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(Foto: DL Anderson)
Pop für Leute mit Hirn
Puh, ey. Es gibt sie doch noch. Pop-Musiker, die ihr Handwerk beherrschen und authentisch sind, in dem was sie tun. Sylvan Esso heißen die Heilsbringer aus Durham/Brooklyn/Winscosin, kommen aus den Staaten und eigentlich aus dem Folk. Die Großstadt hat sie, genau wie viele andere vor ihnen, verdorben (danke, lieber Gott!) und dazu gebracht, den klassischen Brooklyn-Sound aus Pop mit Elektro und schicken 90s-Visuals zu verbinden. Alles schon tausendmal gehört? Ja, und nein! Wer Textzeilen wie „My baby does the hanky panky“ erfolgreich in einen Song einbaut oder einen anderen Track „H.S.K.T“ (Head, Shoulders, Knees, Toes) betitelt, dabei allerdings aus kindlichem Scheiß echte Emotionen baut, sollte einfach genau so gefeiert werden, wie es im Privatclub, Berlin geschah, als Sylvan Esso als Support von Wye Oak ekstatische Zuckungen hervorlockte. Ein Interview war also Pflicht, Erkenntnisse gab es über Maschine Pop-Musik, Arschlöcher-Youtube-Kommentatoren, und die Wahrheit hinter „Girls“ – und siehe da: Die sind genau so cool, wie es die Musik erahnen lässt!
Motor.de: Was und Wer sind eigentlich Sylvan Esso?
Nick Sanborn: Was? Eine Band. Wir machen Popmusik. Wer? Nick Sanborn und Amelia Meath.
Motor.de: Wo ist für euch momentan zuhause?
Nick: Durham, North Carolina. Wir sind vor 1 ½ Jahren hingezogen. Ich habe vorher in Wisconsin gelebt und Amelia in Brooklyn. Sieht aber so aus, als würden wir eine Zeit lang nicht mehr hinkommen.
Motor.de: Musik Genre-Bezeichnungen sind häufig einfach Produkte der Köpfe von Label-Promotern. Was ist aber eure Bezeichnung für das, was ihr tut?
Amelia Meath: Wir versuchen Pop für Leute mit Hirn zu machen, die sie sich stretchen und bewegen wollen.
Nick: Songs schreiben, die Pop sind, aber eben trotzdem noch Songs – nicht nur ein Haufen Sounds oder Stränge von aufgeregten Statements wie „Lass feiern! Ich will mit dir rummachen! Wir sind so jung!“
Motor.de: Schau an, solche Erklärungen finde ich besser. Die Definitionen ist ja einfach nur der easy-way-out für Musikjournalisten, die dann nicht mehr beschreiben müssen, was die Musik uns fühlen lässt.
Nick: Ja, danke! Da ist definitiv ein Defizit von Musik-Schreibern, die tatsächlich über Musik schreiben.
Amelia: In den Staaten nimmt man gerne das Wort „electro-folk“ in den Mund, was einfach nur die dümmste Bezeichnung für unsere Musik aller Zeiten ist. Die entscheiden wohl – weil wir beide vorher in Folk-Bands waren – dass ich plötzlich „folk vocals“ habe – die aber auch nicht existieren. Folk bedeutet schließlich einfach Musik des Volkes. So dumm, das macht mich echt sauer.
Motor.de: Das mit den Folk Vocals verstehe ich aber irgendwie. Country und Folk-Sänger haben so eine bestimmte Stimmfarbe, dass man immer Banjos im Hintergrund hören will. Und ich stell mir Leute vor, die mit dem Arm aus dem offenen Pick-up Truck Fenster rumfahren. (alle lachen)
Anyways … ihr seid zu zweit, in eurer Musik passiert aber ziemlich viel und es scheint, als müssten da mehr Leute am Werk sein. Mal hypothetisch, wenn Dinge wie Budget keine Rolle spielen würden, wie sähe dann eine perfekte Live Show aus?
Amelia: Ich hätte gerne eine richtig geile Lichtshow und Tänzer. Das sollte so sein wie eine zusammengeflickte komplett eingefädelte Mainstream-Popshow, wenn aber deine all deine Freunde entschieden hätten, sie zu machen.
Nick: Aber es wären wohl trotzdem nur wir zwei. Es ist einfach so easy mit nur uns zwei.
motor.de: War Musik schon immer euer Plan? Oder war eigentlich ein Cupcake Shop geplant?
