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Out of Africa

Shaun Morgan redet schnell. Sehr schnell. Fast meint man, der Frontmann von Seether versuche jede Zwischenfrage schon im Ansatz mit einem atemlosen Wortschwall abzuwürgen.

Great” gehe es ihm. “Completly satisfied” sei er mit dem neuen Album. Und überhaupt sei alles total “exciting” gerade, jetzt wo die Platte draußen sei und es wieder auf Tour gehe. Dazwischen immer wieder kurze, gebellte Lacher. Weiß man allerdings, welchen Schicksalsschlag der Mann erst kürzlich zu verkraften hatte, bekommt dessen mechanische Begeisterung einen schalen Beigeschmack. Leise klingelt noch die Warnung der Pressefrau im Ohr, den Selbstmord seines Bruders Eugene mit keinem Wort zu erwähnen. Der hatte sich im August diesen Jahres in Rapid City aus dem Fensters eines Hotels in den Tod gestürzt. Obwohl dieses Trauma deutlichen Einfluss auf die Texte des neuen Albums der Band “Finding Beauty In Negative Spaces” gehabt haben soll, beschränkt sich Shaun bei Statements über die Platte nur auf rein künstlerische und musikalische Aspekte.

Es ging uns bei diesem Album vor allem darum das Songwriting zu verbessern und mehr Abwechslung rein zu bringen. Wir wollten soviel musikalische Variation bieten wie möglich. Und ich glaube das haben wir erreicht. Es gibt Drumsampling, Pianopassagen und sogar eine Sitar. Wir wollen auf keinen Fall eine von diesen Bands sein, bei denen die Fans schon von vornherein wissen, was sie auf dem Album erwartet. Das ist mir zu öde. Da stagniert man.

Das haben sie auf jeden Fall geschafft. Wenn auch zu einem hohen Preis. Denn gegenüber dem – schon reichlich poppigen – Vorgänger “Karma And Effect” hat “Finding Beauty…” noch mal einige Kanten eingebüßt. Zu viele digitale Nachbesserungen und Effektspielereien lassen den ursprünglich stark Metal-Core-lastigen Grunge der Südafrikaner stellenweise wie eine musikalische Version von Dirk Bach klingen – fett, laut und sehr hohl. Eben mehr Nickelback als Pearl Jam. Dabei hätten die Vorraussetzungen nach dem Weggang von Gitarrist Pat Callahan im Juni 2006 nicht besser sein können.

Pat war immer der Neinsager bei uns. Seit er weg ist, haben wir keine künstlerischen Beschränkungen mehr“, meint Shaun ohne Wehmut in der Stimme. “Im Grunde hatte uns die Plattenfirma Pat damals auf Auge gedrückt. Wir waren jung als wir damals aus Südafrika kamen. Wir kannten unsere Rechte nicht. Ich hatte damals die Haltung: ‘Was immer diese Typen vom Label verlangen – wir machen es, damit sie glücklich sind.’ Keine Frage. Pat war ein großartiger Musiker – aber ohne ihn macht es einfach mehr Spaß!

Dabei war ein zusätzlicher Gitarrist beileibe nicht das einzige, das Shaun bereit war für die Karriere in Kauf zu nehmen. Da man in seinem geliebten Heimatland mit Rock-Musik auf keinen grünen Zweig kommen konnte, zog die Band bereits 2000 in die USA um. Und auch wenn die Möglichkeiten hier ungleich größer sind, packt Shaun in seiner neuen Heimat in Los Angeles immer noch hin und wieder das Heimweh:

Mann, wie ich L.A. hasse!“, entfährt es ihm. “In diese stickige, braune Wolke hinein zu fliegen deprimiert mich jedes Mal fürchterlich. Ich bin schließlich auf einer Farm aufgewachsen. Aber ich glaube am meisten vermisse ich die relaxte Lebenseinstellung in Südafrika. Die Leute in dort nehmen alles so schön gelassen. Hier in Amerika gibt es so eine Tendenz zur Überreaktion. Alle sind immer so schrecklich aufgekratzt.” Sagt er, und bellt wieder sein nervöses Lachen.

Text: Matthias Pflügner

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