(Foto: Olga Baczynska)

Kleine Anmerkung der Redaktion im Voraus: Es wurde die ganze Zeit gelacht, Tränen in den Augen und seltsame Lachgeräusche haben die Transkription ganz schön erschwert. Die Anmerkung „(lacht)“ würde zu erheblicher Unübersichtlichkeit führen. Deshalb machen wir das jetzt also einfach mal so wie mit der Fußnote für das generische Maskulinum und denken uns Sit-Com-mäßiges Geklatsche und Gekicher. Danke für eure Collabo! Im Gegenzug dafür gibt es ein Interview mit dem herzzerreißend sympathischen Brüderpaar Tobias und Benedikt über ihren Weg zur Musik, die Familie MacIsaac und deren Kilt-Vorlieben im fernen Kanada. Rated-R ging’s weiter beim Versuch, ein Dating-Profil für ihr neues Album „Alluvium“ anzulegen. Aber lest einfach mal!

 

Motor.de: Wie häufig wurde euch die Frage „Warum Berlin?“ schon gestellt?

Rooftop Runners: Viele, viele, viele Male! Immer eigentlich.

 

Motor.de: Trotzdem kommt ihr aus Kanada, seid jetzt in Deutschland und habt euch dazu entschieden, genau hier in Berlin Musik zu machen. Also: Lust, die Frage trotzdem noch einmal zu beantworten?

Benedikt: Wir waren beide in Europa. Tobi hat in Deutschland gearbeitet und ich war in Holland. Ich kam zu Besuch, fand Berlin toll, wollte eh raus aus Holland und hab deshalb zu Tobi gesagt „Hey, lass  uns eine Band gründen!“

 

Motor.de: Wann war das?

Benedikt: Vor vier Jahren.

 

Motor.de: Und, hat sich das Mysterium Berlin und die Erwartungen, die ihr damit an die Stadt und hiesige Möglichkeiten hattet, bewahrheitet?

Tobi: Ich war mir ehrlich gesagt des ganzen Hypes um die Stadt nicht bewusst. 

Benedikt: Ich habe nach einer Veränderung gesucht und ich wusste, dass hier viel Platz war, um zu tun, was du wolltest. Und ja, es war alles, was ich wollte. New York z.B. hat diese ganzen Stigmata um sich: Business Anzüge und so. Berlin ist noch dabei, sich zu identifizieren. Und das ist zumindest was uns reizte.

 

Motor.de: Wann seid ihr zur Musik gekommen?

Benedikt: Musik hatte für uns immer mit Familie und Zueinanderfinden zu tun. Unsere Eltern spielen Instrumente, also war immer Musik um uns herum. Wir haben immer zusammen performed. Meine Tante hat mir das Violine-Spielen beigebracht, Tobi hat mit unserer Mutter angefangen, Gitarre zu spielen. Jede Woche gab es eine Unterrichtsstunde mit unserem Vater, einem Pianisten und unserer Tante, einer Sängerin. 

 

Motor.de: Ihr hattet also viele musikalische Einflüsse. Seid ihr auch verschiedene Phasen durchlaufen? Eine Punk-Phase?

Tobi: Naja, ha, ich hab halt mit klassischer und spanischer Gitarre angefangen. Unser Vater hat uns Klavierbasics und Jazz beigebracht. Wegen der deutschen und schottischen Herkunft väterlicherseits spielen wir häufig traditionelle irische Musik zusammen. 

Benedikt: Und deutsche! Am 24. spielen wir immer das „Kling Glöckchen klingelingeling“ Ding. Aber nein, wir hatten nie eine Punk Phase oder so. Als Tobi 13 war, fand er Jet ziemlich geil.

Tobi: Oh mann! Streich das… Ich hatte aber definitiv eine Fiddle-Phase. Und eine Flamenco-Phase auch!

 

Motor.de: Ehrlich? Mit den passenden Outfits dazu?

Tobi: Oh ja, unsere Familie geht da richtig in die Vollen. Wir haben alle Kilts, yes yes yes!

 

Motor.de: Tragt ihr die manchmal auf der Bühne?

Benedikt: Ich würde sagen, wir werden die nicht irgendwann bald tragen…

Tobi: Wir wollten aber schon immer eine Robert Burns Party schmeißen! Die könntet ihr ja ruhig mal sponsern!

