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Part Heart, Part Garbage

31 Jahre waren es, jetzt sind R.E.M. Geschichte. Eine umfassende Best Of dokumentiert pünktlich Aufstieg und Stagnation dieser Musterbeispiel-Megastars.

Natürlich fällt einem dieser eine Song zuallererst ein: “It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)”. Es ist einer dieser Hits der Popgeschichte, die jeder mitsummen kann. Mit einer Titelzeile, die alles und nichts erklärt, und so eine universelle Schlagkraft entwickelt. Eine die immer passt, vor allem natürlich, wenn sich die Band, die diesen Song geschrieben hat, einigermaßen unvermittelt auflöst, obwohl sie doch noch im März das – so hieß es zumindest vielerseits – beste Album seit langem veröffentlicht hatte.

Aber was heißt schon “seit langem” bei einer Band, die mehr als 30 Jahre existierte. 1980 spielte sie ihr erstes Konzert, Äonen scheinen seitdem vergangen, geändert hat sich so ziemlich alles. Sieben Jahre später erschien “It’s The End…”, da hatten R.E.M. eigentlich schon alles durch, was man als junge Band auf der Liste stehen hat, wenn man eine Gitarre oder einen Drumstick in die Hand nimmt. Sogar den ersten Burnout – den man damals allerdings noch nicht so nannte. Es war eine solide Karriere bis dahin, zumindest nach den Maßstäben der Achtziger. “College Rock” nannte man damals diese Art Musik, die es irgendwie schaffte, Texte, die den Verstand eines College Absolventen nicht beleidigten, in ein bis dahin in alternativen Kreisen selten angewandtes Konzept von melodischem Rock zu kleiden. Mehr als alle anderen trafen R.E.M. damit den Nerv einer neuen Generation von Musikhörern, die den Nachwehen von Punkrock und Disco gleichermaßen verständnislos gegenüberstanden und denen dieses Quartett eine traditionell anmutende, aber eben nicht Redneck-verdächtige Alternative bot.

Bis heute funktionieren die großen R.E.M.-Hits als allgemeingültige Konsensmaschinen dieses Musikverständnisses, als kleinste gemeinsame Alternative auf Klassenfeiern und in unzähligen Oldies-Sendern. Es ist ein Effekt, der über den reinen Weißt-du-noch-Effekt deutlich hinausgeht. Denn tatsächlich strahlen R.E.M. bis heute eine unverwechselbare Aura aus, obwohl – oder gerade weil – an diesen Songs ja nun eigentlich kaum etwas überraschen kann. Wer R.E.M. hörte, musste nicht sattelfest in Sachen Zeitgeist sein und ging trotzdem irgendwie als geschmacklich akzeptabel durch.

Quietschbunt und Kinder lieben es: “Shiny Happy People” 

Wie eng diese Geschmacksgrenzen allerdings wirklich gezogen waren, konnten R.E.M. auch bald feststellen. 1991 lieferten sie mit “Shiny Happy People” den bis heute von ihren Fans ungeliebtesten Song ab. Zu albern erschien denen die quietschbunte Spaß-Attitude dieser Pop-Nummer mit B-52s-Sirene Kate Pierson als Gastsängerin, die so gar nicht passen wollte zum lange verfestigten Image der Weltverbesserer- und Nachdenk-Band. Aber da waren sie schon Superstars im weltweiten Popzirkus, die kleine Irritation – es ist genau genommen, die einzige außerhalb eingeschworener Fandiskussionen spürbare der musikalischen Bandgeschichte – tat da keinen Abbruch mehr, im Gegenteil: “Not my favourite song. But kids like it.” ist das lakonische Fazit, dass Frontmann Michael Stipe heute zieht.

Es folgten die Neunziger, eine Zeit in der sich der Kapitalismus als historischer Sieger und für immer unbesiegbar wähnte. Es war auch eine Zeit des greifbaren Größenwahns einer entfesselten Musikwirtschaft, die sich erstmals als “Industrie” begriff und die bald auch so agierte. Wachstum musste um jeden Preis her, Gewinne mussten steigen, Aktionäre forderten Quartalsberichte. Und die Bands, die es bis dahin geschafft hatten, konnten Bedingungen aushandeln, die alles überstiegen, was die Vorstellungskraft bis dato hergegeben hatte. Damals schier unvorstellbare 80 Millionen Dollar umfasste ein Vertrag über fünf Alben, den R.E.M. mit ihrer Plattenfirma Warner 1996 abschlossen. Der Gegenwert war Stadionrock, im buchstäblichen Sinne, ein sich selbst zu immer weiterem Gigantismus zwingender Kreislauf begann, aus dem die Band nie wieder herausfand.

Stadionrock, geschmacklich akzeptabel: “Losing My Religion” (2004)

“Collapse Into Now” nannten R.E.M. ihr letztes Album, da müssen sie wohl schon gewusst haben, dass sie aufhören und am Nachruf – den Linernotes zu ihren besten Songs – mitgeschrieben haben. Den gibt es jetzt, ein Doppelalbum mit allen Hits und drei letzten Songs, die es nun wirklich nicht braucht. Denn das Dilemma dieser einstmals sehr guten, dann nur noch sehr großen Band sieht man schon an der Trackliste. Nur die erste dieser beiden CDs wird man sich vielleicht immer mal wieder rauskramen. Es sind die besten, die ersten zehn Jahre R.E.M. Der Rest ist die Dokumentation von zwanzig weiteren Jahren. Nicht mehr, nicht weniger.

Augsburg

R.E.M. – “Part Lies, Part Heart, Part Truth, Part Garbage”

VÖ: 11.11.2011

Label: Warner Music

Disc 1:
Gardening At Night
Radio Free Europe
Talk About The Passion
Sitting Still
So. Central Rain
(Don’t Go Back To) Rockville
Driver 8
Life And How To Live It
Begin The Begin
Fall On Me
Finest Worksong
It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)
The One I Love
Stand
Pop Song 89
Get Up
Orange Crush
Losing My Religion
Country Feedback
Shiny Happy People

Disc 2:
The Sidewinder Sleeps Tonite
Everybody Hurts
Man On The Moon
Nightswimming
What’s The Frequency, Kenneth?
New Test Leper
Electrolite
At My Most Beautiful
The Great Beyond
Imitation Of Life
Bad Day
Leaving New York
Living Well Is The Best Revenge
Supernatural Superserious
ÜBerlin
Oh My Heart
Alligator_Aviator_Autopilot_Antimatter
A Month of Saturdays
We All Go Back To Where We Belong
Hallelujah

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