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Mehr Demokratie gewagt, das haben Polarkreis 18 für ihr neues Album: über ein gutes Bandklima, B-Seiten und die am Nagel baumelnde E-Gitarre.
Polarkeis 18 zählen zu den erfolgreichsten deutschen Popbands. Über 100.000 Mal verkaufte sich ihr letztes Album “The Colour Of Snow” und brachte den Jungs somit eine goldene Schallplatte ein. Kommenden Freitag nun kommt der langersehnte Nachfolger. “Frei” ist das bisher “reifste Studiowerk” der Dresdner Band, wie sie schon im Vorfeld stolz äußert. Wir wollten es etwas genauer wissen und trafen uns mit Sänger Felix Räuber und Gitarrist Ludwig Bauer.
motor.de: Nächsten Freitag ist es soweit – endlich erscheint die neue Platte. Gefühle, Eindrücke, Wünsche?
Felix: Wir sind natürlich sehr gespannt auf die ersten Reaktionen und wollen endlich wissen, wie das Album bei den Hörern ankommt. Einige von uns surfen viel im Netz, um die ersten Resonanzen zu lesen. Manchmal lässt man den PC aber auch einfach aus. Es ist schon ein ziemlich spannendes Gefühl.
motor.de: Was kam denn bisher so an bei euch? Wie waren zum Beispiel die Reaktionen auf die “Unendliche Sinfonie” und euer erstes Video?
Ludwig: Es ist ganz gemischt, wie das bei uns irgendwie schon seit dem letzten Album so ist. Ein konkretes Feedback haben wir eigentlich noch nicht bekommen. Auf jeden Fall ist es spannend und läuft gerade noch an. Dem einen gefällt’s halt, dem anderen nicht. Man selber nimmt sich jedoch jeden Kommentar zu Herzen.
motor.de: Tatsächlich?
Ludwig: Ja klar. Trotzdem ist es so, dass wir extrem hinter dem Album stehen, es ist ein sehr starkes und sehr gutes Album geworden.
Polarkreis 18 – “Unendliche Sinfonie”
motor.de: Erzählt doch mal ein paar Takte zur Platte. Wie waren die Aufnahmen?
Felix: Dieses Mal war es wesentlich unspektakulärer, zum Teil aber auch spektakulärer als beim letzten Album. Wir haben uns in Dresden ein eigenes Studio gebaut, uns dort eingeschlossen und waren von 11 Uhr morgens bis 20 Uhr abends fünf Tage die Woche gearbeitet, später sogar auch sieben Tage. Es gelang uns tatsächlich, so eine Art Arbeitsalltag zu erschaffen: Wir haben uns im Studio getroffen, um dort zu schreiben, Songs zusammen zu werfen und diese auszuwerten. Eigentlich waren wir vom letzten November bis August diesen Jahres straff und strukturiert bei der Sache.
motor.de: Habt ihr euch dieses Mal auch selbst produziert oder gab es Hilfe von außen?
Ludwig: Wir haben das Album gemeinsam mit Sven Helbig produziert, das ist ein Dresdner Kreativkopf und Künstler, der ursprünglich eher aus dem klassischen Bereich kommt. Er ist studierter Schlagzeuger und Orchester-Arrangeur und hatte auch schon auf dem letzten Album Streicher-Arrangements für uns geschrieben. Über die Jahre sind wir dann zusammengewachsen. Nach einigem Hin und Her konnten wir ihn dann auch davon überzeugen, mit uns zusammen die Platte aufzunehmen. Er hat ein wenig Regie geführt – das war sehr gut. Schließlich sind wir sechs Leute in der Band und haben hin und wieder auch sechs verschiedenen Meinungen. Da gibt es relativ komplexe Entscheidungsfindungsprozesse, die manchmal auch nicht funktionieren. Er hat bei diesen moderiert und war auf jeden Fall eine große Hilfe.
motor.de: Ansonsten habt ihr euch aber nicht großartig reinreden lassen?
Ludwig: Wir haben schon ziemlich autark gearbeitet und auch erst sehr spät Leute hinzugezogen. Dennoch hat Sven definitiv eine entscheidende Rolle gespielt
motor.de: Wenn man im Vergleich auf die Entstehung der letzten Alben schaut, wie war es da dieses Mal?
