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Gibt es das? Eine gesamtdeutsche Musikerbiographie. Und wenn ja, wie sieht sie im Jahr 2005 aus? Sechzehn Jahre nach der Wiedervereinigung. Sechzehn Jahre – das ist eine Generation…
Name: Dirk Jahrens. Geboren in Berlin-Weißensee vor gut 30 Jahren. (Für all jene, die sich im Osten nicht so gut auskennen: Weißensee galt als „das“ Künstlerviertel der DDR) Mutter: Apothekerin. Vater: LKW-Fahrer. Dirk wollte singen. Schon als Steppke stellte er sich vor die Kolleginnen der Mutter und schmetterte West-Schlager. „Theo, wir fahren nach Lodz“ war sein Favorit. Weil sich das „Theeeeooo“ so schön in die Länge ziehen ließ.
„Aber schon mit zehn Jahren wollte ich weg“, sagt Dirk. „Die Frage war immer da: was ist hinter den Grenzen? Und die Antworten waren einfach zu dämlich: der Imperialismus.“ Er flog aus dem Staatsbürgerkundeunterricht – sein Lehrer hatte gefragt: Wirtschaft oder Natur. Und Dirk hatte sich für die Natur entschieden. Das war Anfang der 80er Jahre und die DDR-Ökonomie pfiff auf dem letzten Loch.
Die Eltern spendierten Dirk eine private Musikschule. Er lernte die Grundlagen, beschäftigte sich mit Klassik, schulte das Gehör. Mit seinem Kumpel aus Weißensee, dem Songwriter und Gitarristen Thorsten Rehmet, klimperte Dirk ziellos herum. Wozu in einem popkulturellen Entwicklungsland Popmusik machen? Gemeinsam träumten die beiden Jungs von London, dem Mythos, dem musikalischen Pol der Welt, dem gelobten Land.
Es folgte die Armeeverweigerung. „Ich wollte nicht hilfreich sein“, murmelt Dirk. Er durfte nicht studieren und stellte mit 16 Jahren den ersten Ausbürgerungsantrag. „Jeden Dienstag ging ich zum Amt für Ausreisegenehmigungen. Da saßen alte, strenge Frauen mit nach hinten gebundenen Haaren. Und im Nebenzimmer hörte ein Stasi-Mann alles mit. Das war so klischeehaft, so albern und peinlich – und zugleich war ich in diesem lächerlichen System gefangen.“ Unerwartet kam sie doch, die Ausreisegenehmigung. „Natürlich verfing ich mich im Westen gleich wieder. Wenn Du plötzlich Farben siehst, willst Du Dein Leben bunt streichen. Ich kaufte mir einen 230er Benz. Und brauchte ein Jahr, um mich ein weiteres Mal zu befreien.“
Dann ging Dirk nach London. Gemeinsam mit seinem Freund Thorsten Rehmet. Der Traum sollte Realität werden. Eine Band. Songs schreiben. Auf die Bühne. Frauen und das alles. „Ich hatte meist zwei bis drei Jobs parallel“, erinnert sich Dirk. „Und es gab Hungerphasen. London war so verdammt teuer. Und erstmal mussten wir Englisch lernen.“ Da rannten also zwei Jungs aus Ostberlin durch die Metropole der Popmusik und radebrechten munter miteinander herum. „Wir hatten uns vorgenommen, auch miteinander kein Deutsch mehr zu sprechen – um so schnell wie möglich auf Englisch klarzukommen. Wir waren am Anfang eine ziemliche Freakshow.“
Mit der Zeit kamen die Kontakte, das Wissen um die richtigen Clubs, die richtigen Treffpunkte, die richtigen Leute. Sie schrieben Songs – auf englisch – und sie spielten in Bands; Dirk sang. Ihre Band hieß Third Kind. Der Bassist wohnte mit Nigel Goddrich zusammen, dem Produzenten von Radioheads „OK Computer“. Sie lernten Labeltypen kennen, Musikmanager mochten ihre Songs. Sie unterschrieben einen Vertrag mit Mute, dem Label von Depeche Mode. Der Deal platzte. Sie unterschrieben bei einer kleinen Plattenfirma, die bankrott ging.
Sie hoben nicht ab. Aber sie machten Musik. In London. Das war schon eine ganze Menge für zwei Jungs aus Ostberlin.
