Genres sind ebenso sekundär wie die Entstehung der elektronischen Musik und Techno kann auch anno 2012 nicht mehr neu erfunden werden. Shed gilt in der Szene als eigensinniger Denker – und DJ. motor.de sprach mit dem Brandenburger über sein neues Album “The Killer”.
(Fotos: Sebastian Szary)
Rene Pawlowitz kann sich nicht erinnern, welches Konzert er das letzte Mal besucht hat. Schwer vorstellbar für einen musikaffinen Menschen, der einst im zur Legende gewordenen Berliner Plattenladen Hard Wax gearbeitet hat. “Leider habe ich es erst zu spät gesehen, sonst wäre ich vielleicht zum Gonjasufi-Gig gegangen”, sagt er dann doch zum Abschluss eines Interviews, dessen Zustandekommen bereits eine Nachricht ist. Pawlowitz aka Shed aka EQD/Wax aka The Panamax Project hat viele Gesichter. Mindestens ebenso viele Facetten, Gesten und Spielarten, an denen sich der gebürtige Brandenburger bereits musikalisch versuchte, derart viele Missverständnisse scheinen über ihn zu kursieren.
Nein, Shed ist kein Resident im Berghain. Im Gegenteil, der Szene und ihren Entwicklungen tritt Shed mit Argwohn gegenüber, vielen Techno-Produzenten werfe er gar vor, den Sound von Marcel Dettmann (richtig, er ist Resident) zu imitieren. Dennoch hat er auf dem Hauslabel Ostgut Ton gleich mehrere Veröffentlichungen vorzuweisen, darunter auch seine zwei bisherigen Langspieler. Für sein Debüt “Shedding The Past” wurde Shed international gelobt – eine Ode an die 90er, an die Bassdrum, an die Fragilität der Ästhetik elektronischer Musik. Selbst ME-Plattenmeister Albert Koch zeigte über Wochen hinweg auf seinem Videoblog die LP in die Kamera – immer und immer wieder. Schnell wurde er als Hoffnungsträger eines Genres gefeiert, dessen Status Quo ihn selbst doch eher in Tristesse stürzt. Frischenzellenkur, Progression, Neubeginn – die Zuschreibungen waren und sind noch immer noch mannigfaltig. “The Traveller”, der Nachfolger von 2010, war konzeptioneller ausgelegt. Neues Material, das sich einer Idee unterwarf, um auf Albumlänge zu funktionieren. Inspiriert durch die eigene Sozialisation zwischen dem Techno der 90er und dem breiten UK-Kontinuum begibt sich Shed auf eine Exkursion durch die Geschichte der elektronischen Clubmusik – dort, wo Narration auf Inventur, Entdeckungswillen auf Anarchie treffen.
Doch mit Genres kann Shed ohnehin nicht viel anfangen. Sein neues Zuhause, Modeselektors Plattform 50Weapons, lebt diese Attitüde wie kein anderes Label derzeit. Im Interview gibt sich der 1975 in Ostdeutschland geborene Künstler weder allwissend noch demütig. Pawlowitz ist ein meinungsstarker Vertreter seiner Zunft, der weder ein Produkt noch den Hörer im Kopf hat. Ihm geht es in erster Linie um gute Musik.
Shed – “Estrange”
motor.de: Du bist ja nicht gerade dafür bekannt, dass dir Interviews sonderlich Spaß machen. Auch auf deiner Internetseite finden wir unter der Rubrik Press genau drei Wörter “Music, Music, Music” – eine klare Ansage. Warum ist dieses Interview trotzdem zustande gekommen?
Shed: Ich wurde gezwungen (lacht). Wenn man auf einem anderem Label Musik macht, dann sollte man eher für, als gegen das Label arbeiten. Ich wurde oft schon missverstanden und dann habe ich keine Lust mehr gehabt.
motor.de: Nun sitzen wir aber hier, deswegen die Frage: Verspürst du vor einem neuen Release so etwas wie Vorfreude?
Shed: Für mich ist das immer so ein wenig erledigt, wenn die Platte draußen ist. Seit einem Monat habe ich sie nun auch nicht mehr gehört, irgendwie hatte ich auch keine Lust mehr reinzuhören. Und Vorfreude? (Überlegt kurz) Bei mir ist es so, wenn die Platte draußen ist, ist es nicht mehr meins.
motor.de: Weil andere Leute deinem Album dann etwas zuschreiben, das für dich so nicht existent ist?
Shed: Nein. Vorher habe ich die Platte eben für mich, ich höre mir meine eigenen Sachen ja auch selbst viel an. Da ist sie richtig meins und wenn sie draußen ist, ist sie Allgemeingut. Dann ist es nicht mehr etwas Persönliches für mich, dann ist’s irgendwie weg (lacht).
motor.de: Deine letzte EP “A100” erschien noch auf Ostgut Ton. Das Bewegungsmotiv hat mich an den “Zug” von Conrad Schnitzler erinnert. Welchen Bezug hast du zur Pionierzeit der 60er/70er-Jahre?
