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Peter Licht ist zurück und beweist auf das “Ende der Beschwerde”, das seine Assoziationen zum Thema Koma Mädchenherzen höher schlagen lassen können. Und: In der Disco tanzt die Hoffnung zu den Pet Shop Boys.
Selbst Menschen, die Musik nie in ihr Leben aufgenommen haben, kennen PeterLicht als den Typen mit dem Sonnendeck-Lied. Was für eine Gemeinheit, sind doch in der Zwischenzeit nicht nur zehn Jahre ins Land gestrichen, gar veröffentlichte der Gute immerhin ganze fünf Langspielplatten, schrieb Bücher und führte Theaterstücke auf. Sein neuester Streich “Das Ende Der Beschwerde” wird all denen gefallen, die ein bisschen nachdenken und sich ein bisschen verlieren und ein bisschen rumkichern mögen – also fast allen. Und selbst bei der kritischen Dame, die dieses Interview geführt hat, hat das Aussprechen des Namen Peter dieser Tage einen weicheren Unterklang.
motor.de: “Hallo hier bin ich, hallo wer”. Wieviel Zeit würdest Du dir wünschen – wieviel Zeit soll man sich nehmen, um Peter Licht kennenzulernen?
PeterLicht: 3 Minuten 30.
motor.de: Das ist ja fast Punk!
PeterLicht: Punk ist 2:15.
motor.de: Das stimmt.
Peter Licht: Die Zeiteinheit, die im Pop die einzig Wahre ist, das ist 3:30. Alles misst sich danach.
motor.de: Aber Du bist in vielen Songs ein bisschen drüber, oder?
PeterLicht: Ich glaub’, ich bin immer drüber (lacht).
motor.de: Stimmt. Das Ende der Beschwerde kommt nah dran, das sind 3:55.
PeterLicht: Na ja, auch schon zu lang.
motor.de: Ja. Jedes Lied 3:30 – das Ziel der letzten PeterLicht-Platte?
PeterLicht: Ich trage da jedes mal, wenn ich wieder mit Jochen Naaf produziere und dann in den Ring steige, dann trage ich immer wieder die Auseinandersetzung aus, wie lang Lieder so sein können. Ich sag’ dann immer Bob Dylan. Es gibt ein Lied von ihm, das ich sehr toll finde und das irre lang ist, dass einfach nicht mehr aufhört und das sich auch irgendwie gar nicht aufbaut. Immer das Gleiche und trotzdem ist das super und er sagt dann immer “Das kann man nicht machen, das muss kürzer sein” und da hat er Recht. Popmusik muss immer schon kurz sein.
PeterLicht – “Neue Idee”
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motor.de: Ich möchte hier gleich mal mit einem Zitat der neuen Single “Neue Idee” reingrätschen und zwar “Mit jedem Satz den ich hier verliere, werde ich weniger wahr, mit jedem Wort das mich verlässt, werd’ ich weniger.” Gibt es bei Dir eine Grundangst, irgendwann deine Stimme zu verlieren oder etwa die Angst, dass Dir irgendwann nichts mehr einfällt?
PeterLicht: Ich sehe da, wenn ich drüber nachdenke, keine Angst drin, ich sehe das eher als eine Zustandsbeschreibung zum Thema Wiederholung. Je öfter etwas wiederholt wird, da gibt es zwei Möglichkeiten, dann wird es umso wahrer oder es wird immer weniger wahr. Es löst sich dann eben irgendwie auf, es löst sich in Nichts auf, verpulvert sich oder es bekommt eine Wahrheit. Und es ist sehr interessant, gerade in einem Pressegespräch, wo ich ja jetzt gerade verschiedene Gespräche mit verschiedenen Leute führe, dass da einfach so eine Situation entsteht, in der man Dinge immer wieder neu sagt und immer wieder gleich sagt und dann schwankt das immer hin und her. Und ich find das interessant, was das macht, wenn die Dinge wiederholt werden, ob sie dadurch wahrer werden oder falscher bzw. unwahrer.
motor.de: Und hast Du das Gefühl, dass sich das die Waage hält?
