Rocky Votolato hat mit seinem neuen Album eine langwierige Depression überwunden. Am Ende steht die seltene Erkenntnis: “Ich bin glücklich.”
Am Anfang vom ersten Lied sind es die Geigen, die einem schroff übers Gemüt fahren. Ein traurig-dämmerndes Streicherquartett, aus dem dann die akustische Gitarre wie ein Sonnenstrahl hervorbricht. Die ersten Momente von “Lucky Clover Coin”, dem Eröffnungssong des neuen Albums “True Devotion”. Musik als Selbsttherapie, ein Topos fast so alt wie die moderne Popmusik selbst.
Am Anfang unseres Gesprächs sitzt Rocky Votolato (es ist tatsächlich KEIN Künstlername) in seinem Haus Nahe Seattle und ruft noch schnell E-Mails ab. Der Familie (Ehefrau, zwei Kinder) des 32-jähirgen geht es gut. Vor einigen Jahren lebten sie vorübergehend getrennt voneinander. Eine Depression hatte den Songwriter, der schon seit Ende der Neunzigerjahre bei Waxwing rockte und früh heiratete, brutal erwischt und aus der Bahn geworfen. Auch Selbstmordgedanken schwirrten im Kopf umher. Statt Pillen zu schlucken oder zum Therapeuten zu rennen, hielt es Votolato mit der Selbst-ist-der-Mann-Attitüde. Er las viel chinesische Philosophie und den deutschen Spiritualisten Eckhart Tolle. Für Votolato war es wohl die richtige Medizin. “Vieles von dem, was mich damals umtrieb, hatte mit einem Missverständnis des Lebens zu tun. Irgendwann begriff ich, dass das Wichtigste im Leben der innere Frieden ist. Die Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, ist doch alles in allem sehr materialistisch und rationalistisch orientiert. Ich musste mich eine Zeit aus diesem Kontext ausklinken, um den Blick frei zu bekommen.“
Als er innerlich schon auf dem Weg der Besserung war, gab es dieses schöne, kleine Erlebnis am Strand, als sein Sohn eine Münze im Sand aufhob und meinte: “Das bringt doch Glück, oder?!” Das war der Moment, der Startschuss für den ersten Song und die Arbeit am aktuellen Album, das ruhiger und geschmeidiger klingt als alles, was Votolato zuvor aufgenommen hatte. Nur sein Gesang, die akustische Gitarre, ein paar Pianos oder Streicher hier und da, nicht zu viel. “Stimmt, ich wollte einen organischen Sound. Nur akustische Instrumente.“
Es war die Rückkehr zu den Songwritern, deren Alben schon bei seinen Eltern im Plattenschrank lagerten und ihn prägten. Die großen, nordamerikanischen Poeten mit Gitarre: Dylan, Springsteen, Neil Young, Kris Kristofferson. Wie er mal in einem frühen Waxwing-Song treffend schrieb: “All the prophets of my youth were singers of sad songs.“
“Als ich mit dem Schreiben der Songs anfing, wusste ich es noch nicht, aber am Ende wurde es fast eine Art Konzeptalbum über jemanden, der erst sehr verloren ist und dann nach und nach seinen Frieden mit sich und der Welt macht. Ein Drahtseilakt zwischen Autobiographie und Fiktion.“
Die ersten Takte des Openers “Lucky Clover Coin” sind jedenfalls schutzlose Offenheit. Der Beginn eines zehn Songs umfassenden Reigens um Glück und Schmerz, Verlust und Neubeginn, Erinnerungen an die Kindheit und Lust auf das, was noch kommen mag. “Es war wie gesagt der erste Song, den ich für das neue Album überhaupt geschrieben habe. Ich ging mit meinem Sohn am Strand entlang und er hob diese Münze auf, wo ein dreiblättriges Kleeblatt vorne drauf war – eine ‚Lucky Clover Coin” eben. An diesem Lied zu schreiben hat mich endgültig zurück in die Spur gebracht – ans Album und zurück ins Leben. Es ist ein Song für ihn. Und durch diesen Song habe ich auch erst begriffen, dass es viel mehr im Leben gibt als das, was ich bis dahin geglaubt hatte vom Leben begriffen zu haben. Es ist der Anfang einer Befreiung für mich.“
Währen alle Musiker so höflich und auskunftsbereit wie Rocky Votolato, der Job wäre ein Kinderspiel. Er ist derart redselig, dass ich nicht anders kann, als eine dieser tumben Musikjournalistenfragen zu stellen, die man normalerweise nur dann aus dem Hut zaubert, wenn man das Eis brechen muss: ob er sich als Teil der gerade so florierenden Neofolk-Szene fühle. Er muss lachen, schon wieder: “Ach weißt du, eigentlich nicht. Aber irgendwie ist ja jeder ein Teil von irgendetwas.“
Poetische Klarheit. Vielleicht ein Teil des großen Glücks.
Gordon Gernand
VÖ: 26.2.10
Label: Defiance Records
Tracklist:
01. Lucky Clover Coin
02. Fragments
03. Red River
04. Eyes Like Static
05. Sparklers
06. Instrument
07. What Waited For Me
08. Sun Devil
09. Don’t Be Angry
10. Where We Started
11. Rushing To The Ending
12. Disposable Soldier
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