Früher, in 90ern (lange her) haben sie noch im Keller des Berliner Wohnprojekts Køpi gespielt, heute machen sie die großen Hallen voll. Doch nach all den Jahren sind Propagandhi kein Stück weit von ihren alten Idealen abgewichen. Hardcore Punk mag heute nicht mehr so Underground sein wie noch vor 20 Jahren, doch das ist dem kanadischen Quartett auch vollkommen egal. Dem großen Sellout wirken sie mit Hirn und Herz entgegen. Fünf Jahre ließen die Jungs aus Winnipeg auf sich und ihre neue Scheibe „Failed States“ warten, die angesichts der immer größer werdenden Zahl von Staatspleiten und Volksaufständen an Tagesaktualität nicht mehr zu übertreffen ist. Doch kann man heute überhaupt noch politische Musik machen? War das nicht eher was für Ernst Busch, Bertolt Brecht, Woody Guthrie und Co.? Gehört sowas überhaupt in den Punk? Gehören wir dann nicht gleich alle zur Antifa?

(Foto: Starkult)

motor.de hat sich mit Basser Todd Kowalski über das neue Album und das Vegan-Polit-Punker-Leben unterhalten.

motor.de: Der Titel euer neuen Platte „Failed States“ klingt stark politisch. Bezieht er sich tatsächlich auf einen gescheiterten Staat, der seine grundlegenden Funktionen nicht mehr ausführen kann, oder eher auf einen gescheiteren Bewusstseinszustand (Amn. d. Red.: state of mind)?

Todd: Eigentlich sind das genau die beiden Dinge die wir in den Titel hineinlegen wollten. Und wenn du genau darüber nachdenkst, gehen beide Auslegungen miteinander Hand in Hand. Sie bedingen sich gegenseitig. Die Leute verlieren allgemein den Bezug zur Realität und zu anderen Menschen und das führt dann am Ende zu den großen Problemen ganzer Staaten. Du siehst deine Mitmenschen versagen und du siehst Regierungen, die es nicht kümmert, weil sie von Großkonzernen manipuliert werden. Beides führt dich dann wieder zurück zu deiner eigenen mentalen Ungleichgewicht und persönlichem Leid.

motor.de: Also Staaten versagen, weil Menschen versagen?

Todd: Ja und das ist frustrierend. Die läufst auf der Straße und fragst dich, was andere Leute denken und warum es niemanden kümmert, was in der Welt passiert. Das ist traurig.

motor.de: Seht ihr eure Musik als einen Kommentar zu dieser Situation oder als direkten Aufruf diese zu verändern?

Todd: Das liegt an jedem selbst und wie er unsere Musik interpretieren will. Wir lassen das bewusst offen.

motor.de: Ihr seid als Band dafür bekannt politisch sehr aktiv zu sein und eure Texte haben auch diesen politischen Ton. Habt ihr über die letzten Jahre mitbekommen, ob ihr eine Veränderung im Denken habt bewirken können?

Todd: Wenn ich mich so an die emails und Gespräche nach den Konzerten erinnere, dann finde ich schon, dass wir die Leute erreichen. Ich lese oft Mails von verzweifelten Kids, die wütend sind – auf die Politik oder was auch immer – und denen unsere Songs helfen. Entweder weil sich in den Texten wiederfinden, oder einfach weil sie die Musik bewegt.
Es wirkt sogar in zwei Richtungen: Leute die unsere Musik gut finden, werden zu Aktivisten und Aktivisten die uns durch unser Engagement kennen lernen, mögen am Ende auch unsere Musik.

motor.de: Diese Mischung aus unterhalten und unterrichten ist aber auch eine ziemliche Gratwanderung.

Todd: Musik ist eine sehr unterhaltsame Kunstform und daher ist es manchmal schwer politisch zu sein. Wir müssen ziemlich lange suchen und arbeiten, damit unsere Texte nicht nach Klischees klingen. Aber ich denke generell, dass wenn jemand wirklich von seinem ganzen Herzen aus etwas singt, kann es nicht unecht klingen. Wir sind politisch, aber wir singen schon über Dinge, die mit unserem Leben zu tun haben und die uns etwas bedeuten. Und ich denke dazu kann man als Hörer immer einen Zugang finden.

