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Mit ihrem zweiten Album ‘Church Mouth’ ist die kleine, spleenige Truppe Portugal. The Man endgültig zu einer richtigen Band herangereift.

Heutzutage kann ja im Prinzip jeder Depp über Musik schreiben, der halbwegs unfallfrei drei Sätze aneinander hängen kann. Weil sowieso alles irgendwie Indie-Rock ist, man sich also einen gewissen Sachverstand voraussetzende Kategorisierungsversuche sparen kann. Die ersten Beatles-Platten wären heute genauso ‘indie’ wie jene von Pink Floyd oder wahrscheinlich sogar Queen. Nur Abba wären immer noch Abba. Auch das Portugal. The Man-Debüt ‘Waiter: “You Vultures!”‘ war für die meisten Indie-Rock oder wahlweise – auch immer gerne genommen: Emo. Tatsächlich lag den spleenigen, überbordenden Kleinodien des Albums eine gewisse At The Drive In-Haftigkeit zugrunde. Wo der Bartel hier aber faktisch den Most holt, wurde damals nur angedeutet und lässt sich erst jetzt mit dem Zweitwerk exakt eruieren: Nicht selten erinnert selbiges an das einzige Album der Pearl Jam-Vorläuferband Mother Love Bone, ‘Apple’. In seiner Freigeistigkeit und Jamseligkeit liegt der Musik der Band aber vor allem der Geist von Haight Asbury und der ersten Kraut- und auch Prog-Bands zugrunde. Angeprogter Hippie-Folk-Rock mit Neunziger-Alternative-Versatzstücken also. Was vielleicht daran liegt, dass sich der Vater von Portugal-Sänger John Baldwin Gourley 1970 dazu entschieden hatte, gewissermaßen das Mekka der Hippies ins damals noch weitgehend unerschlossene Alaska zu verlegen.

Die ohnehin illustre Kindheit des Sängers als Sohn in die Ödnis Alaskas ausgewanderter Hippie-Eltern in einer entlegenen Hütte ohne Telefon und Strom ist offenbar dazu angetan, die Fantasie einiger Leute noch zusätzlich anzuspornen. So wurde Gourley Sr. in der Berichterstattung zum PTM-Debüt kurzerhand zum Ex-Velvet Underground-Vertrauten verklärt und sein Ausstieg aus der Gesellschaft zu einer Art Flucht vorm wilden Drogenleben in der Warhol-Entourage umgedeutet. Darauf angesprochen, schüttelt sich Gourley beim Interview in Berlin vor Lachen und versichert, nichts könne weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wo wir einmal dabei sind: Auch die vielen Hippie-Platten, die sein Vater dem kleinen John der Legende nach mittels eines per Generator angetrieben Plattenspielers vorspielte und so nachhaltig dessen Geschmacksbildung beeinflusste, entdeckt der Filius so richtig erst in diesen Tagen ganz unromantisch per iPod. So angeblich auch die als Pate des neuen PTM-Sounds tatsächlich relativ nahe liegenden Led Zeppelin. “Gemessen daran, wie oft wir mit ihnen verglichen werden, habe ich wirklich sehr wenig Led Zep gehört. Ich finde die Band okay, aber sie gehören nicht gerade zu meinen Lieblingsbands. Trotzdem kann ich nachvollziehen, woher diese Vergleiche kommen, würde sie aber eher auf unser Interesse für alte Blueser wie Muddy Waters und Robert Johnson zurückführen, die ja auch Led Zep eine wichtige Inspiration waren.”

Bereits vor dem Debüt verlegte die Band ihren Wohnort ins Mekka der US-Indie-Szene – Portland, Oregon. Für die Band war der Umzug vor allem der Unmöglichkeit geschuldet, von Wasilla, Alaska, aus eine vernünftige Karriere auf die Beine zu stellen. Gourley: “In Alaska gibt es keinerlei Strukturen, auf die man zurückgreifen könnte. Trotzdem: Es war toll, in den letzten zwölf Monaten soviel herumzukommen. Durch das viele Reisen habe ich gemerkt, wie groß die Unterschiede in den USA wirklich sind – politisch wie auch landschaftlich. Vom liberalen offenen Klima an den Küsten bis zur konservativen, fundamentalistischen Mentalität des Mittleren Westens. Und Alaska ist halt wieder vollkommen anders. Aber wenn mir eines dadurch klar geworden ist, dann die Tatsache, dass Alaska für mich die einzig wirkliche Heimat und der schönste Flecken Erde auf der Welt ist. Seitdem ich nicht mehr dort wohne, nehme ich die Reichhaltigkeit der Natur auch nicht mehr als gottgegeben hin, sondern empfinde sie als ein großes Geschenk.” Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sie in Portland immer noch keinen festen Wohnsitz haben. Wann immer Portugal daheim sind, bevölkert der komplette Tross die Wohnung des in der Stadt studierenden kleinen Bruders von PTM-Bassist Zach Carothers. Allzu oft haben sie sich in den letzten zwei Jahren jedoch nicht in Carothers Studentenbude blicken lassen: Nachdem ‘Waiter: “You Vultures!”‘ vor allem in Deutschland auf offene Ohren gestoßen war, begab sich die Truppe auf die übliche Ochsentour. Und erlebte dabei einige Überraschungen: “Wir kamen damals mit unserem mickrigen 25-Minuten-Set auf Deutschland-Tour und sollten auf einmal jeden Abend anderthalb Stunden spielen. Also haben wir die Songs unseres Debüts mit zahlreichen Improvisationen angereichert. Das war zwar am Anfang nicht so leicht, aber so sind wir schließlich zu einer richtigen Band gereift.”