PeterLicht: Auf lange Sicht werden Dinge wahrer, auf kurze Sicht ist das wie, wenn man 200 Mal einen Witz erzählt, dann ist das irgendwann nicht mehr lustig und wenn man 200 Mal das Gleiche erzählt, ist es irgendwann vielleicht auch nicht mehr wahr. Aber irgendwie stimmt das auch nicht, weil der Witz ist natürlich nach wie vor lustig – es ist ja lustig und es ist auch wahr. Davon handelt es zum einen….
motor.de: Hast Du das Gefühl, dass Du unglaublich viel Input hast und es immer so weiter geht?
PeterLicht: (lacht) Nein, das habe ich nicht. Da schreibe ich ja kein Lied drüber und wenn ich jetzt drüber nachdenke, ich finde es eine sehr schöne Formulierung “seine Stimme zu verlieren und diese Angst seine Stimme zu verlieren”. Das ist gut, da kann ich mich auch drin wiederfinden in dem Satz und ich sehe meine Lieder da auch nicht als Ausdruck meiner persönlichen Meinung zu irgendwas, sondern ich verleihe einem Satz Ausdruck und den singe ich. Das ist aber nicht unbedingt mein Satz, den ich persönlich mit mir herumtrage. Tu ich auch, aber – Ich steh’ dafür.
motor.de: Du differenzierst dich also quasi von dem Liedertextschreiber Peter Licht?
PeterLicht: Das soll für sich aus auf die Reise gehen und für sich funktionieren, ohne das ich dabei bin. Insofern differenziere ich mich dabei. Ich differenziere mich aber nicht davon, dass ich das nicht so meine, ich meine das absolut so. Ich sehe das so, dass das ein Satz ist, den ich so auf die Reise schicke und ich mir wünsche, das der gehört wird – er in einem anderen Menschenohr auftrifft und dann in sein Bewußtsein geht und da dann irgendwas stattfindet. So, das ist der Prozess von Senden und Empfangen. Und ich empfange diesen Satz selber. Der ist unterwegs und an diesem Frage-Antwort-Spiel nehme ich Teil dadurch und so ist dieser Kommunikationsprozess, der da stattfindet. Und auf eine bestimmte Weise bin ich da auch raus.
Peter Licht – “Sonnendeck”
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motor.de: Also ich bin beim Hören der Platte melancholisch geworden – ich nenne das jetzt einfach mal Pop-Melancholie. Ist das ein gutes Gefühl?
PeterLicht: Okay, das ist ne gute Frage. Darauf kann man nur antworten: Kommt drauf an (lacht). Manchmal kann man ja auch zu viel gute Laune nicht vertragen, zu viel Albernheit. Und manchmal kann man ja zu viel Ernsthaftigkeit nicht vertragen oder zuviel Melancholie.
motor.de: Machen wir uns mal an die Musikvergleiche. Ich habe an DAF, The Cure und Andreas Dorau gedacht. Am meisten kamen mit jedoch die Pet Shop Boys in den Sinn.
PeterLicht: Alles absolut nachvollziehbar. Musik, die mich auf jeden Fall beeinflusst. Ich hab da nicht so klare Bezugspunkte, ich hätte da genauso gut den Bezugspunkt Bob Dylan, der liegt hier jetzt gerade vor mir auf’m Tisch, also vom Sound natürlich nicht, aber vielleicht von der Erzählhaltung oder so. Aber ich finde das gut, wenn das so rüberkommt. Gerade Pet Shop Boys im besonderen, weil zum Beispiel beim Lied “Begrab mein iPhone an der Biegung des Flusses” auch absolut beabsichtigt war, den größtmöglichen Pop zu veranstalten und da sind Pet Shop Boys natürlich die absolute Referenzmarke.
motor.de: In “Wir sollten Uns Halten” singst Du “In einem parallelen Universum wo die Komaleute laufen oder liegen / Diese Nacht sollten wir bleiben, diese Nacht im Komaland.” Hast du das Gefühl, dass wir in einer Gesellschaft von Untoten leben? Ich hatte das jetzt einfach als Hinnehmer-Gesellschaft aufgeschlüsselt.