Es ist wie mit Liebesliedern: Die wirklich guten sind die, bei denen man spürt, dass die Person es selbst wirklich ernst meint. Ein beschissenes Liebeslied, bei dem man merkt, dass dem Sänger die Worte nichts bedeuten, findet man vielleicht witzig, aber nimmt es nicht ernst. Und es ist genauso mit politischer Musik.

motor.de: Denkt ihr, dass man provokativ sein muss um die Aufmerksamkeit zu bekommen und letztendlich auch was zu bewegen?

Todd: Einige unsere Songs tendieren dazu so zu sein, aber ich denke generell nicht. Es ist wie mit Zeitungen. Einige Leute wollen die mit den großen Schlagzeilen, andere wollen die mit dem Inhalt. Das wichtigste ist aber Ehrlichkeit, denn die kann dauerhaft Wirkung zeigen. Bei meinen Songs ist keiner wirklich provokativ, aber deswegen nicht weniger politisch. Uns ging es nie um mediale Aufmerksamkeit durch Provokation. Aber so etwas passiert natürlich oft ungewollt. Jeder kennt die Dead Kennedys wegen „Too Drunk to Fuck“. Aber wer sich mehr von ihren Sachen anhört, wird viel mehr Songs mit tiefer Bedeutung finden, die wahrscheinlich deine Denkweise eher verändern, als dieser eine Hit.

motor.de: Ihr seid als Band schon eine ganze Weile am Start und nehmt euch viel Zeit für neue Alben – bei „Failed States“ allein 5 Jahre. Seht ihr immer noch Weiterentwicklung nach all der Zeit?

Todd: Ich bin sei ’97 dabei und es kommen über die Jahre ja immer mal neue Leute dazu. Da gibt es immer Umstellungen und neue Ideen. Und jedes Mal finden wir den nächsten Schritt besser als den letzten. Für mich ist „Failed States“ unser bestes Album bisher. Wir werden auch als Musiker immer besser. Ich spiele heute Sachen, die ich vor fünf oder zehn Jahren noch nicht hätte spielen können. Wir üben viel, weil wir auch technisch besser werden wollen und versuchen das in die Songs zu packen. Der Unterschied ist, dass wir bei unsere Ideen jetzt nicht mehr so viele Schwierigkeiten haben, sie umzusetzen. So wie früher. Das macht das arbeiten oft sehr viel entspannter und befriedigender. Wir haben uns schon immer bis zum Limit gepusht, aber früher war das Limit einfach eher erreicht.

motor.de: Ihr seid nicht nur politisch, sondern auch alle Veganer. Reicht Vegetarier sein nicht mehr?

Todd: Ich war lange Zeit Vegetarier bevor ich Veganer geworden bin. Es hat bei mir circa 10 Jahre gedauert, bis ich den Schritt wirklich gehen konnte. Natürlich ist kein Fleisch zu essen schon ein Anfang. Es kommt auch immer auf die eigene Motivation an. Man muss das alles auch im großen Zusammenhang sehen. Die Milchproduktion führt zu einer Überpopulation an Kühen, die dann getötet werden müssen. Das ist einfache Mathematik. Und dann kommt noch die Gewissensfrage dazu: Das Kalb von der Mutter wegnehmen und diese an eine Maschine zu hängen. Auch die ganze Zucht und die Medikamente die da mit zu tun haben. Das ist für mich einfach nicht natürlich.

Anfangs ist die Umstellung hart, weil der Markt für Veganer natürlich klein ist. Wenn du in den Laden gehst, musst du dich daran gewöhnen, nur eine kleine Auswahl zu haben. Aber bei Lebensmitteln ist es ohnehin so, dass ein Großteil sowieso nicht gesund für dich ist. Da bin ich eher froh die Sachen nicht kaufen zu können. Man muss sich viel selbst informieren und seine Gewohnheiten umstellen. Aber nach einer Weile ist es einfach.

Tim Hoppe