Benedikt: Ich glaube, das ist einfach die Sache mit Einwanderern – die halten fest an ihrer Herkunft. Wir feiern halt alle diese Feiertage und übertreiben dann richtig.

 

Motor.de: Was war für euch denn der ausschlaggebende Moment, in dem ihr dachtet: Alles klar, wir setzen jetzt alles auf diese Karte und Musik wird Plan A?

Benedikt: Tobi und ich waren uns schon immer sehr nah. Weil wir in unterschiedlichen Städten gelebt haben, sind wir uns irgendwie fremd geworden. An dem Punkt dachte ich: Wir müssen jetzt was zusammen starten, bevor es zu spät ist.

Tobi: Er konnte nicht ohne mich leben…

Motor.de: Und wieso gerade Musik?

Tobi: Wann immer wir im Leben zusammen performed haben, ist einfach irgendwas eingerastet. 

Benedikt: Aber es musste Musik sein! Es war echt nicht so, als hätten wir einen Zirkus starten wollen oder so!

Tobi: Ich schon – aber er hat nein gesagt.

Benedikt: Wir waren beide sowieso von Musik vereinnahmt. Dann haben wir uns wie du sagtest für Musik als Plan A entschieden. Und für die letzten 2 ½ Jahre ist das genau das was wir tun: Wir essen, atmen, scheißen Musik. 

 

Motor.de: Benedikt, du komponierst nebenbei für eine schwedische Ballettakademie. Im Video zu „Energize“ eurer ersten EP legt ihr einen anständigen Tanz hin, und auch eure Album-Gestaltung ist ziemlich artsy angehaucht – ist das so euer Ding? Fotografie, Tanz, Kunst allgemein, sind das Sachen, die eure Musik stark beeinflussen?

Benedikt: Wir sind definitiv nicht nur in der Musik verankert. Das ist ja die gute Sache an der Musikwelt: Du kannst den visuellen Aspekt verfolgen, genau so aber den typischen Band-Aspekt und die Akustik der Musik. Wir haben beide einen Tänzer-Hintergrund: Ich habe mit zeitgenössischen Tanz-Choreographen und Tobi in einer Ballett-Company gearbeitet. Zukünftig werden wir beide mit Sicherheit unsere Arbeit auf andere Sachen ausweiten.

 

Motor.de: Ihr seid Brüder und habt schon euer ganzes Leben miteinander verbracht, wohnt in der gleichen Stadt und macht zusammen Musik. Bringt einer dem anderen Frühstück ans Bett und dann macht ihr schnell einen Song zusammen oder wie kann man sich das vorstellen?

Benedikt: Ne, wir sind DEFINITIV nicht so nett zueinander! Aber in einem anderen Land zu sein, neue Stadt,… da war es schön, sich so nahe zu sein. Das hat viel beeinflusst. Nicht destotrotz wohnen wir jetzt an unterschiedlichen Polen von Berlin.

Tobi: Was eine gute Distanz ist…!

 

Motor.de: Gab’s da nie Momente, in denen ihr euch dachtet: Ey, schon wieder dieser Typ, muss ich den die ganze Zeit sehen?

Beide (ganz bruderbandig im Chor): Oh Definitiv!

Benedikt: Wie mit jeder Geschwister-Band sind wir uns sehr nahe, aber brauchen auch unseren Abstand.

 

Motor.de: Gut für die Dauerhaftigkeit eures Projekts ist natürlich, dass ihr nicht sagen könnt: „Ich will dich nie wieder sehen!“ und das war’s mit der Band…

Tobi: Genau! Was auch passiert, ich werde Bene zuhause an Thanksgiving sehen. (zu Bene): Ich will dein Gesicht nie wieder sehen!

Benedikt: Wird aber passieren! Die. Ganze. Zeit. Hahaha.

 

Motor.de: Euer Album „Alluvium“ ist vor fast einem Monat rausgekommen. Mal ganz hypothetisch: Gäbe es ein Dating-Portal, wo Hörer auf ihr wahres True-Love-Album stoßen können – wie würdet ihr die Musik da beschreiben?

Tobi: Intensiv!

Benedikt: Dude, das ist für eine Dating-Website. Wenn das für ein Profil ist, musst du das so „Hi, mein Name ist Alluvium. Ich bin eine intensive Person…“ machen! So: „Ich bin leidenschaftlich“… keine Ahnung, „polygam?“

 

 

Motor.de: Und wer wäre so euer Soulmate-Hörer?