Dirk studierte das Deutschsein. Die Sprache, die hängende Haltung, den Habitus. Und die Witze der Briten über die Deutschen. Der Blick von außen, von London aus auf die unmögliche Identität, auf die eigene Geschichte führte zum Wunsch nach Veränderung. Dirk wollte auf Deutsch singen. „Nur wenn ich es besser, wenn ich es anders mache, kann ich etwas verändern“, sagt er. Und man spürt schon den Photonensurfer in diesen Worten. Den Musiker, den Texter, den Sänger, den Künstler, der Zeilen wie aus einem Manifest singt: „Bleib Dir treu und Du findest immer einen Weg.“ „Glaub an uns, denn wir werden viele“. Oder einfach nur: „Sei dagegen“.
Als sein Vater krank wird, kehrt er zurück nach Berlin. „Außerdem fühlte ich mich wohler in diesem Land. Ich spürte eine Veränderung, die sich mit meinem Wunsch nach Verändern verbinden ließ.“
Er mietete ein Haus, suchte Mitbewohner, um es sich leisten zu können, jobbte. Und baute sich ein kleines Studio. Dann zog er sich zurück. Ein halbes Jahr lang und schrieb 40 Songs. Auf Deutsch. Allein. Denn sein alter Kumpel Thorsten wollte noch ein wenig auf Englisch weiterträumen.
„Meine Rückkehr war für mich keine Niederlage, sondern ein Neuanfang. London war anfangs ein Gefühl, in das ich nicht ganz reinpasste. Als ich dann reingewachsen war, ergaben sich Chancen, ich habe gelernt – vor allem meine Naivität abzustreifen.“ Die Ambition, von der Musik zu leben, ging darüber nicht verloren. Dirk Jahrens sammelte das nötige knowhow. Dann wurde er zum Photonensurfer.
Er produzierte seine Demos selbst. Lief zu Plattenfirmen, erhielt erste Angebote, verwarf sie, lernte sein Berliner Management kennen und entwickelte gemeinsam mit ihnen, dem Schwesterlabel Motor und ihrem Sender Motor FM einen Vertrag und ein Konzept, das eine lange Zeit der Zusammenarbeit beinhaltet, den Wunsch nach Entwicklung, nach miteinander wachsen, nach gemeinsam ankommen. Dann suchte er sich seine Band. Er holte seinen alten Kumpel Thorsten Rehmet zurück, sie söhnten sich miteinander und Thorsten mit deutschen Texten aus. Er fand den Bassisten Dominik Henn und den Schlagzeuger Tom Wischer. Zusammen fuhren sie in die Provinz, nach Laubenheim an der Nahe, verzogen sich dort im Ultraton-Studio und erarbeiteten mit Produzent Ronald Prent, der bei der Aufnahme beriet und den Mix machte, das erste Album „Neue Weltordung“.
Der Name ist ein Hinweis: dass sich hinter dieser eigentümlichen Musikerbiographie des Dirk Jahrens eine Art Plan befinden könnte. Denn wer sich ein wenig mit Photonen und der Photonenforschung beschäftigt, lernt irgendwann Professor Popp und seine Theorie vom Licht in jeder lebendigen Zelle kennen. Und dass unsere Zellen mittels Licht miteinander kommunizieren und dass auf diese Weise eine eigenständige Ordnung im Körper und womöglich im Universum entsteht. Und dass auf diese Weise eine erste Antwort auf die große Frage nach dem Ursprung des Lebens entsteht. Das ist weder esoterisch noch sonderlich verwegen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, hat mit Quantenphysik und Molekularbiologie zu tun – und gefällt dem Photonensurfer. Und vielleicht gibt es den Schlüssel zu seiner Biographie und zu seiner Musik in die Hand.
Tracklisting “Neue Weltordnung”:
01 Sterne
02 Neue Weltordnung
03 Photonensurfer
04 Ich Glaub An Dich
05 Machtlos
06 Retortenwelt
07 Dagegen
08 Zu Dir
09 An Euch
10 Elysium
Photonensurfer sind:
DIRK JAHRENS / Gesang & Gitarre
THORSTEN REHMET / Gitarre
DOMINIK HENN / Bass
TOM WISCHER / Drums
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