Seasick Steve ist über Nacht zum Reklameschild eines ganzen Genres geworden. Seine Geschichte ist geprägt von Tragik, doch wohnt ihm keinerlei Bitterkeit inne. Es ist der Blues, der ihn seiner Wurzeln stets gewahr sein lässt und dem Leben eine gesunde Portion Skepsis gegenüberstellt.
(Foto: Warner Music Group)
Seit Beginn der Tonaufzeichnung in den 20er Jahren vereint den Blues und seine Musiker eine von Schicksalsschlägen heimgesuchte Geschichte. Sei es die Vorkriegszeit, die Afroamerikanern nicht mehr zu bieten vermochte, als das aussichtslose Dasein auf Baumwollfeldern oder die Wirtschaftskrise 1929, die damals noch in den Kinderschuhen steckende Labels wie Victor oder Vocalion finanziell beinahe in die Knie zwang und Aufnahmen während dieser Zeit zur Quadratur des Kreises werden ließen. Damals traf es eine erste Generation an Blues-Musikern, wie Charlie Patton oder die Mississippi Sheiks und raubte ihnen die Möglichkeit, ihrem ganz persönlichen Martyrium auf kreative Weise Luft zu machen. Paradoxer Weise ist es jene Tragik, die den Blues antreibt und Treibstoff für schmerzhafte Erkenntnis bietet, die nach Mitteilung verlangt. Ein Genre, das es – gespeist von Leid und Lebenserfahrung – vermag, die elementare Essenz menschlicher Emotion in karge, doch gleichermaßen bedeutsame Worte zu fassen. Es ist die Simplizität, Beseeltheit und Spiritualität dieser Musik, die sie zur kathartischen Kraft macht. Seasick Steve hat das verinnerlicht.
Als Kind kehrt er einem tyrannischen Stiefvater den Rücken und schlägt sich fortan allein durch – es ist ein Leben geprägt von Rast- und Heimatlosigkeit. Als Hobo reist er in Güterzügen von Stadt zu Stadt auf der Suche nach Arbeit, ist bettelarm und schläft zeitweise unter Brücken. Die Musik bietet ihm Zuflucht und ein Ventil, um dem Druck seiner Seele nachzugeben, jedoch keine Lebensgrundlage.
Seasick Steve – “You Can’t Teach An Old Dog New Tricks”
Seine Gitarre hat lediglich drei Saiten. Damals bekommt er sie von seinem Freund Sherman, der ihm sagt, dass ihr ein Geist innewohne, Mojo nennt ihn Steve, ein alter, aus dem Afrikanischen stammender Begriff für Glück. Es hilft: 2001 zieht es den umtriebigen Musiker weg vom Strom des Lebens hin nach Norwegen, wo er im Alter von 63 Jahren zusammen mit den Level Devils sein erstes Album “Cheap” aufnimmt. Zwei Jahre später folgt mit “Dog House Music” das Solodebüt. Inzwischen zählt die Diskographie fünf Alben und Steve ist – zur eigenen Verwunderung – bekannt wie ein bunter Hund. Mojo eben. Warner nahm sich das zum Anlass und veröffentlicht nun mit “Walkin’ Man” ein Best Of.
Ungeachtet der Tatsache, dass es der Titelschatz aus sieben Jahren Karriere allemal hergäbe, stellt sich doch die Frage, ob eine Diskografie aus fünf Alben Grund genug für ein Best Of ist, oder hier lediglich kommerziellen Interessen Rechnung getragen wird. Der Blick auf die Tracklist lässt Skepsis aufblitzen: das Gros der Songs stammt aus Album drei und vier, zollt also sowohl den Anfängen als auch dem neuen Album “You Can‘t Teach An Old Dog New Tricks” nur wenig Tribut. Auch klanglich zeigt “Walkin’ Man” den Facettenreichtum, an dem Steves Musik zweifelsohne über die Jahre gewonnen hat, nur rudimentär auf. Zu kurz kommt beispielsweise der subtilere Folk-Blues-Einfluss seines neuen Albums, oder der rau swingende Charme seiner Anfangstage. Auch will sich so recht kein Spannungsbogen über die 21 Songs hinweg aufbauen, mehr oder minder beliebig plätschern sie dahin. Das beigelegte Booklet bietet ebenfalls kaum Mehrwert, zeigt es doch lediglich Cover-Artwork und Tracklist der bisherigen Alben. Alleinig die Deluxe-Edition wartet mit einer Bonus-DVD samt Live-Konzert und Dokumentation auf, die einen detaillierteren Einblick in das Leben eines gestandenen Blues-Musikers gibt. Doch das rechtfertigt die knapp 20€ Kaufpreis nicht und so bleibt leider eher der fade Beigeschmack des Ausverkaufs.
Robert Henschel
Seasick Steve – “Walkin’ Man: The Best Of Seasick Steve”
VÖ: 25.11.
Label: Warner Music International
Tracklist:
01. Dog House Boogie
02. Cheap
03. Started Out With Nothing
04. Diddley Bow
05. Thunderbird
06. Happy Man
07. Cut My Wings
08. Treasures
09. St. Louis Slim
10. 8-Ball
11. Don‘t Know Why She Loves Me But She Do
12. Walkin Man
13. You Can‘t Teach An Old Dog New Tricks
14. Fallen Off A Rock
15. The Banjo Song
16. Never Go West
17. My Donny
18. Prospect Lane
19. Xmas Prison Blues
20. That‘s All
21. Dark
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