PeterLicht: Hinnehmer-Gesellschaft hört sich jetzt so an, als ob ich die Gesellschaft anklagen würde, sie würde irgendetwas hinnehmen, so von wegen der unmündige Mensch, der durch Konsum geleitet ist. Auf der Seite würde ich jetzt erst mal verneinen wollen, weil es mir so flach vorkommt. Auf der anderen Seite finde ich diesen Zustand von Koma total interessant, auch als Bild von Gesellschaft, in welchem mentalen Zustand man sich so befindet und in welchem System der Mensch da verhaftet ist oder ob er überhaupt ein Bewusstsein hat. Das Wesen des Komas ist ja auch ein sehr geheimnisvolles. Die Maschine läuft, aber das Bewußtsein ist abgekoppelt oder ausgeknipst für die Zeit des Komas, das ist so ein somnambuler Zustand und das finde ich einfach sehr interessant. Und wenn ich mir die Zustände hier angucke, dann hat das was sehr komahaftes.
motor.de: Aber du fühlst dich schon wohl, du willst ja immerhin für eine Nacht bleiben…
PeterLicht: Ja, es geht eben auch darum. Ich find das dieser Komazustand, dass das auch was mit Haltlosigkeit zu tun hat. Wenn ich mir einen Menschen vorstelle, der jetzt im Koma liegt, dann würde ich sein Bewußtsein als ein heruntergefallenes Bewußtsein sehen, wo der Körper sozusagen noch oben liegt und das Bewußtsein das sinkt einfach ab, in so unterbewußte, unterirdische Schichten und ist nicht mehr so richtig vorhanden und das hat was mit Halten oder nicht Halten zu tun. Und dann wird dieses Koma dadurch aufgehoben, das es gehalten wird. Und wir sollten uns halten, dass finde ich eine hoffnungsvolle Handlung im Zusammenhang mit Koma. Wenn das Koma da ist und ich jemanden halte, dann gibt es keinen Gegendruck, es gibt einfach nur das Halten. In den Begriffswelten findet das so statt. Und ich seh das ganz persönlich, also ganz konkret gesprochen, auf einen Menschen und ich finde das dann aber auch interessant über die Komapläne, über die Komabauten und über das parallele Universum. Das sind so die Assoziationspunkte, in denen so ein Text dann hin und her klackert.
motor.de: Du hast gerade über etwas hoffnungsvolles geredet und ich habe hier noch ein Zitat: “Der Tag beginnt, das ist viel – er könnte es auch nicht tun”. Bist du ein hoffnungsvoller Mensch?
PeterLicht: Ja.
motor.de: Cool.
PeterLicht: Ich möchte und ich kann die Welt nur vor dem Hintergrund der Hoffnung sehen. “Das Ende der Beschwerde” ist auch so ein Titel der Hoffnung in sich trägt und so ist das auch gemeint.
motor.de: “Gesellschaft wär toll, wenn die anderen nicht wären” – Wie würde sich PeterLicht in einem menschenleeren Paradies einrichten? Die Frage ist also: Wärst Du ein guter Adam gewesen?