Shed: Der Name Schnitzler ist mir natürlich bekannt, aber ich habe eigentlich kaum etwas von ihm gehört. Ich bin ein Kunstbanause, sodass ich hier nicht guten Gewissens mitreden kann.
motor.de: Trotzdem spielt die Vergangenheit eine wichtige Rolle in deinem Schaffen. Noch nie Interesse an der Entstehung der elektronischen Musik entwickelt?
Shed: Für mich klang das im Nachhinein alles immer sehr thereotisch. Mir war diese ganze elektronische Musik in den 70ern und 80ern immer stark verkopft. Erst dieses Techno-Ding, dieses ständige Wiederholen und das Laienhafte an sich hat das für mich erst aufgelöst. Kraftwerk, Tangerine Dream, Can oder was auch immer spielten für mich überhaupt keine Rolle. Der Ansatz war eher künstlerisch, beim Techno geht’s ums Tanzen, ganz einfach. Als ich jung war, so pubertätsmäßig, wo es für mich alles angefangen hat, das ernste Leben, da war halt Techno präsent.
motor.de: Du wirst auch nicht müde zu sagen, dass du von der aktuellen elektronischen Musik angebiedert oder gelangweilt bist. Warum?
Shed: Das liegt ganz einfach daran, das Techno seit 20 Jahren das gleiche ist. Es kann ja niemand mehr Techno neuerfinden, das geht nicht, das ist ja durch. Ne Bassdrum ist ne Bassdrum. Die klassische Musik gibt’s nun auch schon seit 300 Jahren. Es ist schon alles einmal da gewesen. Demnach ist es auch völlig normal, dass mich nichts mehr so greift wie vor 15 Jahren.
motor.de: Beschäftigst du dich dann mit Trends in der Szene, die ja auch immer mal wieder in den Mainstream schwappen. Aktuelles Beispiel: Dubstep. Das Genre ist ja beinahe zum Euphemismus mutiert, derart schlimme Ausmaße nimmt die Bass-Musik derzeit an.
Shed: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es diese Stile, die kreiert werden, überhaupt gibt. Ich weiß auch nicht, wo bei der Entstehung so wirklich der Unterschied zwischen Grime und Dubstep gezogen wurde. Oder auch die Dub-Sachen, die dann im Dubstep geendet sind. Diese Stile wie Dubstep – es ist ja fast schon schlimm wenn man den Begriff in den Mund nimmt – sind schlichtweg kreiert. Als die Groove ihr 4-Seiten-Special zum Dubstep gebracht hat, war die kreative Zeit bereits ein Jahr vorbei. Und was jetzt da gerade alles gemacht wird, interessiert mich nicht. Die ganzen Dubstep-Produzenten fangen ja nun auch an, Techno zu machen. Warum, weiß ich nicht. Wahrscheinlich, weil sie mehr Auftritte haben wollen.
Shed – “Keep Time” (von “The Traveller”)
motor.de: Die Frage nach den Inspirationsquellen schenk ich mir. Anders gefragt: Gibt es eine Platte oder einen Künstler, auf deren Release du dich freuen würdest?
Shed: Die Zeiten sind vorbei (lacht).
motor.de: Warum? Ist das Alter daran schuld?
Shed: Wahrscheinlich ja. Ich finde es aber auch nicht schlimm. Ich habe das in den Neunzigern durchgemacht, wo ich Sachen entgegengefiebert habe. In vielen Fällen ist eine Veröffentlichung gut, aber danach eben nicht mehr. Es ist schwierig, man muss als Künstler seine Arbeit schon ernst nehmen und nicht nur eine gute Platte haben und den Anspruch haben, dass sich alle auf den neuen Release freut. Vor 15 Jahren hätte ich mich noch auf eine Surgeon-Platte gefreut. (Stockt kurz, überlegt) Wobei, bei dem guckt man eigentlich immer mal, der ist schon lange cool. Aber es ist eben selten was Neues.
motor.de: Dann reden wir über etwas Neues: deine Platte “The Killer” erscheint in wenigen Wochen. Du bist dafür bekannt, dass du dich mit einer Idee ins Studio begibst und dort die Platte in einem Gang produzierst. Diesmal auch?
Shed: Definitiv. Es ist so, dass wenn ich erstmal am Arbeiten bin und Zeit mit meinen Tracks verbringe, dann geht das eigentlich immer relativ schnell und einfach. Ich benötige immer einen Tag, um ins Rollen zu kommen. Es braucht ein wenig dieses In-Fahrt-Kommen, dann gehts schnell.
motor.de: Und bei “The Killer”?