Amelia: Ich wollte eigentlich Theater machen. Erst Tanz, dann Theater, dann Zirkus. Aber dann ist die Musik passiert.
Nick: Musik war schon immer das Ding für mich. Aber ich hätte echt gerne einen Sandwich-Shop. Wenn wir das hier gegen die Wand fahren, ist das mein zweiter Traum.
Motor.de: Schon alles geplant? Kompletter Businessplan und so?
Nick: Klar, „Betty’s“ – ich weiß genau, wie es sein würde.
Amelia: Mein momentaner Fantasie-Job ist Pilzesammler. Pilze an fancy Restaurants verkaufen, den ganzen Tag im Wald verbringen. Vielleicht mit einem Schwein…
Motor.de: Da bist du glaube ich die erste, die mir das erzählt. (alle lachen)
motor.de: Wie habt ihr euch gefunden und wann wusstet ihr "Bleib!" zu sagen, um musikalisch nicht voneinander los zu lassen?
Amelia: Das hat eine Weile gedauert. Wir wurden bei einem Gig in Milwaukee zufällig zusammen gebucht, als ich mit Mountain Men aufgetreten bin und Nicks Solo Projekt Made Of Oak uns suppportet hat.
Nick: Das lief einfach. Dann sind wir per Mail in Kontakt geblieben. Amelia hat mich um einen Remix für einen Song gebeten. Hat 'ne Weile gedauert, bis ich gecheckt habe, wie das läuft, aber als ich’s dann verstanden habe wusste ich einfach, dass es meine neue Lieblingsbeschäftigung ist. Ich hab' diese Möglichkeit gesehen, so eine Band zu machen, dachte aber, dass Amelia viel zu beschäftigt dafür wäre. Als wir sechs Monate später das nächste Mal rumgehangen haben, meinte sie „Hey, das lief echt gut. Also, wir sollten mehr davon machen!“ – das war „Play It Right“.
motor.de: Ja, genau: da hab ich die Version von Mountain Men gesehen und mich gefragt: Geht das einfach so? Den Song nehmen und euers machen? Keine verletzten Gefühle?
Amelia: Ich hab' den ja geschrieben…
Nick: Da gab’s nur ein ganz Bisschen Hass.
Amelia: Ja, nur kleine Quietscher. Aber das haben wir schnell geklärt. „Hey Mami“ haben wir dann über Mail gemacht. Und dachten da wieder: „Hey, das lief schon wieder ganz schön gut! Lass' uns mehr davon machen!“
Motor.de: Wir haben ja schon darüber geredet, dass ihr ein kleines Ding mit Folk und Country am Laufen hattet. Ist typisch amerikanisches Zeug eure musikalische große Liebe?
Nick: Wir haben beide so weitgefächerten Geschmack. Wenn wir eine Playlist machen müssen, ist das total wüst. Califone und Aliyah zum Beispiel – die zusammen zu nennen reicht ja schon aus. Wir sind einfach beide verliebt in die Idee von Musik. Und Leute, die wirklich ehrliche Entscheidungen darüber machen, was sie tun wollen. Dabei denke ich, dass man immer sehr genau sagen kann, wenn Musik von einem ehrlichen Fleck kommt. Wenn jemand etwas nur faked und versucht, irgendetwas zu machen, was er nicht ist, merkt man das einfach.
Amelia: Wenn es dich abholt, dann ist Genre egal. Wir hören uns gerne den Ausdruck von Künstlern an. Damit kommst du schnell in die Sache rein und verstehst jedes Genre.
Nick: Es dreht sich alles um’s Schreiben und ob man den Hörern tatsächlich was zu sagen hat. Aber wir lieben alles.
Motor.de: Nichts, wofür ihr euch schämt?
Nick: Früher vielleicht mal. Heute hab ich begriffen, dass das alles gut ist und ich mich deshalb nicht schämen werde.
Amelia: Gestern hab ich den ganzen Tag damit verbracht, das neue Lady Gaga-Album zu hören.
Nick: Hat sie wirklich….
Amelia: Ich weiß, es gibt Musik, bei der man anderen gegenüber eher schüchtern sein sollte, aber ich find’s trotzdem gut! Das Gaga-Album zum Beispiel: Nicht gut, aber trotzdem wie Drogen! Es ist soo gut! So lecker!
