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“Leben ist das, was deine Gedanken daraus machen.” – Peaking Lights im motor.de-Interview

Im Spannungsraum von Verantwortungsbewusstsein und Kreativität: Mit “Lucifer” hält die Selbstreflexion Einzug in den musikalischen Kosmos der Peaking Lights. Ein Aspekt, den sie einer Wegmarkierung der eigenen Biografie verdanken. motor.de traf das Paar kurz vor der Veröffentlichung des neuen Albums.

(Foto: David Black)

Wie das Sinnbild des Musikerdaseins kommt Aaron Coyes aus dem Eingang vom Festsaal Kreuzberg marschiert: in der Linken eine Tasse Kaffee, in der Rechten eine Flasche Bier. Ein wenig übernächtigt doch gelassen wirken er und seine Frau Indra Dunis, als sie sich an einem der abgewetzten Holztische im Vorhof niederlassen. Die Art nonchalanter Gelassenheit, die einem nur die eigenen Kinder beibringen können. Ein Umstand, den sie ihrem Sohn Mikko verdanken. Mit ihm sind die Peaking Lights vor einem guten Jahr gewissermaßen zum Familienbetrieb avanciert.

Etwa zur gleichen Zeit schlug ihr Zweitwerk “936” in der deutschen Independent-Landschaft ein wie eine Streubombe. Mit einem Schlag war Reggae nicht mehr die Kiffermusik mit den ewig gleichen Off-Beat-Gitarren und wabernden Basslinien – in den Händen des bastelwütigen Zweigespanns mutierte er zu einem organisch rasselnden Gebilde aus spontan fiependen Gerätschaften, über denen Indras betörende Stimme schwebte. Der schielende Blick zum Pop machte die Platte zum Quasi-Konsensalbum 2011.

Mit “Lucifer” erscheint nun der dritte Teil der Diskographie, der sich anschickt, wieder alles richtig gemacht zu haben. Aber auch alles anders. Mit motor.de sprach das Paar über fokussierte Studioarbeit, die Vereinbarkeit von Elternschaft und Musikerdasein und den jamaikanischen Sommer im eigenen Badezimmer.

motor.de: “936” bekam ja hierzulande ein breites und vorwiegend positives Medienecho. Wie fühlt sich der Ruhm an?

Indra: (lacht) Nun ja…Ruhm. Es hat uns definitiv viele Türen geöffnet, das stimmt. Ich bin noch immer überrascht, wie viele gute Kritiken die Platte bekam. Für uns kam das ziemlich unerwartet. Zu dem Zeitpunkt, als wir sie aufgenommen haben, war ich schwanger und der Fokus lag eher darauf, was in unserem Leben passieren würde, sobald wir ein Kind hätten. Der Veröffentlichung haben wir in diesem Zusammenhang kaum Beachtung geschenkt. Als die Platte dann erschien – ich war zu der Zeit im achten Monat –, wollte plötzlich jeder wissen, was als nächstes kommen würde und ich meinte nur: ein Kind. Ob wir berühmt sind? Keine Ahnung. Vielleicht sind wir auf einem guten Weg.

Aaron: Ich dachte schon vorher, wie wären es. Leben ist das, was deine Gedanken daraus machen (lacht).

motor.de: Glückwunsch zur Elternschaft an dieser Stelle. Bleiben wir ein bisschen dabei. Was hat dieser Umbruch in eurem Leben als Musiker verändert?

Indra: Es ist in jeglicher Hinsicht ein riesiger Einschnitt gewesen, nicht nur in unserem Musikerdasein. Wir können natürlich nicht mehr so häufig auf Tour gehen und auch das Prozedere hat sich dahingehend geändert. Inzwischen läuft es ruhiger ab, mit weniger Terminen und mehr Mühe beim Reisen, um ein Kind nicht derartigen Strapazen auszusetzen.

motor.de: Ihr habt ihn also mitgenommen?

Indra: Ja, er rennt hier irgendwo rum. Wir sind sechs Wochen unterwegs und spielen demnächst noch in Barcelona beim Sonar Festival. Danach haben wir fünf Tage frei – das Ganze ist also eine Mischung aus Tour und Familienurlaub, was ziemlich schön ist.

Peaking Lights – “Lucifer Mixtape #5” 


motor.de: Das klingt in der Tat ziemlich gut. In ein paar Tagen erscheint mit “Lucifer” euer neues Album. Aber bevor wir darüber sprechen – ihr habt, quasi als eine Art Vorboten, fünf Mixtapes veröffentlicht, die ziemlich abenteuerlich klangen und auf ein ziemlich breites Spektrum an Einflüssen schließen lassen. Wie sah eure musikalische Sozialisation aus?

Aaron: Wir lassen uns nicht gern kategorisieren. Die Mixtapes sind eine Art Sammelsurium all dessen, mit dem wir bisher in Berührung gekommen sind.

Indra: Bevor Aaron und Ich uns kannten, haben wir ziemlich viele Entwicklungsstufen durchlaufen. Meine erste Liebe waren Riot Grrrl-Punk Bands. Danach habe ich lange Zeit Schlagzeug gespielt. In Numbers zum Beispiel, was so eine Art No Wave/Punk-Kombo war. Aaron war damals in einer Hardcore Band.

Aaron: Damals zu Highschool-Zeiten habe ich Death Metal und Goth gespielt. Irgendwann kam dann Noise, dann psychedelischer Noise (lacht) – ziemlich experimentelles Zeug.

