Kleiner Sender, großer Anspruch: Popkultur soll das ZDF in die Zukunft retten – und das ganze öffentlich-rechtliche Fernsehen am Besten gleich mit

Nein, das ist nicht der „Checker“. Das ist der Marker.

„Join us on …“ steht im Abspann, ergänzt um die üblichen Webadressen und man fragt sich schon, ob da keinem irgendwas Besseres eingefallen ist. „Marker“ ist die tägliche 20-Uhr-Sendung auf ZDF Kultur, bewusst auf die klassische Tagesschau-Zeit gesetzt, es ist das Gesicht des neuen Digitalsenders, ein „mehrmediales Kulturformat“ mit „Marker-eigener Perspektive“. Dreißigjährige, zu drei Vierteln Männer, stehen da vor der Kamera, fuchteln mit den Händen Jugendgesten-mäßig herum, um die betonte Lässigkeit ihrer Ansagen zu markieren; deutlich besser geschult sind sie als ihre damaligen Kollegen vom Viva-Start vor anderthalb Jahrzehnten. Sie seien nicht von der Straße, sondern „ausgebildete Journalisten“, betont dann auch einer, als es um die Kritik an ihnen geht und das ist tatsächlich der Knackpunkt. Sie sind eben nicht von der Straße und man merkt das in jeder einzelnen Sekunde.

Über 60 ist das Durchschnittsalter der ZDF-Zuschauer, man kann sich unschwer ausrechnen, dass das nicht mehr lange gut geht, es wird also gegengesteuert, wenn auch erstmal nur in der digitalen Nische. ZDF Kultur ist der neueste Spartenkanal, vom ehrwürdigen ZDF Theaterkanal hat man sich verabschiedet. Die Ansage ist: Popkultur. Es ist natürlich ein schon vom Grundansatz her vernünftiger Gedanke, Popkultur als alltägliche Lebenswirklichkeit zu begreifen, sie zum Thema zu machen oder Themen unter ihrem Aspekt auszuleuchten. „ZDF Kultur unterscheidet sich von bereits etablierten Kultursendern durch seine weniger feuilletonistische Betrachtung von Kultur“, verlautbart man offiziell. Eröffnet wurde das Programm denn auch mit „Make Some Noise“, dem Comeback-Videoclip der Beastie Boys, in dem sich ihre Doubles Bierdosen werfend durch Brooklyn rüpeln. Das Programm selbst gibt sich dann aber doch deutlich gediegener, auch wenn man wahrscheinlich stolz auf die total crazy Idee ist, im Beitrag über Scrabble ausgerechnet „Blowjob“ als Beispielwort zu zeigen. Es ist das „Tracks“-Syndrom, was auch bei den Eigenproduktionen von ZDF Kultur durchschlägt.

Beastie Boys – “Make Some Noise”

Die Arte-Sendung „Tracks“ wird seit Jahren immer wieder als Beispiel für ein exzellentes Popkultur-Format angeführt. Allerdings werden die durchaus spannenden Themen durchweg in einem „Sendung mit der Maus“-Stil dargeboten, wird versucht, Popkultur einem imaginären Nichtversteher zu erklären. Popkultur „sein“, ist etwas anderes; seit den goldenen Zeiten von MTV in den Neunzigern hat man das im herkömmlichen deutschen Fernsehen nicht mehr erleben dürfen. Dass ausgerechnet das normalerweise grundsenile ZDF sich jetzt anschickt, dessen Nachfolge anzutreten, stimmt dabei erstmal skeptisch – vor allem, wenn man sich im Vorfeld angehört hat, wie ein staubtrockener ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut versucht, seinen neuen Kanal anzupreisen, dem er offensichtlich selbst noch nicht so richtig über den Weg traut. Andererseits: Vielleicht ist gerade das ein gutes Zeichen.

Denn man sollte es mit dem Gemecker natürlich nicht übertreiben, zumindest noch nicht in der ersten Sendewoche, es ist ja schon eine Genugtuung, den Bildungs- und Unterhaltungsauftrag überhaupt so interpretiert zu sehen. Das eigentliche Pfund, mit dem ZDF Kultur im Moment wuchert, sind denn auch eher die Live-Formate. Die wundervolle Neuköllner Wohnzimmer-Singer/Songwriter-Show „TV Noir“ wurde aus dem Youtube-Channel befreit, im Berliner Trafo und dem Bauhaus Dessau macht man einen kleinen Etat locker, um exklusive Konzerte zu veranstalten. Groß einsteigen wird man in der Festivalsaison: Mit Hurricane, Glastonbury, Roskilde, Splash!, Melt, Wacken und Berlin Festival hat man sich ein buntes Spektrum an bemerkenswerter Festivalkultur ausgesucht, das neben der Auswertung über die Woche auch zur Samstag-Abend-Prime-Time live gesendet werden soll. Aufgefüllt wird mit internationalen Konzertmitschnitten und einigen britischen Popsendungen, allen voran die legendären Talk- und Musikshow „Later With Jools Holland“, ein Garant für hochklassiges Pop-Entertainment.

So geht Popkultur auch: Wohnzimmer-Gemütlichkeit mit hohem Entertainment-Faktor bei TV Noir.

Wie sich das alles trotz Sendungsaltlasten im Tagesprogramm zu einem Gesamtbild einrenkt, ob der eigene Anspruch tatsächlich eingelöst werden kann und ob es gelingt, einen sendereigenen Charakter zu entwickeln, der über einzelne Formate hinausreicht, wird sich erst in Zukunft zeigen. Ebenso, ob überhaupt irgendjemand zuschaut. Wie schwierig das ist, wenn man Popmusik zeitgemäß, also nicht nur als lineares TV-Programm anbieten will, durften die ZDF Kultur-Macher auch schon feststellen. So konnte zum Sendestart noch niemand sagen, ob es irgendwann tatsächlich den angepeilten regulären Stream des Programms auf der eigenen Webseite geben wird. Denn die Rechtelage dafür ist – wen wunderts – kompliziert. Willkommen in der Popkultur.

Augsburg