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Ein Mensch, dessen Kreise den meinen mitunter in der Mitte oder am Rande begegnen, mit Ansichten, die teils wunderlich, teils treffend sind – manchmal auch beides in einem -, äußerte kürzlich in einem Gespräch sinngemäß etwa folgende These: Alle Bands, die vor den Achtzigern bereits Musik gemacht hatten und wild entschlossen waren, daran festzuhalten, wurden Schlag Mitternacht am Neujahrstag 1980 zu Klump und fabrizierten fürderhin Mist. Alle Bands, die hingegen in den Achtzigern erst am Anfang standen, hatten wenigstens die Chance, in diesem futuristisch angehauchten Jahrzehnt (immerhin featuring das Zukunftsjahr schlechthin, 1984!) gute Musik zu machen. Tatsächlich finden sich genügend Beispiele – fast alle einstigen Soul-Größen litten an Plastik-Sound und Frisurproblemen, Bahnbrecher wie Queen wurden zu ihren eigenen Parodien, Hippies blieben Hippies, und der Punk- ja, den erwischte es wohl am schlimmsten: Die Protagonisten konnten wählen, entweder unter die Räder des Zuges der New Wave zu geraten oder auf diesen aufzuspringen; oder wie die Ramones das Jahrzehnt in einer Art Zeit- und Raumkapsel zu verbringen.
So gesehen trafen es die Buzzcocks eigentlich ganz gut – Die Punk-Band, die neben den Ramones für die vielleicht besten Lonely-Hearts-Lovesongs des Genres verantwortlich ist, übersprang das Jahrzehnt einfach. Das Quartett löste sich 1981 auf und feierte 1989 zur Freude vieler ein Comeback. Dass man natürlich die Zeit weder zurückdrehen, noch anhalten und schon gar nicht wiederholen kann, mussten auch die vier Herren aus Manchester feststellen. Waren sie doch in den Jahren zwischen 1977 und 1980 mit Songs wie “Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve Fallen In Love With)” oder “What Do I Get?” Dauergäste in den Charts und zählten zu den zwei (!) Punk-Bands, die Ober-Sex-Pistol Johnny Rotten goutierte (die andere waren übrigens The Slits). Auch wurden sie von Pistols-Basser Glen Matlock (das war der, der vor, nach und – glaubt man bösen Zungen – auch während der Zeit mit Sid Vicious den Bass spielte) erst kürzlich in die erste Reihe der UK-Punk-Bands überhaupt gestellt – direkt nach den Pistols und weit vor The Clash.
Die Musiklandschaft war natürlich bei ihrem Second Coming eine andere Angelegenheit. Zwar wurden die Helden der frühen Neunziger, von Nirvana über Pearl Jam bis hin zu Dinosaur Jrs J Mascis, nicht müde, Lobeshymnen auf die inzwischen nach London umgesiedelten und um die Hälfte der Originalbesetzung erleichterten, unermüdlich tourenden Buzzcocks zu singen – der kommerzielle Erfolg blieb bescheiden. Dennoch gaben die beiden Gründungsmitglieder Pete Shelley (Gitarre, Gesang & Songwriting) und Steve Diggle (ebenso) nicht auf, und sind seit nunmehr 17 Jahren konstant am Ball. Zwar veröffentlichen die Buzzcocks inzwischen eher alle drei Jahre ein Album, als wie früher in der wilden Zeit, wo zwischen drei Alben in 18 Monaten immerhin auch noch diverse Singles erschienen. Auch sind die neuen Werke in der Mehrzahl eher solide als aufregend – aber allein die Zahl der auch heute noch vom rasiermesserscharfen Power-Pop-Punk der Buzzcocks beeinflussten Bands (Arctic Monkeys? Ash? Anti-Flag? Ärzte? Und das ist nur der Buchstabe “A” 1-4!) rechtfertigt, dem Hauptsongwriter der Buzzcocks, Mr. Pete Shelley anlässlich des neuen Albums der Band namens “Flat-Pack Philosophy” mal ein paar Fragen zu stellen.
Wenn ich nicht irre, gibt es in diesem Jahr das 30. Jubiläum der allerersten Buzzcocks-Show zu feiern…
Richtig, am 20. Juli!
