Sex-Symbol, Egomane, Musikgenie und Businessprophet: Prince ist vielschichtig und beweist mit “20Ten” einmal mehr, dass sein Lebenswerk noch nicht vollendet ist – eine motor.de Story.

Auf dem Roskilde gibt es keine Verspätungen, jeder Künstler fängt immer pünktlich an“, hieß es selbstbeweihräuchernd in der Presses-Area des Festivals. Man durfte also gespannt sein, ob der kleine Mann aus Minneapolis, der den Headliner-Slot für den Sonntag inne hatte und bekannt für seine Exzentrik ist, dieses Versprechen halten könnte. Und siehe da: Nach 20 minütiger Verspätung kam langsam Bewegung auf die Orange-Stage. Zuerst stellten sich die Background-Sängerinnen und die Band ausgiebig vor und dann war es soweit: Der Soul-Funk-Guru Prince sprang auf die Bühne und hatte mit seiner Energie und dem nie schwindenden Sex-Appeal vom ersten Ton an 120.000 Zuschauer auf seiner Seite. Dieses Kokettieren muss man sich leisten können und wer, wenn nicht Prince, kann das schon.

Nur wenige Pop-Stars – am ehesten noch Michael Jackson, der ohnehin gern als Referenz herangezogen wird – haben in den letzten drei Dekaden so polarisiert, wie der Multiinstrumentalist, Musiker, Schauspieler und Produzent aus Minnesota. Auf der einen Seite stehen seine Texte über Oralsex, Inzest und Masturbation, seine Konvertierung zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, oder sein öffentlicher Streit mit der Plattenfirma Warner, aufgrund dessen er unzählige Male seinen Namen wechselte. Auf der anderen Seite stehen aber eben auch 80 Millionen verkaufte Alben, der Oskar für die Beste Filmmusik in dem Film „Purple Rain“, sowie die Aufnahme in die Rock and Roll Hall Of Fame im Jahr 2004. Die Meinungen zu dem “androgynen Dorian Gray“ gehen auseinander. Manche halten ihn für das Relikt einer achtziger Jahre Synthie-Lollipop-Generation, andere für einen der größten Musiker aller Zeiten.

Prince – “Purple Rain”

Was man Prince – rückwirkend betrachtet – aber keinesfalls absprechen kann, ist sein Weitblick: Schon 1995 warnte er davor, dass die Musikindustrie durch das Internet in erhebliche Bedrängnis kommen wird. Als Napster zwei Jahre später noch in der Entwicklungsphase steckte, vertrieb er schon die „Crystal Ball“-Box über das Netz und ab 2001 hatte er auf der Homepage seines Labels NPG Records (New Power Generation) seinen eigenen Download-Shop. Diese visionären Ansichten hätte so manchem Labelboss den so sicher geglaubten Chef-Sessel retten können, stattdessen zog man es vor, sich mit dem Künstler anzulegen. Keine Plattenfirma, die Prince in seiner langen Karriere nicht schon ausprobiert hat. Die Erkenntnis daraus klingt, bei seiner ohnehin autonomen Arbeitsweise, ziemlich einleuchtend: Man muss es selber machen.

Prince – “Kiss”

Die dazugehörigen Vertriebswege, die der Künstler in den letzten Jahren für seine Musik gewählt hat, liefern nicht minder Anlass zu Diskussionen: „3121“ schenkte er den Besuchern seines Live-Gigs zur Konzertkarte dazu, „Planet Earth“ legte er der englischen Tageszeitung „Mail On Sunday“ bei, woraufhin Sony Music die Veröffentlichung in Großbritannien verweigerte, und auch sein neuestes Werk „20ten“ gab es in ganz Europa als Zeitungsbeilage. Für Deutschland bekam das Rolling Stone Magazin den Zuschlag. Mit welchem Diskurs sich die Zeitschriften dabei konfrontiert sehen müssen, ist der der Glaubwürdigkeit und der (eigentlich gebotenen) Unabhängigkeit gegenüber dem Künstler. Prince wird es egal sein, denn besser als der Rolling Stone hätte keine Plattenfirma die Labelaufgaben des Vertriebs und der Promotion übernehmen können. Dies kann man nun abermals als ein prophetisches Konzept sehen und auch hier wird erst die Zukunft zeigen, ob der Geschäftmann Prince mit seiner Prognose ins Schwarze trifft – es wäre nicht das erste Mal.

Zumindest musikalisch changiert „20ten“, obwohl der Amerikaner nicht müde wird zu betonen, dass er im Jetzt lebt – in seinen Ursprüngen. Gleich der Opener „Compassion“ ist eine bombastische Disko-Funk-Nummer über die Prince lässig seine Zeilen singt, während seine drei Background-Vokalistinnen den Refrain auf den groovenden Beat und die Keyboard-Flächen hauchen. Purer Sex und Soul durchziehen das Album. Was Coolness und Stilsicherheit angeht ist Prince allen Anderen noch immer um Lichtjahre voraus.

In „Act Of God“, dem absoluten Highlight der Platte, findet sicher der Klimax des Albums: Im Katapult zurück in die Achtziger und in Plateau-Stiefeln auf die Tanzfläche. Prince bezieht ganz ohne Borniertheit in schlanken drei Minuten Stellung zu Wirtschaftskrise und Irakkrieg, während der Beat Funken schlägt und breite Synthiefächer wehen – von wegen nur Texte über Beischlaf und den Weg dahin. Seinen Ausklang findet „20ten“ in dem Hidden Track „Lay Down“, einer Kombination aus R’n’B und elektronischen Beats, während der „Purple Yoda“ rappt. Gewagt, aber trotzdem schlüssig – nicht anders zu erwarten bei dem perfektionistischen Drang eines Prince und vielleicht mal wieder ein Blick in die Zukunft – „Let’s go.“, auch die letzten Worte des Tracks.

Prince – “Sexy MF”
 

Was Prince mit seinem neuesten Werk abliefert, ist mal wieder die hohe Schule: Alles selbst produziert, arrangiert, komponiert und vorgetragen. Streitbar wird er dennoch immer bleiben, speist sich doch auch daraus seine Popularität. Dass seine Musik auch im neuen Jahrtausend noch funktioniert und er es schafft Menschen von sich zu überzeugen, beweist „20ten“ eindrucksvoll.

Christoph Berger

VÖ: 22.07.2010

Label: NPG Records

Tracklist:

01. Compassion
02. Endlessly Beginning
03. Future Soul Song
04. Sticky Like Glue
05. Lavaux
06. Act of God
07. Walk in Sand
08. Sea of Everything
09. Everybody Loves Me
10. Lay Down (Bonus Track)