Shed: Es ist definitiv eine Shed-Platte geworden. Und so wie “The Killer” klingt, so eine Platte wollte ich auch machen. Nicht die Art der Musik, die drauf ist, ich geh da vielmehr von einem Gefühl aus. So wie wenn Leute Töne in Farben sehen. Und das muss eben durch alle Tracks durchgehen. Ich bin sehr zufrieden mit der Platte, ja (lacht).
motor.de: Eine Idee oder ein konkretes Gefühl zu haben, klingt für mich immer ein wenig nach Botschaft. Nicht im missionarischen Sinne, sondern eher nach Kommunikation durch Musik.
Shed: Nein, die Tracks mach ich nur für mich. Das hat nichts mit Kommunikation zu tun. Ich habe auch keine Botschaft oder möchte die Musik deswegen machen, damit ich sie auf CD bannen kann. Ich mache es wegen der Zeit, die ich im Studio bin und an den Tracks arbeite. Es ist das Projekt an sich, nicht eine Platte zu veröffentlichten, sondern Ideen zu haben und umzusetzen. Ich bin auch wieder sehr konzeptionell herangegangen.
motor.de: Inwiefern, vergleichbar zum Vorgänger “The Traveller”?
Shed: “Shedding The Past” war eher eine Art Compilation, die Tracks waren bereits alle fertig, zwei Jahre zuvor sind die entstanden und das mit dem Album kam sehr schnell. Ich habe die Tracks in eine Reihenfolge gebracht und dann war Release-Date. Beim “Traveller” war ich ein wenig übermotiviert. Ich wollte einfach sehr viel verschiedene Sachen und Einflüsse auf dieses Album packen.
motor.de: Bist du unzufrieden?
Shed: Naja, da hätte man mehr drausmachen können. Das Album hatte sehr viele Möglichkeiten und Ansätze bei den Tracks. Man hätte bei vielen Sachen nochmal ansetzen können. Viele Tracks an sich waren sehr unterschiedlich und die Ideen, die man da verarbeitet hat, hätte man auch wesentlich größer machen können. Mich hat das ein wenig geärgert. Ich habe zu Hause noch ein paar Tracks aus der Zeit, wo das Album entstanden ist, die dann aber nicht auf dem Album gelangt sind. Man hätte zwei Langspieler drausmachen können.
Shed – “The Killer” (Album-Snippets)
motor.de: Mit “The Killer” bist du aber zufrieden. Um welches Gefühl ging es dir den bei der Produktion?
Shed: Es ging einfach darum (überlegt lange) – ich hatte diesen Ansatz cooler Musik im Auto durch die Gegend fahren zu können. Keine Haudrauf-Mucke, sondern wie ich Techno sehe, das darzustellen. Musik, die für keinen bestimmten Zweck gedacht ist, sondern einfach gut ist, ohne das sie einem Klischee von vorne bis hinten entspricht.
motor.de: Deine LPs stehen zumeist auch für sehr anspruchsvolle Artwork-Gestaltungen mit Fotografien. Wie ist das doch recht einfache, neue Cover entstanden?
Shed: Ich hatte mal vor mit meinem Bruder ein Soundsystem zu machen. Die Box auf dem Cover ist so ein wenig ein Überbleibsel davon. Die gibt es auch gar nicht mehr, denn sie ist nach dem Fotoshooting feierlich verbrannt worden (lacht). Es gab mal den Plan, dass wir selbstbauen und mein Bruder war auch sofort bei der Sache. Uns hat leider nur ein wenig die Ausdauer gefehlt. Übrig geblieben ist ein riesengroßer Haufen von Boxen, die alle nur halbfertig geworden ist. Das sieht man auch innen bei der LP, da steht dann eine große Wand von verschiedenen Boxen.
motor.de: Neues Cover, neues Label. Wir kam die Zusammenarbeit zustande, du kennst Gernot und Szary ja bereits seit einigen Jahren, oder?
Shed: Sie haben mich gefragt, ob ich bei ihnen veröffentlichen möchte. Wir kennen uns wirklich schon lange. Und Gernot ist immer sehr forsch, wenn es ums das Suchen und Finden neuer Künstler geht und hatte mich letztes Jahr gefragt. Ich habe darüber lange nachgedacht, aber es ist eigentlich ein logischer Schritt für mich gewesen in diese Richtung zu gehen. Die Umgebung bei 50Weapons passt eher zu mir als das Ostgut Ton-Label, das auch Berghain als Hintergrund hat. Es ist nicht zwangsweise ein Schritt vorwärts, sondern schlichtweg in eine andere Richtung.
motor.de: Kannst du dir den Schritt zurück zu Ostgut Ton vorstellen?
Shed: Ich glaube nicht, dass das Sinn machen würde.
motor.de: Du hast mal gesagt, dass deine LP-Sachen gar nicht so sehr in den Club passen. In Vorausschau auf das Melt! Festival, glaubst du denn, dass ein Strand besser passen würde?
Shed: Ich habe mein neues Live-Set noch gar nicht fertig. Also für mich passt es grundsätzlich überall hin, aber es ist auf jeden Fall keine Partymucke. Aber wenn es dunkel ist, passt es bestimmt gut zum Strand. (lacht)
Interview & Text: Sebastian Weiß
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