Und sozusagen passend zum Anlass veröffentlicht ihr euer neues Album, “Flat Pack Philosophy”…
Nun ja, eigentlich nicht unbedingt, Das Album hätte genau so gut auch schon letztes Jahr erscheinen können. Wir hatten es bereits im Winter fertig, aber da die Leute zur Weihnachtszeit eher “Greatest Hits” und ähnliches kaufen, kommt es nun eben im Frühling…
Würde es dir etwas ausmachen, den Titel zu erklären?
Die Phrase “Flat-Pack Philosophy” tauchte in einer Unterhaltung auf, die ich vor einiger Zeit mit jemandem hatte. Es ging darum, dass heutzutage alles schon “flat-packed”, also vorgefertigt und abgepackt zu uns nach Hause geliefert wird. Mir schien, dass es im “wahren Leben” ganz ähnlich ist, dass wir diese ganzen zusammengebastelten Ideen und Philosophien vermittelt bekommen. Und weil wir in einem post-modernen Zeitalter leben, wo es kein “Richtig” und “Falsch” mehr gibt [lacht], wird es schwierig, all diese verschiedenen und widersprüchlichen Ideen unter einen Hut zu kriegen, wie man sein Leben leben soll.
Zusätzlich hat es ja auch den Anschein, als würden durch Dinge wie das Internet ständig mehr und mehr Ideen und Meinungen zur Verfügung gestellt.
Ja, und das macht es natürlich noch schwieriger, darunter die richtigen und passenden auszuwählen, um sich eine lebbare Philosophie zusammenzustellen.
Wie es aussieht, hat deine persönliche Philosophie der letzten 17 Jahre beinhaltet, wieder ein “Buzzcock” zu sein. Und das, obwohl du 1981 anlässlich der Auflösung der Band gesagt haben sollst, du wolltest nie wieder einer sein…
Tja, wie es eben so heißt: Sag niemals nie…
Als ihr euch damals getrennt habt, hatte es die Band gerade mal fünf Jahre gegeben. Wie kommt es, dass ihr es diesmal so viel länger miteinander aushalten konntet?
Ich denke, damals passierte alles viel schneller. Wir haben drei Alben in weniger als fünf Jahren gemacht…
Zwei davon kamen sogar im selben Jahr heraus! [“Another Music In A Different Kitchen” und “Love Bites”, 1978]
Richtig. Heute scheint so etwas undenkbar. Damals war das genau so normal, wie alle paar Monate eine neue Single zu machen. Wir haben wirklich eine Menge gemacht, vier Alben, wenn man “Singles Going Steady” [eine Singles-Compilation von 1979, mit teilweise Non-Album-Songs] mitzählt. Außerdem war es das erste Mal für uns alle, dass wir in einer Band waren. Wir mussten also quasi währenddessen rausfinden, wie so was geht. Es war alles sehr hektisch und ich wollte irgendwann einfach eine Pause haben und etwas anderes machen. In England erscheint “Flat-Pack Philosophy” übrigens am 6. März, also genau an dem Tag, an dem ich die Band vor 25 Jahren zum ersten Mal verließ…
Gutes Timing… Hat die längere Lebensdauer der aktuellen Buzzcocks-Version vielleicht auch mit euren “neuen” Mitgliedern Tony Barber [Bass] und Phil Barker [Drums] zu tun?
Bestimmt, und sicher ebenso damit, dass wir in Tony auch einen bandeigenen Produzenten gefunden haben. Die beiden sind seit [überlegt] 19…92, etwa, dabei, und damit die langlebigste Rhythmussektion, mit der Steve [Diggle, Gitarre, Gesang & Songwriting] und ich je gespielt haben. Tony und Phil waren Buzzcocks-Fans und haben mit ihrem Enthusiasmus sicher der Band neues Leben eingehaucht.
Vor einiger Zeit [November 2005] gab es eine John Peel-Tibute-Single, auf der eine Version von “Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve)” [dem wohl größten Hit der Buzzcocks aus dem Jahre 1978] zu hören war. Beteiligt waren unter anderem Roger Daltrey [The Who], Robert Plant [Led Zeppelin], Elton John…
Ja, die Datsuns aus Neuseeland waren auch dabei, Peter Hook [Joy Division, New Order] spielt Bass, Andy Gill [Gang Of Four]… Ich war auch im Studio, aber in der fertigen Version konnte ich mich nicht wiederentdecken [lacht].
Das ist ja schon eine merkwürdige Mischung. Ich glaube, David Gilmour ist auch dabei – immerhin waren doch Pink Floyd seinerzeit eines DER Feindbilder des Punk überhaupt [man bedenke das selbstgemachte “I Hate Pink Floyd”-Shirt, das Paul Cook von den Sex Pistols oft und gerne trug].