Nick: Wir haben beide damit angefangen, uns Platten aus Research-Gründen anzuhören. Insbesondere mit populären Alben ist es eine echt faszinierende Erfahrung sich das analytisch anzuhören. Du fängst an, über alles was du tust in einer ganz anderen Weise zu denken. Und siehst die Maschine „Pop Musik“ für was sie ist. Ehrlich gesagt denke ich manchmal „Oh Mann, das hättest du viel besser gemacht!“
Motor.de: Könnt ihr Musik denn wirklich noch zum Vergnügen anhören – ohne den ganzen Apparat dahinter zu sehen?
Nick: Das ist echt schwer. Das geht aber wieder zurück auf die Ehrlichkeits-Sache. Wenn jemand etwas echt ehrlich macht – dann hörst du auf, auf das „wie“ zu achten und hörst einfach den Song. Aber das passiert nicht häufig. Wenn du von der Musik lebst, wird dir die Fähigkeit, Fan von etwas zu sein, leicht genommen – weil du es einfach durchschaust. Da wird’s schwieriger, das Mysterium Band abzukaufen, wenn du die Leute hinter dem Vorhang kennst und weißt, dass ihr alle nur ein Haufen Leute seid, die den ganzen Tag im Van durch die Gegend fahren. Fan sein ist also schwieriger als vorher – andererseits kann ich gute Dinge jetzt auch viel mehr wertschätzen.
Motor.de: Im Video zu Coffee tauscht ihr ja nicht nur (Tanz-)Partner, Amelia hat auch einen kleinen Dance-Part am Ende. Mal ehrlich: War das dein Traum, den du seit 500 Days of Summer hattest?
Amelia: Willst du mich verarschen? Natürlich! Ich hab' das Skript dazu geschrieben. Das war also ich, wie ich meinte „Und am Ende, da darf ich tanzen!“
Nick: Das Coole ist ja, dass das ganze Album unsere Version davon ist, wie ein Pop-Album sein soll.
Amelia: Und das Video ist unsere Keller-Version vom Pop-Video, bei dem alle, die du liebst mitgemacht haben, anstatt von Leuten, die du bezahlst.
Nick: Deshalb liebe ich, was sie mit dem Video gemacht hat! Es fängt an bei einem echten Contra-Dance, also Ostküsten-Linedance, bei dem wir einfach gedreht haben. Ich liebe den Kontrast davon und der Beyonce-Choreo am Ende. (lacht)
Motor.de: Glaubt ihr, die Leute merken sich die Choreo und starten dann einen kleinen Dance-Off beim nächsten Konzert?
Amelia: Oh Gott, ich würde sterben, wenn das passiert. Ich wär so glücklich!
Nick: Das wär ziemlich dub! Für’s nächste Video müssen wir auf jeden Fall einen Move einbauen, der genau so einfach wie der flawless Beyonce-Move ist (bewegt die Hände dementsprechend). Daran denk ich DIE GANZE ZEIT! Das nächste Video wird einfach nur Getanze.
Motor.de: Ihr kommt im Mai wieder nach Berlin, oder? Ich versuche mal, mir die Choreo einzuprügeln und bin dann der seltsame Mensch in der Mitte vom Publikum!
Amelia: Haha, i love it!
Nick: Du solltest einfach mit uns auf die Bühne kommen!
Motor.de: Ihr eröffnet heute für Wye Oak. Wie läuft denn die Tour mit ihnen?
Nick: Normalerweise braucht’s so eine Woche, bis wir mit etwas beginnen, dass wir „Tour talk“ nennen. Also jene verstörte Sprache die du entwickelst, wenn du für so lange Zeit eingesperrt bist und Insider, geflügelte Wörter und so Zeug entwickelst. Da waren wir bereits an Tag Zwei!
Wie ist denn eure Einstellung zu Youtube-Kommentaren?
Nick: Niemals die Kommentare lesen. Das ist die Regel.
Amelia: Das erste Mal, das wir einen Blog-Eintrag auf brooklynvegan.com bekommen haben – was echt ein dickes Ding in den Staaten und berüchtigt für einfach die fiesesten Kommentare ist – gab’s dazu ein riesiges Bild, was echt aufregend für uns war. Um 9 Uhr morgens sehen wir den Post, scrollen runter und den ersten Kommentar, den ich sehe, ist: „Ich frage mich, wie ihr Arschloch aussieht“.
Motor.de: Wtf?!
