„Politisch unkorrekt“ ist wieder hoffähig. Auch in der Popmusik wird das Rad derzeit eher rückwärts gedreht.
Sehen eigentlich ganz nett aus, nehmen aber ein paar Sachen ganz genau: Frittenbude.
Es war nur eine Randnotiz im diesjährigen Festivalkalender: Die derzeit ziemlich angesagte Electropunk-Band Frittenbude hat ihren Auftritt auf dem Traditionsfestival Chiemsee Summer Reggae abgesagt. Grund war der ebenfalls eingeladene jamaikanische Reggae-Star Capleton, der als stark homophob gilt und das auch immer wieder in seinen Texten drastisch ausdrückte. Allein steht er damit nicht, die jamaikanische Reggae-Kultur mit ihren schwulenfeindlichen „Battyman Tunes“ steht hierzulande deshalb seit Jahren unter einer Art verschärfter Beobachtung, immer wieder kommt es zu Protesten gegen Konzerte mit einigen ihrer größten Stars. Die wiederum haben das Problem offiziell entschärft, indem sie sich per „Reggae Compassionate Act“ verpflichteten, in Texten und Auftritten homophobe Attacken zu unterlassen.
Einer tiefen inneren Einsicht dürfte das kaum zu verdanken sein, sondern der schlichten Tatsache, dass Europa ein unverzichtbarer Markt für die Reggae-Szene ist, den man nicht aufs Spiel setzen darf. Tatsächlich scheint es inzwischen so zu sein, dass diese Politik auch auf den jamaikanischen Markt selbst Einfluss nimmt. Zumindest wird dies von Szenekennern angeführt, entweder als Argument für die Wirksamkeit dieser Zensurauflage oder als Nachweis eines „ist doch alles nicht mehr so schlimm wie früher“. Eine Strategie, die sich logischerweise nahezu jeder deutsche Reggae-Veranstalter zu eigen macht. Frittenbude jedenfalls haben den Konflikt mal wieder aufs Tapet gebracht, es war eine sehr viel wirksamere Aktion als die Protestschreiben von Jusos oder Grüner Jugend, die es auch gegeben hat. Vorwerfen lassen mussten sie sich allerdings prompt, sie wollten sich damit nur bekannter machen, linke Gesinnung und „political correctness“ seien doch nur ein Marketingtrick.
Dass es einen vormals sicher geglaubten „linken Konsens“ in der Popkultur nicht gibt, lässt sich seit längerer Zeit beobachten, „The kids are not alright“ stellte Popkritik-Ikone Diedrich Diederichsen schon vor zwanzig Jahren anlässlich des rassistischen Mobs in Rostock fest. Die Rechtsrock- und Schulhof-CD-Strategie der NPD ist jedem geläufig. Männerbündlerische Mainstream-Rockbands wie die selbsterklärten Onkelz-Nachfolger Frei.Wild sind enorm erfolgreich damit, Nationalismus zur „Heimatliebe“ umzudeuten, ihre Stilrichtung „Deutschrock“ ganz bewusst auf der ersten Silbe zu betonen und sich vorsorglich gleichzeitig von „Rechts- und Linksextremismus“ zu distanzieren. Wer sich in den einschlägigen Fanforen umschaut, gerät an einen erschauernd reaktionären Weltbild-Wust, der sich gleichzeitig immer mit seiner behaupteten politischen Neutralität rechtfertigt. Entschuldigen soll man sich nach dieser Lesart gefälligst nicht für die Verletzung, sondern für die Verteidigung emanzipatorischer Standards. Das rührt tief an das Selbstverständnis von Popmusik.
Kein Bock auf sexistische Scheiße!
Der Tabubruch, der bewusste Verstoß gegen geltendes Normbewusstsein, gehört seit Anbeginn von Popmusik zum Standard-Handwerkszeug. In der Folge durchgesetzt haben sich liberale Ansichten zu Sex an sich, Geschlechterrollen, Gleichberechtigung, multikultureller Offenheit, sexueller Orientierung oder – wie man am Beispiel Beth Dittos gerade schön erleben konnte – Körperbewusstsein. Popmusik galt immer als der treibende Soundtrack für diese gesellschaftliche Befreiung, als wegen ihrer Massentauglichkeit perfektes Transportmittel für Progressivität. Dass man dieses Rad allerdings auch rückwärts drehen kann, ist eine ernüchternde Erkenntnis, trägt doch gerade auch Popmusik zum gesellschaftlichen Rollback bei. „Politisch korrekte“ Sprache ist dabei das erste Opfer. Was als lustvoller Tabubruch auf Underground-HipHop-Bühnen begann, hat sich mit dem Erfolg im Teenager-Mainstream als sprachlicher Konsens im Alltag durchgesetzt. Kaum beanstandenswert wird es heute beispielsweise befunden, wenn jemand als „behindert“ oder „Spast“ beschimpft wird. „Bitch“ oder „Fotze“ gehen glatt durch als Bezeichnung für Mädchen oder Frauen. Vermeintliche Weicheier sind „schwul“. Man muss kein Soziologe sein, um zu erkennen, dass es dabei nicht einfach nur um sprachliche Schlampigkeit, sondern um ein sich veränderndes Alltagsbewusstsein geht.
Sich diesem Trend entgegenzustemmen, sorgt eher für Unverständnis als Solidarisierung. Man solle sich nicht so verbiestert haben, das sei doch alles nicht böse gemeint, ist dabei Standardargumentation. Dass auch eine als explizit „korrekt“ bekannte Band wie Frittenbude vor dieser Entwicklung nicht gefeit ist, konnte sie im letzten Jahr selbst feststellen, als es ausgerechnet beim Polit-Hit „Raven gegen Deutschland“ – ein Mädchen aus dem Publikum sollte auf der Bühne mitsingen – zu „Ausziehen! Ausziehen!“-Sprechchören kam. Als sich die Band „diese sexistische Scheiße“ verbitten wollte, flog einiges auf die Bühne, das Konzert wurde abgebrochen. Der öffentliche Beifall für diese Konsequenz war ebenso spärlich wie für die Absage beim Chiemsee-Festival.
Augsburg
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