Ja ja, nun, das war nicht meine Idee, sondern John Peels Familie hat das angeregt. Sie wollten, dass alle möglichen Künstler, deren Karriere mehr oder weniger durch John Peel gefördert worden war, beteiligt sein sollten. Sie haben mich gefragt, ob es in Ordnung wäre, wenn sie meinen Song verwenden würden, und ich sagte “Klar, exzellent!”
Und was hältst Du davon, dass sie ausgerechnet diesen ausgesucht haben? Viele Leute scheinen die Buzzcocks ja ein wenig auf dieses eine Lied zu reduzieren…
Tja, dass scheint einer der Nachteile zu sein, wenn man einen Hit hat – obwohl wir so viele andere Songs gemacht haben…
“Ever Fallen…” scheint aber auch wirklich einen großen und nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben; immerhin wird er auch heute noch gerne für Soundtracks verwendet, wie zuletzt für die Sitcom “Scrubs”, auch die eine oder andere Coverversion gab es. Ich schätze, du bist schon oft gefragt worden, wie du damals die Interpretation der Fine Young Cannibals [1987] fandest?
Och, ich fand das OK: Und außerdem [verschmitzt:] Ihre Version war höher in den Charts, also muss sie besser gewesen sein… [lacht]
Interessante Theorie…
Übrigens: Die meisten Leute, die mir diese Frage stellen, tun es, weil sie die FYC-Version nicht mögen. Wie sieht’s bei Dir aus?
Oh, äh, ich habe “gemischte Gefühle”…
[lacht] “Gemischte Gefühle” gehört wohl ins “Mag es nicht”-Lager…
Zwei Bands, die euch auf andere Art ihren Respekt erwiesen haben, waren Nirvana und Pearl Jam: Sie luden euch ein, mit ihnen auf Tour zu gehen.
Ja. Nirvana kamen 1993 zu unserem Konzert in Boston, und danach unterhielten wir uns mit ihnen. Sie fragten: “Was macht ihr nächstes Jahr?” Wir sagten: “Oh, wir gehen auf Japan-Tour.” Darauf sie: “Wir auch! Vielleicht können wir ja ein paar Shows zusammen spielen!” Dann aber änderten sie ihre Pläne, weil Pearl Jam auch zu der Zeit nach Japan gingen; unsere Tour klappte auch nicht – also sagten sie: “Wie wär’s, wenn ihr mit uns auf Europa-Tour gehen würdet?” Und wir sagten: “Cool!” Und wir hatten auch wirklich eine tolle Zeit mit ihnen! Vor drei Jahren dann spielten wir mit Pearl Jam auf ihrer US-Tour. Da wir uns ein wenig sorgten, die Leute könnten sich nicht für uns interessieren, und statt sich die Vorband, also uns, anzusehen, lieber an der Bar bleiben, hatte Eddie Vedder eine Idee: Er stellte sich mit der Akustikgitarre auf die Bühne, spielte einen Song, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erreichen – und dann sagte er “Hier sind die Buzzcocks, viel Spaß!” [lacht].
Und wie reagierte das “gefoppte” Publikum?
[lacht] Nun, zumindest einige sind bis zum Schluss unseres Sets geblieben… Am Ende der Tour spielten wir gemeinsam im Madison Square Garden. Und als wir unseren letzten Song spielten, “Why Can’t I Touch It?”, der anscheinend auch der Lieblingssong von Pearl Jam ist, kamen sie auf die Bühne und jammten mit uns.
Auch die Libertines scheinen ja zu euren Fans zu gehören; wie sieht es denn umgekehrt aus, welche aktuellen Bands magst du?
Vor einiger Zeit haben wir mit den Rakes gespielt, deren Debüt-Album war mein Lieblingsalbum 2005. Und die beiden Bands, die in Kürze mit uns auf Tour gehen werden: Aus Amerika kommen The Adored; auf deren neuen Album habe ich ein paar Backing Vocals eingesungen und eine Band namens Gear, die finde ich auch sehr gut.
Apropos “Tour” – weißt du eigentlich, wie viele Konzerte ihr bisher insgesamt gespielt habt?
Nein, ich wünschte, ich hätte mitgeschrieben. Ich bin mir aber sicher, dass es eine erschreckend hohe Zahl ist…
Text/ Interview: Torsten Hempelt
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