Als Sänger von The Jam war er unfreiwillig die Stimme einer Generation, mit The Style Council brachte er uns auf den Geschmack von Bluenote-Jazz und Cappuccino, und als Solokünstler exerziert er seit 1991 verschiedenste Stilrichtungen durch – von experimentellem Funk und psychedelischem Jazz bis zu Akustik-Folk und idyllischem Soulrock.
Der Umfang seines bisherigen Werkes ist nahezu unvergleichlich – sechs Alben und vier Nummer 1-Hits mit The Jam, vier LPs sowie das lange unveröffentlichte, ambitionierte Garage-House-Album „A Decade Of Modernism“ mit The Style Council; sechs Soloalben, beispielsweise das wunderbare „Wildwood“ und der Hitparadenstürmer „Stanley Road“, daneben Veröffentlichungen als The Council Collective, King Truman und The Smoking Mojo Filters. Auf seinem letzten, 2002 veröffentlichten Album „Illumination“ arbeitete Weller mit Simon Dine von Noonday Underground zusammen. Die aus dem Album ausgekoppelte Single, „It’s Written In The Stars“ kam in die Top 10.
Sein neues Album, Studio 150, ist ein überraschender Nachfolger – 12 Tracks ausschließlich mit Coverversionen, von allseits bekannten Hits wie dem Discogroove von Sister Sledges „Thinking Of You“ zu obskuren Schätzen wie Nolan Porters Northern-Soul-Track „If I Could Only Be Sure“, garniert mit so unterschiedlichen Stücken wie Neil Youngs „Birds“ oder Bob Dylans „All Along The Watchtower“.
Coverversionen sind für Weller vertrautes Terrain – schon The Jam veröffentlichten eine Coverversion von The Kinks’ „David Watts“ als Single und coverten darüber hinaus The Whos „So Sad About Us“ und „Disguises“ sowie Curtis Mayfields „Move On Up“. The Style Council spielten Anita Bakers „Angel“ und Joe Smooths „Promised Land“, und seit Weller als Solokünstler tätig ist, sind seine B-Seiten geradezu übersät mit Coverversionen – sei es Crosby, Stills, Nash and Youngs „Ohio“, „Feelin’ Alright“ von Traffic oder „I’d Rather Go Blind“ von Etta James. Bleibt die Frage: Warum ein ganzes Album mit Coverversionen?
„Ich habe schon lange mit der Idee gespielt, ein Coveralbum zu machen“, erklärt Weller. „Ursprünglich wollte ich eine Auswahl von Lieblingssongs aufnehmen, wie bei einer Compilation-Kassette, die man einem guten Freund schenkt. Aber ich machte mir Sorgen, dass das Album dann zu uneinheitlich klingen und als Ganzes nicht funktionieren würde; also entschloss ich mich, Songs zu covern, die nicht von vornherein meine absoluten Lieblingssongs waren, aber die ich gut neu interpretieren und zu etwas Eigenem umformen konnte.“
Weller machte sich samt Band – Schlagzeuger Steve White, Gitarrist Steve Cradock und Bassist Damon Minchella – auf den Weg in das Amsterdamer „Studio 150“, das dem Album auch seinen Namen gab. „Seit der Zeit mit Style Council war es das erste Mal, das wir im Ausland aufgenommen haben“, erzählt er. „Ich wollte mal aus meinem Studio raus, und Amsterdam gefiel mir. Vorher war ich nur auf Tour dort, für ein oder zwei Tage, und so war es schön, mal etwas mehr Zeit dort verbringen zu können. Bei den Aufnahmen entwickelte sich bald ein fester Tagesablauf. Wir machten uns auf den Weg ins Studio, frühstückten und arbeiteten bis abends um acht, dann gingen wir essen. Es war alles sehr zivilisiert.“
Das Album wurde in gerade mal fünf Wochen eingespielt, und jeder Track wurde in zwei oder drei Takes live aufgenommen. „Wir begannen letzten September und arbeiteten jeweils eine Woche lang konzentriert an den Aufnahmen. Es ging alles sehr schnell und spontan. Es hat wirklich Spaß gemacht, dieses Album aufzunehmen,“ erzählt er begeistert. „Es gab keinen Druck, Songs zu schreiben, es fühlte sich nicht an wie Zähne ziehen, wie es manchmal bei der Arbeit an einem Album ist. Ich war einfach nur Sänger in einer Band und sang die Songs anderer Leute. Ich musste mir keine Sorgen um die Texte machen. Nehmen wir beispielsweise Neil Youngs ,Birds‘. Carleen Anderson, die den Backgroundgesang übernommen hatte, hörte mitten im Song auf und fragte, worum es eigentlich in dem Text gehe. Es war absolut erfrischend, sich einfach mal der Musik hinzugeben, ohne ausgiebig die Texte analysieren zu müssen.“
Die Liste der Songs auf dem Album mag auf den ersten Blick überraschend wirken: statt der offensichtlichen Einflüsse von Weller finden sich hier vor allem Soul- und Jazz-Songs. Aber, erklärt Weller, „Es wäre sinnlos gewesen, einen Song von den Kinks, Small Faces oder Beatles nachzuspielen, da ich den Originalversionen nichts hinzufügen könnte“.
