Unermüdlich tourte Paul Weller zuletzt durch die Weltgeschichte. Mit dem neuen Album “Sonik Kicks” machte er in Deutschland Halt und wir passten ihn zum ausführlichen motor.de-Interview ab – ein Gespräch über dreißig Jahre Musikgesichte.

Er sei heute ein wenig im Stress, erfährt man auf dem Weg zum Backstage-Bereich des Berliner Huxleys. Gut gelaunt zwar, aber bei Paul Weller kann in Interviews bekanntlich alles passieren. Sicher, antwortet man verständnisvoll, eine der Ikonen britischer Popmusik hat Besseres zu tun, als Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Erstaunlich jedoch, mit welch Engagement er dann vor einem sitzt und die sprichwörtlich gute Miene zum lästigen Spiel aufsetzt. Sein neues Album “Sonik Kicks” erschien im Frühjahr 2012, Promotion ist also nicht mehr nötig und wird auch nicht erwartet – am wenigsten von Weller selbst. Er freue sich sogar, dass es eher um einen Blick aufs große Ganze geht und sagt mit einem Lächeln im Gesicht: “Ich bin jetzt 54 und wie das im Alter so ist, man schaut gerne zurück und spricht über Dinge, die dazu führten, dass wir jetzt hier sitzen und da draußen die Leute auf mich warten.”

Er weiß, dass seine zahlreichen Fans gleich die Hits fordern werden, die Paul Weller mit seinen Ex-Bands The Jam und The Style Council im Überfluss zu bieten hat. “Town Called Malice” zum Beispiel, das selbst dreißig Jahren nach dem Release frischer und motivierter als jede neue Band aus seiner Heimat Großbritannien klingt und doch plant er weder diesen, noch “Going Underground” heute Abend zu spielen. “Ich variiere das immer und als ich beim letzten Mal in Deutschland war, spielten wir das gesamte Best Of-Programm runter. Mit ‘Sonik Kicks’ sieht das anders aus: Die Platte ist eine Herausforderung und die, die jetzt hier sind, werden nicht dasselbe hören wollen wie beim letzten Mal.” Eigen war er schon immer und ein wenig steht ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, als das Gespräch kurz Richtung Kritiker schwenkt, die mit den neuen Tracks nicht so viel anfangen konnten und “Sonik Kicks” teils harsch verrissen.

Aber der Reihe nach – nicht nur Aufklärung soll vollzogen werden, auch fragten wir Paul Weller wie man sich als Ikone fühlt, ob seine jüngere Frau ihn wirklich in die Midlife Crisis stürzte und warum Noel Gallagher falsch liegt, wenn er behauptet, Weller habe den Britpop erfunden.

motor.de: Ein Blick auf die Setlist zeigt, dass dir die vielen Verrisse zur neuen Platte inzwischen egal sind. Hast du dich im Frühjahr von der Presse missverstanden gefühlt?

Paul Weller: “Als ‘Sonik Kicks’ im Kasten war und ich die Reihenfolge der Songs festgelegte, kamen viele Freunde auf mich zu und meinten, ich solle ernsthaft darüber nachdenken, ob es sinnvoll sei, mit solch resoluten Track das Ganze anzugehen. Ich dachte mir: Fuck it, das ziehe ich durch.”

motor.de: Generell musst du ja niemanden mehr etwas beweisen. Trotzdem hatte man das Gefühl, du wolltest um alles in der Welt ‘jung’ klingen.

Paul Weller: “(lacht) Ja, aber das war klar. Die Journalisten sehen, dass ich mit einer jüngeren Frau zusammen bin und fangen an Rückschlüsse zu ziehen: Plötzlich kommt der Typ mit einem so experimentellen Album um die Ecke und selbstverständlich liegt das für die nur daran, dass ich mich zuletzt angeblich ‘alt’ gefühlt habe – was aber nicht so ist, keineswegs.”

Paul Weller – “Above the Clouds” (live)

motor.de: Auffallend zudem, dass du seit Jahren sehr aktiv bist und schnell eine Platte der nächsten folgen lässt. Woher kommt dieser Kreativitätsschub?