Amelia: Jap. Das ist die beste Möglichkeit, jemanden zu defamen. Sobald du das liest, ist alles woran du denkst halt echt: „Oh Gott, WIE sieht ihr Arschloch wohl wirklich aus?“
Nick: Das war so fucked up. Ich hab mich gefragt, wer wohl dieser Mensch ist, der darauf kommt, sowas zu schreiben. Später hab' ich auf der Startseite einen Post über Who Am I und ihre Tour gesehen. Da scrolle ich runter, und – sure enough – „Ich frage mich, wie ihr Arschloch aussieht“. Dann haben wir festgestellt, dass der Typ seit 2006 unter so ziemlich jedes Frauen-Bild diesen Kommentar schreibt.
Amelia: Zu den Leuten vom Blog meinte ich dann auch: „Ihr müsst irgendetwas gegen Asshole-Typ machen“ – die haben mir dann gesagt, dass die gesamten grausamen Kommentare von nur zwei PCs kommen.
Nick: Das Problem mit Kommentaren ist, dass es dich für kurze Zeit davon überzeugt, dass Menschen einfach die Schlimmsten sind, du durch den Supermarkt läufst, Leute anguckst und denkst : Bist du der Asshole-Typ? Tatsache ist aber: sind sie nicht – das sind nur zwei Typen, die bei ihren Eltern im Keller sitzen und sich löffelweise Butterschmalz reinschieben!
Motor.de: Eben. Was für Menschen finden schon die Zeit und Energie im Leben, um im Internet über irgendwas Scheiße zu verbreiten.
Amelia: Leute sind einfach so. Insbesondere über Frauen gibt’s ständig sowas wie: Oh yeah, ich würd’ sie meine Ladung schlucken lassen.
Nick: Andererseits gibt’s keine beträchtliche aggressive weibliche Population im Internet die schreibt:„Ach, der Typ. Ich wette, der hat 'nen kleinen Schwanz!“
Motor.de: Amelia, du hast in Brooklyn gewohnt. Was hältst du von Girls?
Amelia: Hab’s mir bis jetzt aufgespart. Momentan denke ich, würde es mich zu sehr an zuhause erinnern. Als ich noch in Brooklyn gewohnt hab, hatte ich andererseits Angst, dass es genau wie mein Leben aussehen würde.
Motor.de: Das Leben ist wirklich so?
Nick: Ich hab nur die 1.Staffel geguckt aber kann’s bestätigen: So deprimierend und real.
Amelia: Ouh ja, definitiv! Jeder kämpft so hart, um dort zu leben. Und keiner kann wirklich das tun, weshalb er mal hergezogen ist, hat aber fünf Jobs und redet nur über sich selbst.
Motor.de: Wie in jeder großen Stadt.
Amelia: Yes! Ich habe noch nie in einer so strangen sexuellen Umgebung wie NY gelebt – jeder will mit jedem Sex haben, und du kannst einfach so schnell (schnipst) verschwinden. Du bist nicht haftbar. Da kann man über Kleinstadtleben sagen was man will, aber: Wenn du da verkackst, dann weiß dein Nachbar Bescheid! Und du wirst dazu gezwungen, Verantwortung für deine Handlungen zu übernehmen und aufzuwachsen.
Nick: Ich bin jetzt 31 und hab' das Zeitfenster verpasst, indem ich nach New York hätte ziehen können. Ich liebe es zwar, in der City zu sein, aber die Leute aus meinem Umkreis, die damals nach NY gezogen sind, die sind jetzt einfach in keinem guten Zustand. Für mich hätte das nicht geklappt.
Amelia: Ich hab' in Bret Hook, einem der seltsameren Teile Brooklyns, gewohnt und da gab’s immerhin die beste Bar der ganzen Welt. Das „Sunny’s“. Jeden Mittwoch Live-Bands. Da gibt es einen Geiger mit Wah-wah Pedal! Und die meisten Musiker von der Band sind aus Tom Wait’s Band. Auch wenn es eine echte Verpflichtung ist, weil man 20 Minuten von der U-Bahn laufen muss, ist das ein Muss, wenn man in New York ist.
Vera Jakubeit
Sylvan Esso’s gleichnamiges Debut-Album erscheint am 06.06.2014 bei City Slang Records. Wer bis dahin nicht warten will, sollte (!!) im Mai die Chance wahrnehmen, sie als Support von tUnE-yArDs live zu erleben!
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