Die erste, limitierte nur in England erscheinende Singleauskopplung aus der LP, „The Bottle“, eine schonungslos ehrliche und schmerzhafte Erzählung über das Alkoholikerdasein, ursprünglich von Rare-Groove-Soul-Jazz-Troubadour Gil Scott-Heron gesungen, wird in Wellers Händen zu einem knackigen, beschwingten Funk-Rock-Klassiker in spe. Seine Version von Rose Royces „Wishing On A Star“ ist hingegen eine wunderschöne, streichergetränkte Ballade. „Eines Morgens hörte ich dieses Lied im Radio, und mir war auf einmal klar, dass ich es covern musste. Es ist mein Lieblingslied auf dem neuen Album.“
Weller-Fans werden aus dem Häuschen sein, wenn sie hören, dass sich auf dem Album auch seine Neuinterpretation von Aaron Nevilles „Hercules“ findet, ein Publikumsfavorit auf den Touren vergangener Jahre. „Early Morning Rain“, das ebenfalls zu Pauls Lieblingssongs auf dem Album gehört, erinnert an die Herbststimmung auf seinem Album „Wildwood“ und steht durch seine warme Atmosphäre und Wellers wohlklingenden Baritongesang dem Original von Gordon Lightfoot in nichts nach. Bei diesem Song und dem schottischen Traditional „Black Is The Colour“ wird Weller von der Folksängerin Eliza Carthy begleitet.
Seine reduzierte Neuinterpretation des Sister Sledge-Songs „Thinking Of You“ ist einfach überwältigend; aber der vielleicht überraschendste Track ist „Close To You“, geschrieben von Hal David und Burt Bacharach und 1970 ein Top 10-Hit für die Carpenters. Wellers großartige Version ähnelt eher Isaac Hayes’ frühen Songs auf „Hot Buttered Soul“. „Zu Anfang war es eher ein Scherz“, gibt er zu. „Ich war mit meinen Kindern im Urlaub, und wie es manchmal eben so ist, wir fingen einfach an, dieses Lied zu singen. Die Melodie hat so was liebliches. Mir schwebte ein Curtis Mayfield-Feeling vor, eine Chicago Soul-Nummer mit Bläsern.“ Auch „All Along The Watchtower“ könnte kaum weiter von Dylans Original oder der berühmten Jimi Hendrix-Version entfernt sein; Weller orientierte sich eher an der Gospel-Soul-Version der „Brothers and Sisters“. „Ich liebe einfach, wie Carleen Andersons und Sam Browns Gesang auf unserer Version klingt“, erzählt er.
Auf den Nolan Porter-Song „If I Could Only Be Sure“ – in den 70ern eine beliebte Northern Soul-Nummer – wurde Weller erst vor einigen Jahren aufmerksam. „Paolo Hewitt legte in Italien auf, und als er zurückkam, erzählte er mir total begeistert von diesem Song. Daraufhin haben wir uns die Mühe gemacht, die Originalsingle aufzutreiben.“
Nur ein Song hat es nicht über den Schneideraum hinaus geschafft: „Gimme Shelter“. „Wir haben uns eher an der Version von Merry Clayton als am Original von den Stones orientiert, aber es hat einfach nicht funktioniert. „Abgesehen davon hätten wir am liebsten noch eine Weile weiter aufgenommen“, meint Weller. „Wir hörten erst auf, als klar war, dass nicht mehr Songs auf die CD passen würden. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht.“
Nun, ihr werdet beim Zuhören genauso viel Spaß haben wie Paul Weller bei den Aufnahmen. Da sind wir uns sicher.
roughtrade
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