PeterLicht: (Lacht) Ich empfinde diesen Satz auch als zwiespältig. Ich empfinde da ganz verschiedene Sachen dazu. Das eine ist die Provokation diesen Satz auszusprechen, weil es ein hässlicher Satz ist. Dann ist es aber auch so ein Satz, der so einen halben Meter auf einen zugeht und dann wieder einen halben Meter wieder zurückgeht und auch irgendwie so eine Distanz behauptet und ich sehe diesen Satz auch nicht als meinen Satz als meine Haltung dazu, sondern ich sehe dass das ein Satz ist, der gesprochen wird oder ausgesprochen oder gelebt da ist. Das ist auch so ein Schwarmsatz, auf der einen Seite so eine Hinwendung zum Schwarm und dann wieder eine Abgestoßenheit oder ein Bedürfnis nach Vereinzelung. Dann das Gefühl von Massenhaftigkeit, was auch ein bedrängendes Gefühl ist, Überbevölkerung, überall zu viel Leute, alles ist verstopft, alle Lebensbereiche sind zu und überall wird unendlich viel produziert und gedacht und gemacht und gefühlt und es wächst und wächst und das ist dann so ein reflexhafter Satz, der so in der Luft ist. So. Ich finde beides gut – Einsamkeit und Gesellschaft, beides total wichtig auch und eigentlich ist das genau der Satz, der das beschreibt, diese beiden Gefühle.
motor.de: Sag mal, du kommst mir unglaublich höflich vor. Wirst Du auch mal ausfallend?
PeterLicht: Nur auf meinen Platten werde ich ausfallend. 3 Minuten 30 lang ausfallend (lacht).
motor.de: Das ist ja auch die perfekte Länge. Was ich noch interessant fand: “Ich bin angekommen am Ende des Traums.” Der Begriff kam mir bei Dir so negativ belastet vor, während ich immer im Kopf habe, dass es was Gutes ist zu träumen.
PeterLicht: Selbst auf der Platte gibt es auch dieses ein “traumloser, staatenloser Staat” und auf der letzten Platte hatte ich den Track “Der Traum”. Ich finde das ist eine interessante Frage, ob der Traum wirklich ein guter Zustand ist und habe mich für dieses Lied entschieden, dass es das nicht ist. Bestimmte Formen von Träumen sind per se Unglücksmaschinen und es hat für mich eine positive Kraft zu sagen, “Ich bin angekommen am Ende des Traums, ich möchte den Traum nicht, sondern ich bin jetzt hier in der realen Welt”. Aber ich kenne auch den Zustand des Träumens und habe beim Lieder schreiben und Musik machen und Texten hat immer viel mit Träumen immer zu tun; mit diesem Fiktionalen und Gebilden, die dadurch entstehen, das sind ja Tagträume und Klangträume und so.
PeterLicht – “Heiterkeit”
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motor.de: Wenn Du Interviews gibst, geben sich die Leute immer viel Mühe, dir ernsthafte Fragen zu stellen. Würdest Du es dir mal wünschen, dass jemand kommt und Dir so’n paar doofe Fragen stellt.
PeterLicht: Ich denke mal, um ehrlich zu sein, dass schon genügend…
motor.de:…dumme Fragen kommen.
PeterLicht: Nein! Es ist alles völlig okay. Ich bin da wunschlos. Ich finde es erstmal gut, dass ich gefragt werde und sich die Leute die Zeit nehmen und sich was für ein Gespräch überlegen. Und ich finde es interessant. Ich hab mich jetzt zwei Jahre damit beschäftigt und dann ist es ein interessantes Feedback. Ich find auch doofe Fragen gut, weil ich manchmal nicht anders kann, als doofe Antworten zu geben. Ich bin da wunschlos.
motor.de: Jetzt kommt in der Tat aber noch eine sehr doofe Frage.
PeterLicht: Das glaube ich nicht.
motor.de: Nein, stimmt – es ist eine sehr schöne Frage. Mir kam alles so ernsthaft vor und da hab ich mich gefragt, ob Du mir einen Witz erzählen kannst?
PeterLicht: Ich bin echt der schlechteste Witzeerzähler.
motor.de: Oh nein! Das sagen alle. Aber bei den meisten stimmt es dann auch wirklich.
PeterLicht: Ja, bei mir stimmt’s auch. Ich verwurste immer die Pointe. Oder ich erzähle es so, dass schon jeder Witzanteil verraucht ist bevor die Pointe kommt. Es ist hoffnungslos. Deshalb mach ich ja hier meinen Kram. Das ist mein Witz.
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