Paul Weller: “Da gab es nicht den alles entscheidenden Moment. Wichtig war die ‘Days Of Speed’-Platte vor zehn Jahren, der eine Akustiktour vorausging, auf der ich mich intensiv mit meiner Vergangenheit als Musiker auseinandersetzte. Das zeigte mir einfach, dass es eigentlich keinen Song in meinem Katalog gibt, bei dem ich mich Frage, warum der aufgenommen wurde. (überlegt) Ein gutes Gefühl, welches Sicherheit mit sich brachte.”

motor.de: Hast du zu deinen vermeintlichen Hits ein eher zwiespältiges Verhältnis? Auf der aktuellen Tour wurden mehr Sachen aus der zweiten Reihe präsentiert.

Paul Weller: “Man ist halt nicht nur der Typ hinter irgendwelchen Liedern, sondern immer Musiker und hat zwei Möglichkeiten: Dienst nach Vorschrift leisten und die Hits, wie du sie nennst, runter rattern oder man spielt das, was man gerade will, mit hundert Prozent Einsatz und Herzblut. Ich glaube, du musst nicht lange überlegen, was den Leuten beim Zuschauen mehr Spaß bereitet. (streicht sich mit der Hand durchs Gesicht)”

motor.de: Wahrscheinlich sehen aber alle nur den Vater des Britpops in dir – als der dich Noel Gallagher auch gerne bezeichnet.

Paul Weller: “Der bin ich aber nicht. Ich bin kein Erfinder, denn es gab damals – vor dreißig Jahren – keinen passenden Begriff für die Musik, die Bands wie The Jam spielten. All die, die damit aufwuchsen, haben irgendwann selber mit der Musik angefangen und Referenzen entstehen dann ganz natürlich, wenn ein Noel Gallagher mich als Einfluss nennt.”

motor.de: Der britische Premier David Cameron hat sich unlängst als Fan von dir geoutet und meinte, dass “The Eton Rifles” einer seiner Lieblingssongs sei. Freut dich das?

Paul Weller:
“Nachdem ich mein letztes Album ‘Wake Up The Nation’ genannt hatte, kamen viele auf die Idee, ich sei zu einem Protestsänger mutiert. (schüttelt den Kopf) Was total übertrieben ist, denn darum ging es überhaupt nicht und wenn ein Politiker einen Song von mir mag, ist das okay für ihn – mich tangiert das überhaupt nicht.”

motor.de: Gibt es stattdessen etwas, dass dich in all der Zeit begleitet hat – ein wiederkehrendes Element?

Paul Weller: “Tatsächlich ist mir letztes eine Sache aufgefallen: Egal zu welcher Zeit in meinem Leben ich den Fernseher angemacht habe, immer waren dort immer Bilder von hungernden Kindern in Afrika zu sehen. Zu meiner Frau meinte ich auch, dass das unglaublich prägend sei – diese Hilflosigkeit und zahlreichen Opfer.”

motor.de: Vielleicht mal einen Song darüber schreiben?

Paul Weller: “(lacht erneut) Wenn du Woody Guthrie kennst, überlegst du dir als Songwriter zweimal, ob es wirklich sinnvoll ist ein Protest-Album aufzunehmen. Aus meiner Sicht würde es vollkommen daneben gehen, weil ich das einfach nicht kann. Weder gelingen mir persönliche Songs, die wie Tagebucheinträge anmuten, noch schaffe ich es einem politischen Text zu schreiben, mit dem ich hundert prozentig zufrieden bin. “

motor.de: Der Guardian fragte dich im Frühjahr, ob es stimmt, dass Musiker die besten Platten aufnehmen, wenn sie frisch geschieden sind – etwas harsch hast du ihnen die Antwort verwehrt.

Paul Weller: “(schaut genervt) Das ist ein dummes Klischee: Es geht nicht darum, in welcher Situation du einen Songs schreibst, sondern mit welcher Motivation er entsteht. Wenn meine Frau mich verlässt und das Lied schlecht ist, bleibt das Lied schlecht, auch wenn sie weg ist.”

Paul Weller – “Wild Wood” (live)

motor.de: Welcher deiner Songs macht dich am glücklichsten?

Paul Weller: “(sofort) ‘Wild Wood’. Der ist einfach gehalten, vier Akkorde und kaum irgendwelches Tamtam. Den mag ich, er wirkt klassisch und zeitlos. Was nicht heißt, dass mir meine anderen Sachen Rätsel aufgeben – ich weiß, wo ich herkomme und vergesse das über die Jahre nicht.”

Text + Interview: Marcus Willfroth