Gebraucht, ohne Abnutzungsspuren: Die Second-hand-MP3-Börse ReDigi agiert in den Bruchspalten von Musikbesitzer-Bewusstsein und Urheberrechtsdiskussion.
Es klingt erstmal wie eine Schnapsidee. Wenn man sein MP3 übergehört hat, wird es einfach weiterverkauft. Als Gebraucht-MP3, etwas billiger natürlich als ein neues. Seit einem guten Vierteljahr gibt es sie tatsächlich: eine Second-hand-Börse für MP3s, die man nicht mehr braucht. ReDigi ist eine US-Firma und auch nur für US-Kunden zugelassen; aber natürlich wird die Geschäftsidee weltweit mit Argusaugen beobachtet. Denn was auf den ersten Moment absurd klingt, nämlich gebrauchte Dateien weiterzuveräußern, rührt direkt an die heiß diskutierten und juristisch hart umfochtenen Bruchspalten zwischen herkömmlichem Urheberrecht und den aktuellen technologischen Gegebenheiten. Natürlich wurde auch ReDigi prompt von der Musikindustrie verklagt. Aber soeben musste das Majorlabel Capitol, das zur EMI gehört, eine Schlappe einstecken. ReDigi darf weitermachen.
Eine Menge Mühe haben sie sich gegeben, das Prinzip des Gebrauchthandels auf MP3s zu übertragen. Nur legal erworbene Songs sind erlaubt, eine patentierte Software soll prüfen, ob es sich nicht um illegal heruntergeladen Songs handelt. Die angebotenen Files werden von der Ursprungs-Festplatte und den angeschlossenen Geräten gelöscht. “Kopiert” wird so keine Datei, sondern – zumindest im weniger technischem Sinn sondern eher nach gesundem Menschenverstand – auf den ReDigi-Server und dann zum Käufer übertragen. Das ist einer der Knackpunkte, mit denen die Musikindustrie seit jeher generell alle “Tauschbörsen” juristisch auszuhebeln versucht, denn technisch wird selbstverständlich immer in irgendeiner Weise kopiert. Allerdings ist die juristische Sachlage noch weitaus komplizierter. Derzeit völlig unklar ist, wie nach geltendem Recht mit digitalen Produkten generell umzugehen ist. Werden mit dem “Kauf” eines solchen auch klassische Eigentumsrechte erworben? Oder eben nur Nutzungsrechte, für die der “Verkäufer” sehr enge Regeln aufstellen kann, was auch Usus ist, wie man als Kunde in praktisch jeden zwangsweise zu akzeptierenden Lizenzvereinbarungen bestätigen muss. Dass man derlei heutzutage normalerweise gar nicht mehr liest und sich obendrein auch nicht drum kümmert, ist ein Problem, das Hersteller von Software seit jeher umtreibt. Ein deutsches Verfahren, das sich mit der Rechtmäßigkeit des Weiterverkaufs genutzter Software beschäftigt, liegt gerade beim Europäischen Gerichtshof.
Wie immer ist dieses rein juristische Geplänkel aber nur der offiziöse Nebenschauplatz, ein Versuch, die offensichtlichen Gegebenheiten im Einzelfall eventuell doch noch unter Kontrolle bringen zu können. Die Realität ist darüber längst hinweg, sogar ReDigi selbst und sein Bemühen, analoge Gewohnheiten und Handlungsoptionen auf digitale Verhältnisse zu übertragen, wirkt geradezu rührend anachronistisch. Welchen Sinn hat denn dieses Angebot wirklich? Wer nutzt das? Wer sucht wirklich eine Ersparnis von maximal 20 Cent pro Song, wenn doch die kostenlose Variante nur ein paar Klicks weiter liegt? Und das bei einem sehr willkürlichen und keinesfalls in seiner Vielfalt überzeugende Angebot? Das “Schnäppchen”-Argument ist in Internet-Zeiten doch obsolet. Raritäten zu erwerben – ein tatsächlich handfester Grund für den Besuch auf Plattenbörsen jedweder Art – ist ein durch und durch physisch-gegenständliches Phänomen, das im Prinzip auf der Unkopierbarkeit eines “echten Kunstwerks” beruht und mit der eigentlich enthaltenen Musik nichts zu tun hat.
Das eigentliche Unbehagen an der Idee ist aber woanders begründet: Ein MP3 hat eben nicht nur “gefühlt” keinen Wert. Bezahlt wird für MP3s aus Gründen der Loyalität gegenüber dem Künstler, vielleicht aus einem allgemeinen moralischen Ehrenkodex heraus, unter Umständen auch wegen der tatsächlichen Furcht vor eventueller Verfolgung als “Raubkopierer”. Oder, weil es inzwischen tatsächlich effektiver und den Preis wert ist, für Bedienfreundlichkeit und garantierte Sicherheit eines legalen Downloadshops zu bezahlen, statt sich durch die mühsam zu durchdringende und nervige Schmuddelwelt der illegalen Angebote zu wursteln. (Ein nicht zu unterschätzendes Bedürfnis, dem sogar die Raubkopie-Hoster mit kostenpflichtigen Premiumzugängen Rechnung tragen.) Was bedeutet, dass letztendlich nicht für den Inhalt, den man sich auch sonstwo besorgen könnte, sondern für das Serviceangebot bezahlt wird.
Im Prinzip ist diese Sichtweise allen Recht, die einer Musikdatei die eigenständige Existenz als Ware absprechen. Das sind interessanterweise Plattenfirmen offensichtlich ebenso wie Datenbefreiungs-Apologeten. Nur deren Schlussfolgerungen daraus sind höchst disparat. Leiten die einen ein unveränderbares Recht von Kontrolle durch den Urheber – beziehungsweise seine Vertreter, also hier die Plattenfirmen – ab, negieren die anderen mehr oder weniger strikt überhaupt das Fortbestehen eines Kontrollrechts nach der Erstabgabe. Pikanterweise greifen gerade die Digitaljünger dabei gern auf das gänzlich altmodisch anmutende Beispiel des Malers zurück, der ja auch von einem Weiterverkauf seines Gemäldes nicht profitieren würde. (Was wiederum auch nicht gänzlich korrekt und Gegenstand diverser Rechtsgebungs-Überlegungen ist.)
ReDigi jedenfalls – und da sind wir bei den ganz aktuellen Diskussionen um Internet-Einzäunung – hätte nur Sinn, wenn es keine ernstzunehmenden Alternativen gäbe. “Legale” wie Streaming-Dienste, die generell dem Prinzip “Verkauf und Besitz” Paroli bieten. Oder ausreichend einfach zu erreichende “illegale”. Die stehen allerdings ganz oben auf der Abschussliste der aktuell heiß umkämpften Rechtslage.
Augsburg
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