen Bandleader gehört?

Paul Smith: Fran Healys und Brandon Flowers’ Platten kenne ich bislang nicht, aber die von Kele Okereke habe ich gehört und mein Güte: Das ist wirklich überraschend anders – so viel elektronisches Zeug hätte wohl kaum jemand erwartet. Wenn ich mich also entscheiden müsste, wäre mir die Hälfte seines Überraschungseffekts am liebsten. Marke: ‚Ah, ich hab es erkannt, es ist Paul Smith von Maxïmo Park – klingt aber schon ein wenig anders, oder?’ Mit solch einem Resümee könnte ich gut leben.

Text + Interview: Marcus Willfroth


: 15.10.10

Label: Billingham Records/Cooperative Music

Tracklist:

1. North Atlantic Drift
2. The Crush And The Shatter
3. Improvement / Denouement
4. Strange Fiction
5. While You’re IN The Bath
6. This Heat
7. I Drew You Sleeping
8. Alone, I Would’ve Dropped
9. Dare Not Dive
10. I Wonder If
11. Our Lady Of Lourdes
12. The Tingles
13. Pinball

Tourdaten:

06.11. Berlin – Becks Music Experience
08.11. München – 59:01
09.11. Heidelberg – Karlsbahnhof
10.11. Köln – Gebäude 9

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