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“Das Musikbusiness ist männerdominiert!”

Ende der Siebziger waren Siouxsie & The Banshees das musikalische Spektakel im Vereinten Königreich. Nicht umsonst galten sie als eine der berühmtesten Bands des Post-Punks. Mit ‘Mantaray’ veröffentlicht die ehemalige Frontfrau nach über 30 Jahren musikalischen Schaffens ihr erstes Soloalbum und holt zum großen Rundumschlag aus.

Styling war für Siouxsie Sioux immer Herzensangelegenheit und Fluch zugleich. “Viele haben mich in den späten Siebzigern dafür harsch kritisiert. Ehrlich gesagt, ich verstehe das bis heute nicht: Musik und Stil gehen doch Hand in Hand?!”, rätselt die Wahllondonerinnen zurückblickend. Sie sah sich damals keinesfalls in einer Madonna-ähnlichen Rolle, sondern wollte mit ihrem Auftreten vielmehr den eigenen Gefühlen Ausdruck verleihen. “Wenn ich bei Konzerten mit einer Hakenkreuzarmbinde auftrat, verfolgte ich das gleiche Ziel wie Joy Division. Mit solchen Symbolen wollten wir bestimmten Leuten den Spiegel vor die Nase halten”, erklärt sie und ergänzt: “Nur hatte ich das Pech, in einem männerdominierten Business zu arbeiten und selten für voll genommen zu werden.”

Dein Fazit der Siouxsie & The Banshees-Ära klingt weniger nach einer tollen, als vielmehr anstrengenden Erfahrung!
Siouxsie: Wir haben versucht, neue Akzente zu setzen. Der abstrakte Sound der ersten Platten hat dabei sehr geholfen. Allerdings stand irgendwann mein Look mehr im Vordergrund als die Musik und das hat mich geärgert, weil die Leute in mir eine Madonna des New-Wave gesehen haben. Dem war aber nicht so! Kein Mensch hat sich über das Styling von New Order unterhalten, niemanden interessierte, wo Robert Smith von The Cure seine Klamotten kauft, nur ich musste in Interviews zu neuen Alben mehr über meine Klamotten als über unsere Songs reden.

Glaubst du, dass dies allein ein Produkt von patriarchalischen Mechanismen war?
Siouxsie: Ich bin der festen Überzeugung, dass zu viele Männer das Sagen hatten. Schau dir die damaligen Labelchefetagen an! Nur Typen hielten die Fäden in der Hand. Heute hat sich dies ein wenig geändert, was allerdings noch lange nicht reicht. Man darf mich auch nicht falsch verstehen: Es geht mir nicht darum, alles zu verteufeln. Ich möchte einfach nur zeigen, dass es schon immer gewisse Strukturen gab, die es Frauen wie mir im Musikbusiness sehr schwer gemacht haben.

Trotz allem verlief Siouxsie Siouxs Karriere bis Mitte der Achtziger bilderbuchmäßig. Zwar verließen schon früh zwei Gründungsmitglieder die Band, aber den Banshees war es jederzeit möglich, Verluste zu kompensieren: “Ich bin definitiv eine starke Persönlichkeit und weiß genau, was ich will. Wahrscheinlich fehlt es mir deswegen an Kompromissbereitschaft, keine Ahnung.” Womit wir im Hier und Jetzt angelangt sind: Nach dem endgültigen Split der Banshees zur Jahrtausendwende, ging auch Siouxsies Nebenprojekt The Creatures den Bach hinunter. Über die Gründe wurde viel spekuliert und fragt man die Sängerin selbst, erzählt sie von bandinternen Differenzen und bekräftigt, dass alle Entscheidungen im gegenseitigen Einvernehmen getroffen wurden.

Für ihr Solodebüt ‘Mantaray’ musste sie sich keinerlei demokratischen Willen beugen – was für die ehemalige Diva nicht der Anreiz war, es auf eigene Faust zu versuchen: “Ich hatte in den letzten Jahren wahnsinnig viele Songs geschrieben und wollte mit den Skizzen unbedingt ein Album auf die Beine stellen. Vor dem Ergebnis hatte ich etwas Angst, weil mir Gedanken durch den Kopf gingen wie, klingen die Songs eigenständig oder hört man doch die Banshees bzw. Creatures heraus?” Letztes kann man weitestgehend verneinen und wünscht es sich trotzdem herbei: ‘Mantaray’ offenbart einen erschenkend unaktuellen Sound aus großflächigen Drums und hallenden Gitarren. Die Texte verhaspeln sich obendrein in Nichtigkeiten und wirken phasenweise unausgereift.

Warst du dir vor den Aufnahmen sicher, dass es ohne deine ehemaligen Mitstreiter besser funktioniert oder hast du sie manchmal vermisst?
Siouxsie: Darüber habe ich eigentlich gar nicht nachgedacht. Mit meinen Songs klappt es inzwischen allein einfach besser. Ich hatte während der gesamten Aufnahmen nie das Gefühl, dass von irgendeiner Seite Ratschläge nötig wären. Im Prinzip ist ‘Mantaray’ mein erstes Werk, das völlig autark entstanden ist. Sicherlich höre ich auf meine Kollegen im Studio – das sind alles tolle Menschen. Deswegen verstehen sie es auch, wenn ich mir ihre Meinung zu Herzen nehme, aber vielleicht nicht unbedingt befolge.

Fühlst du dich heute, wo der Fokus der Öffentlichkeit auf andere Bands gerichtet ist, wohler als damals?
Siouxsie: Ich mag mein momentanes Leben. Natürlich gibt es Dinge, die mich aufregen und wo ich kein Verständnis für habe – doch mit den Jahren legt man sich ein dickes Fell zu. Deswegen hoffe ich, dass es auch heute noch genügend Köpfe gibt, die einen ähnlichen Anspruch haben, wie wir damals: Eine Meinung vertreten und sagen, ich gehe nicht eher, bis ihr zuhört!

Siouxsie wirkt während des gesamten Interviews merkwürdig und widersprüchlich. Es scheint phasenweise, als sie verbittert und doch lacht sie im nächsten Moment, wenn die Frage nach ihrer momentanen Vertrauensperson aufkommt und die hauseigene Katze als erste Antwort fällt. Mit ‘Mantaray’ hat sich Siouxsie Sioux keinen großen Gefallen getan und jeder Anhänger der Banshees war im Vorfeld zu Recht kritisch ob der Qualität des Werks. Trotzdem: Der Status den sich die Grande Dame in gut 30 Jahren erarbeitet hat, wird sie auch bei den nächsten Generationen nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Interview: Christine Stiller/Marcus Willfroth

Text: Marcus Willfroth

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