Indra: Das war so ungefähr der Zeitpunkt, an dem ich ihn kennengelernt habe. Als Numbers sich dann aufgelöst hatten, begannen wir zusammen Musik zu machen. Aber unabhängig von unserem eigenen Hintergrund waren wir seit jeher ziemlich vielseitig interessiert. Ich mochte schon immer jamaikanische Musik – Reggae und Dub. Als ich noch klein war, habe ich oft in der Musiksammlung meines Vaters gestöbert, der ziemlicher Disco-Fan war, aber auch eine Menge Krautrock gehört hat – Kraftwerk und Neu! zum Beispiel. Über die Jahre hinweg wuchs dann einfach die Neugierde und man stolpert über unfassbar viel großartige Musik. Unsere Plattensammlung nimmt inzwischen aberwitzig viel Platz ein und reicht von Afrobeat über Latin Music…

Aaron: Soul Music, Psychedelic Music, Psychedelic Rock Music, Noise Music…(lacht)

Indra: Dementsprechend schwer ist es, das in irgendeiner Form zu beschränken. Und auf seine Weise hat das alles Einfluss auf unsere eigene Musik.

Peaking Lights – “Lucifer” (Albumstream)

motor.de: So in etwa klingen auch die Mixtapes. Habt ihr eine Lieblingsgeschichte, wie ihr zu einer eurer Platten gekommen seid?

Aaron: Tatsächlich bin ich erst vor ein paar Tagen über eine Afrobeat-Platte gestolpert, die – wenn es eine Erstpressung ist – mindestens fünfhundert Dollar wert ist. Die lag für einen Fünfer in der Grabbelkiste. Allerdings sieht mein Kaufverhalten sonst anders aus. Normalerweise kaufe ich immer ganze Sammlungen. Wir hatten mal eine mit 20.000 Stück und saßen zwei Tage daran, den Ausschuss auszusortieren, sind dann aber trotzdem noch mit 15.000 nach Hause gegangen. Ich mag diese Art Platten zu kaufen, auch wenn es um einiges teurer ist – man entdeckt Vieles. Indes hat sich auch die Mentalität des Plattenkaufens in den letzten fünf oder zehn Jahren, vor allem durch eBay, sehr gewandelt. Dabei ist der Gedanke des Stöberns ein bisschen verloren gegangen.

motor.de: Du gehst nicht mehr in Plattenläden?

Aaron: Doch schon, aber mein Verhältnis dazu ist anders als noch vor zehn Jahren. Davon abgesehen ist es auch eine Frage der Erreichbarkeit. Viele Plattenläden sind in den vergangenen Jahren pleite gegangen.

Indra: Als wir noch in Wisconsin gelebt haben, gab es mal einen ziemlich coolen Zwischenfall. Damals waren wir gerade ziemlich auf Dub und Reggae hängen geblieben und wie besessen von Rockers [Anm. d. Red.; ein Dokumentarfilm über die jamaikanische Reggae-Kultur von 1978]. Es war mitten im Winter, was Jamaika natürlich umso verlockender erscheinen ließ. Wir haben uns dann immer im Bad verschanzt, sämtliche Türen und Fenster geschlossen und das heiße Wasser aufgedreht, bis der ganze Raum ein Dampfbad war. Jamaikaurlaub haben wir das genannt (lacht).

Aaron: (lacht) Ja, Wisconsin ist im Winter wirklich saukalt.

Indra: Jedenfalls haben wir am Arsch der Welt gewohnt, bestimmt anderthalb Stunden von der nächsten Stadt entfernt und haben zu der Zeit viel Second Hand-Kram und Trödel gesammelt, um ihn dann auf eBay zu verkaufen. Irgendwann kamen wir in dieses winzige Dorf und Aaron hat sich die Platten angesehen…

Aaron: Stimmt, und ich habe auf einen Schlag 150 Erstauflagen von ziemlich abgefahrenen Reggae-Alben gefunden. Ich hatte erst eine in der Hand und meinte “oh, das ist ja cool” und dann hörte das gar nicht mehr auf.

Indra: Ich stand gerade bei den Klamotten, als er angerannt kam – völlig verschwitzt – und hechelte “Oh mein Gott, du glaubst mir nicht, was ich gerade entdeckt habe.” (lacht). Die haben alle nur 50 Cent gekostet. Und das mitten im letzten Hinterwäldlerdorf. Ich meine, woher zum Teufel kamen die?

motor.de: Apropos, lasst uns noch kurz über “Lucifer” reden. Wie seid ihr die Arbeit daran angegangen?

Indra: “Lucifer” ist insgesamt eine ziemlich rhythmische Platte geworden. Mikko war gerade erst sechs Monate alt, wir hatten also dementsprechend wenig Zeit, um daheim Songs zu schreiben (lacht). Wir haben uns also länger in Brooklyn im Studio eingemietet, eine Nanny mitgebracht und ihn zu den Aufnahmen mitgenommen. Ein Großteil der Stücke ist direkt im Studio entstanden. Der große Unterschied war also, einen Monat lang tagtäglich konzentriert zu arbeiten.

motor.de: Ist es dadurch experimenteller ausgefallen als “936”?

Aaron: Konzeptioneller vielleicht.

Indra: Es hält eher einen spezifischen Moment fest als eine Entstehungsgeschichte.

Aaron: Mit “936” hatten wir eine eigene Herangehensweise und Songstruktur entwickelt, die auf einen Großteil des Albums zutraf. Wir haben zwar ab und zu probiert, die Titel im Studio entstehen zu lassen, hatten aber eigentlich schon einen Großteil vorproduziert, die Rhythmen etc…

Indra: Mit “Lucifer” war das anders. Der einzige Titel, der vorab schon geschrieben war, war “Beautiful Son”, der Rest entstand quasi auf dem Reißbrett aus einigen Ideen. Und natürlich war unser Sohn, der mit im Studio war und gelegentlich eingesungen hat (lacht), eine riesige Inspirationsquelle für das Album.


Interview: Robert Henschel

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