Tobi (überlegt ´ne Runde): Ich denke, bei Alluvium musst du auf jeden Fall ZUHÖREN. Das ist nichts, wo du play drückst und dir dazu Eier machst. Ich glaube, um die volle Qualität und Essenz des Albums zu verstehen, muss man sich echt darauf konzentrieren. Der Seelenverwandte für „Alluvium“ muss also…

Benedikt: …sehr flexibel sein. Ein bisexuelles Album?

Tobi: Oh mein Gott! Ein bisexuelles Album? Soundgasmus? „Auf der Suche nach einer offenen Beziehung“!

Benedikt: Aber Langzeit offene Beziehung. Ist 34. Entrepreneur. Sehr offen für neue Erfahrungen. Mag keine oberflächlichen Unterhaltungen, sondern geht gerne tief. … Oh Mann, lass uns festhalten, dass das hier kein konservatives Dating-Profil ist.

 

Motor.de: Eher so wie tinder?

Bene: Ja! Auf jeden Fall nichts im Sinne von Langzeit-Beziehung, Jungfrauen, arrangierte Ehe… „Alluvium“ ist  kein solches Album!

 

Motor.de: Im Gegensatz zur „We Are Here“ EP kommt „Alluvium“ analoger mit weniger elektronischen Einflüssen daher und klingt melancholischer und düsterer. Was war da denn los?

Tobi: Ja, das ist halt was passiert, je länger du in Berlin bist. Da weißt du, wie sich ein Berliner Winter so anhört.  Wenn du in deinen jungen Zwanzigern anfängst, entdeckst du, wer du bist, was du willst und bist dabei tausende Kilometer von zuhause entfernt.

Motor.de: Was für Musik habt ihr euch denn währenddessen so angehört? Vielleicht erkennt man daran ja den düsteren Einschlag…

Tobi: Ich höre Kanye West. Also, sehr viel. Meine Musik hat aber wenig Ähnlichkeit zu unserem Genre oder dem neuen Album.

 

Motor.de: Stehst du da gerne vor dem Spiegel und übst Gangster-Posen?

Tobi: Klar! Ich liebe einfach das Sampling, das Rohe und bin einfach großer Kanye West-Fan. Das finden manche Leute vielleicht seltsam, aber ich hör mir das trotzdem an!

 

Motor.de: Habt ihr denn einen ähnlichen Musikgeschmack?

Tobi: Es gibt einige Künstler, die wir beide gut finden: Jeff Buckley, Damien Rice.

Benedikt: Aber es ist so: Du magst Damien Rice, ich LIEBE Damien Rice. Und es ist genau andersrum mit Kanye West.

Tobi: Ehrlich gesagt liebe ich Rhythm. Und deshalb höre ich echt häufig Rap und Sampling an. Das ist, was mich wirklich aufgeregt macht!

 

Motor.de: Mal eine andere Frage, um die ich einfach nicht herum komme, wenn ich euch so sehe: Wollen die Leute eigentlich ständig eure Haare anfassen?

Benedikt: Ja, die ganze Zeit kommen Sachen wie „Wie kämmst du deine Haare? Wäscht du deine Haare? Schneid dir die Haare!“ 

Tobi: Es war so schlimm, dass er es einen Sommer einfach nicht mehr ertragen konnte. Also haben wir seinen Kopf rasiert und ihn „Mönch Benedikt“ genannt. 

Benedikt: Tobi war einfach nur neidisch, weil meine Haare lockiger sind als seine. 

Tobi: Genau daran liegt’s auch, dass ich mir die immer aufdrehe …

 

Motor.de: Letzte Frage: Wie kann man sich euch in 50 Jahren vorstellen?

Benedikt: Tobi hat Demenz und ich kümmere mich um ihn. Er denkt, dass wir immer noch in einer Band sind.

Tobi: Und du wirst schizophren sein. Ach, scheiße… Können wir nicht irgendwas Positives sagen?

Benedikt: Was willst du denn sagen? Dass wir nebeneinander wohnen und alle unsere Kinder rennen um’s Haus?

Tobi: Die dürfen definitiv nicht zu dir.  Die werden immer fragen „Dürfen wir zu Onkel Benny?“ und dann sage ich: „Nein, er ist crazy!“

 

 

Vera Jakubeit