Felix: Es gab insofern einen großen Unterschied, dass wir jetzt noch mehr auf uns sechs verlassen wollten, um unser gemeinsames Gruppenpotential auszuschöpfen. Bei uns haben wirklich viele Leute Material geschrieben und beigesteuert. Ganz am Anfang hatten wir 50 Songs zur Auswahl. Dabei verließen wir uns noch stärker auf Team- und Gruppenarbeit und das hat uns auch mehr Vertrauen geschenkt als je zuvor. Diese Herangehensweise setzte viel neues Material und auch viel neue Kraft frei. Genau das hat das Album auch so gut werden lassen. Es ist wirklich hörbar, dass jeder Song eine starke eigenständige Note hat – das liegt an dem sechs-Mann-Gespann.
motor.de: Bei so viel Material im Vorfeld angehäuft – wird es da vielleicht auch eine Platte mit B-Seiten geben?
Felix: Ja, über so etwas denken wir auf alle Fälle nach. Vielleicht kommt ja was davon auf das nächste Album. Aber für die neue Platte war es uns wichtig, dass wir wirklich nur das nötigste und wichtigste auswählen. Wir haben auch relativ rigoros rausgestrichen. Man kann sich das wie ein Parfum vorstellen, das man aus den verschiedensten Essenzen zusammen mischt und das dann in einer Flasche endet. (lacht)
motor.de: Bei sechs Leuten in der Band gab es bei der Auswahl der Songs doch aber bestimmt viele Diskussionen. Das stelle ich mir gar nicht so einfach vor.
Ludwig: Klar, gab es die. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir immer probieren wollen, so demokratisch wie möglich an Probleme heranzugehen. Natürlich gibt es viele Konflikte. So etwas kann aber nur funktionieren, wenn sich Leute auch mal zurücknehmen können. Wir wollen eine demokratische Band sein. Aber da gibt es auch ganz klar Grenzen. Es ist jedoch auch wichtig, dass mal jemand vorprescht oder die Zügel in die Hand nimmt, um ein Lied in eine andere Richtung zu lenken. Man sagt ja auch, dass der Begriff „Kompromiss“ auch öfter mit etwas Negativem belegt ist. Es muss jeder ein Stück von seinem Recht bekommen, aber trotzdem muss auch etwas haltbares dabei entstehen. Man muss dann schon schauen, ab welchem Punkt ein Kompromiss dazu führt, dass eine Sache vielleicht nur halbherzig wird. Aber ja, an manchen Stellen war es durchaus schwierig, eine Entscheidung zu treffen.
motor.de: Man könnte also sagen, dass ihr noch nie so demokratisch wart wie jetzt?
Felix: Ja, das auf jeden Fall, das muss man sogar so sagen. Wir sind mittlerweile sehr demokratisch. Wir haben festgestellt, dass man ein Stück Verantwortung und Ego abtreten muss, bevor man ins Studio geht. Wir spürten, dass danach nicht alles zusammenbricht, sondern sich neues Potenzial entwickelt. Das ist ein extrem cooles und starkes Gefühl, was man da als Gruppe bekommt.
motor.de: Euer Sound hat sich auch ein bisschen verändert. Wie seht ihr das?
Felix: Das ist alles noch ein bisschen fetter als bei den vorherigen Alben. Es liegt auch daran, dass wir die Platte in Schweden mischen ließen – bei einem sehr guten Mischer, der mit vielen bekannten schwedischen Pop-Acts arbeitet. Die Stimme ist auch weiter vorn, was das Album näher und direkter klingen lässt. Insgesamt klingt die Platte wirklich sehr groß und fett.
motor.de: Gibt es eine besondere Perle in der Tracklist, auf die ihr besonders stolz seid?
Felix: Natürlich hat jeder so seine persönlichen Lieblinge. Jeder Song hat im Studio ungefähr gleich viel Zeit beansprucht. Wir haben an jedem Track sehr lange gearbeitet. Aber es gibt natürlich schon Songs, auf die sich alle einigen können. Zum Beispiel „Letting Go“ oder „Deine Liebe“. Das sind die Songs, die die Polarkreis 18-Essenz momentan am besten zusammenfassen.
motor.de: Wie verhält es sich denn mit dem Sprachgemisch? Habt ihr, was das das Deutsch-Englische angeht, auch was verändert?