Die kürzlich erschienene EP ‘It’s Complicated Being A Wizard’ war dann ein erster Arbeitsnachweis dieser ‘richtigen Band’ mit Schlagzeuger Jason Sechrist. “So etwas machen zu können, eine EP mit nur einem Song, und damit auch noch durchzukommen, ist ein tolles Gefühl”, findet Gourley. Das Werk veröffentlichte die Band durchaus erfolgreich im Eigenvertrieb. Eine Strategie für die Zukunft? “Ich sehe heute wirklich keinen Sinn mehr in der Existenz großer Plattenfirmen”, sagt Gourley. “Man kann sämtliche Schritte des Verwertungsprozesses selbst organisieren. Außer Anzeigen zu schalten vielleicht. Das ist definitiv ein Ziel, irgendwann alles alleine zu machen.” Einstweilen aber konzentrierten sich die Musiker im Vorfeld von ‘Church Mouth’ noch ganz auf die Band- und Soundfindung. Gourley: “Während der Aufnahmen agierten wir als offenes Kollektiv. Durch die fehlenden Programmings und Drum-Machines hatten wir kein festes Korsett und konnten völlig frei agieren. Was immer einer von uns vorschlug oder spielte, wurde weiterverfolgt – keine Grenzen, kein Limit.” Die Basis der Band bilden Jason, Zack und John. Darüber hinaus kann aber jeder etwas beitragen, der eine gute Idee hat: “Wir haben kein so fest definiertes Bandgefüge. Wer immer Lust hat, kann mit auf Tour gehen und spielen, was er will. Das müssen nicht eins zu eins unsere Songs sein. So war es auch bei den Aufnahmen: Wir haben jegliche Gesetzmäßigkeiten außer Acht gelassen. Die Drums nahmen wir zum Beispiel erst am Schluss auf.” Wie gesagt: Hippies. Auch als Sänger lernte Gourley dazu: “Ich hatte vor unserem ersten Album keinerlei Erfahrung als Sänger und Gitarrist und ging dementsprechend zaghaft zur Sache. Vor den ersten Konzerten war ich extrem verunsichert bezüglich meiner Fähigkeiten, das auch live und vor allem gleichzeitig machen zu können. So langsam entwickelte sich das aber immer besser. Auch wenn ich es immer noch nicht fertig bringe, während der Konzerte ins Publikum zu gucken – dafür bin ich schlicht zu nervös. Jedenfalls singe ich nun deutlich lauter. Bei der ersten Platte habe ich sehr zurückhaltend gesungen, sehr leise. Ich saß auf einer Couch und hauchte die Vokals ins Mikro. Nachdem unser Produzent Cacey bei einem unserer Konzerte war, trieb er mich dazu an, auch auf der neuen Platte ein bisschen mehr Gas zu geben und mehr aus mir raus zu kommen. Ich bin sehr glücklich, dass er da nicht locker gelassen hat. Zumal ich selbst währenddessen ziemlich unsicher war und er mich immer wieder bestärkt hat.”

Thematisch ackert sich Gourley auf ‘Church Mouth’ einmal mehr an seinem Lieblingsthema Religion ab: “Das ist eine Metapher auf das Amerika der heutigen Tage. Es scheint heute so, dass beinahe alles, was bei uns passiert aus religiösem Blickwinkel betrachtet wird. Es gibt einen religiösen Hintergrund für sämtliche politische und gesellschaftliche Entscheidungen mit den bekannten, teilweise fatalen Folgen. Was durch die Säkularisierung gesichert schien, sehe ich teilweise in Gefahr.” Kulturpessimistische Erkenntnisse, die Portugal. The Man vielleicht demnächst erstmals auch in Portugal predigen werden: “Wir waren immer noch nicht dort, wollen das aber unbedingt ändern. Unbewusst haben wir uns damals ein Land ausgesucht, dessen Einwohner es sehr schätzen, auf diese Weise Erwähnung zu finden. Ich meine, Amerika. The Man, daran hätten sich bestimmt wieder einige gestört. Aber die Portugiesen sind total stolz auf ihr Land und finden es ganz toll, dass wir uns nach ihm benannt haben. Wir kriegen ständig E-Mails: “Wir wissen, dass ihr nicht aus Portugal kommt, finden aber eure Musik und Namenswahl ganz toll und schätzen das sehr.” Dabei ist Portugal eine imaginäre Person, ein Kunstcharakter ähnlich Ziggy Stardust oder Sgt. Pepper. Der Zusatz ‘The Man’ soll dieses unterstreichen – dass eben nicht das Land gemeint ist.” Auch wieder so eine verschwurbelte Hippie-Idee.

Text: Torsten Groß

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