Ludwig: Eigentlich nicht. Wir haben uns zunächst einen kleinen roten Faden gesponnen, wie wir das Album aufziehen wollen. Dazu gehörte auch, diesen Sprachmix etwas mehr auszuformulieren. Wir haben das Gefühl, dass das für uns schon als eine Art Trademark gilt. Es ist sehr interessant, die Sprachen zu kombinieren und an sinnvollen Stellen einzusetzen.
Felix: Beim letzten Lied „Elegie“ hört man zum Beispiel gar nicht mehr wirklich, dass da deutsch gesungen wird. Das wird in dem Song durch die Musik etwas verschleiert.
motor.de: Im Vorfeld hörte man große Töne von eurer Seite. “Frei” sei euer bisher reifstes Werk.
Felix: Wir sind ja auch reifer geworden. Das heißt, es ist auch unser reifstes Werk. (lacht)
motor.de: Daher auch der Einschlag von Schubert und seiner “Winterreise”? Wie kam es denn dazu?
Felix: Prinzipiell muss man sagen, dass wir uns natürlich nicht mit dem Ziel hingesetzt haben, eine Neuinterpretation der Winterreise zu schreiben. Am Anfang steht bei uns die Intuition. Songs werden zu Hause geschrieben, mitgebracht und dann schaut man erst, was passiert. So ist es auch bei der Winterreise gewesen, die kam erst nach der intuitiven Ersterschaffung dazu. Wir haben nach einer klaren Linie für das Album gesucht, etwa wie nach einer Wäscheleine, an der wir die Songs aufhängen können. Wir wollten einfach nicht in dieser Flut an Möglichkeiten ersticken, also suchten wir uns einen einzelnen Protagonisten und dessen Lebensgeschichte. Jemanden, der von dem Befreiungsschlag am Anfang bis hin zum letzten Lied, der „Elegie“- dem Tod, die wichtigsten Stationen seines Lebens abschreitet. Unser Produzent Sven saß eines Tages da und sagte: „das ist so eine Art moderne Winterreise“. Da sind wir hellhörig geworden und beschäftigten uns nochmal ein bisschen näher mit dem Tehma. So stellten sich schnell Parallelen heraus, an denen wir dann weiter arbeiten wollten.
motor.de: Das war spontan?
Beide: Absolut.
motor.de: Am 17. Dezember steht für euch ein exklusives Konzert in Dresden an und somit auch eine Livepremiere. Was habt ihr für den Abend in Planung?
Felix: Wir werden auf jeden Fall viel experimentieren. Es wird ein ganz besonderer Abend und vom Ablauf her auch kein typisches Konzert werden. Wir haben Gastmusiker und viele Freunde eingeladen und wollen Interpretationen bestimmter Songs wagen, die wir so noch nie gemacht haben. Das Konzert findet im Schauspielhaus Dresden statt, einem Theater also, was auch nicht alltäglich für uns ist. Das sind so die wichtigen Punkte. Mehr möchte ich noch nicht verraten.
motor.de: Kurz als Abschluss – man liest über euch, dass ihr aufgrund der Blur-Platte „13“ eure härteren Wurzeln verlassen habt. Ist das wahr?
Felix: Das stimmt wirklich. (grinst)
motor.de: Warum gerade diese Platte?
Felix: Es ist eine großartige Platte. Sie ist deshalb so interessant für uns, weil sie ein einziges Experimentierfeld ist. Da hört man Gospelchöre, Loopschleifen von Shoegazer-Gitarren, Melodikas und abgefahrene Chöre. Das hat uns damals sehr fasziniert. Magst du sie nicht?
motor.de: Doch schon, aber ich wäre mit dieser Platte nicht auf die Idee gekommen, meinetwegen den Punkrock an den Nagel zu hängen.
Felix: Wir auch nicht. Das ist ja immer der Trugschluss. Wir haben nur unsere E-Gitarren an den Nagel gehangen und dafür 300 000 Soundschichten übereinander gestapelt. Das hat ja dann quasi den gleichen Effekt.
Die Rezension von “Frei” findet ihr »hier.
Interview und Fotos: Alex Beyer
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