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Slave To The Grind

Würde man im Lexikon den Begriff ‘Workoholic’ nachschlagen, dann würde es nicht gänzlich überraschen, ein Bild von Peter Tägtgren dort vorzufinden. Das offensichtlich nicht der Gesundheit zuträgliche Arbeitspensum des mit fast 35 Jahren auch noch nicht gerade ‘alten’ Schweden manifestiert sich in beeindruckender Weise in seinen dunklen Augenringen.

Der Multiinstrumentalist ist bekannt dafür, ständig am Limit zu agieren. Ob nun als Kopf seiner Band Hypocrisy (Death-Metal!), als ‘Star’ der One-Man-Show Pain (Bombast-Industrial-Stadion-Metal?) oder als Produzent einer feinen Selektion extremer Metal-Acts, die er in seinem Studio ‘The Abyss’ mit dem ‘Tägtgren-Stamp Of Approval’ versieht, immer arbeitet er bis zum Umfallen. Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einem langen Tag im Studio kippte er nach seiner zweiten Feierabend-Rum-Cola einfach tot um. Zwei Minuten tanzte der Schwede mit den Toten, wurde aber erfolgreich wiederbelebt. Jetzt nennt er sein neues Album konsequenterweise ‘Dancing With The Dead’. Das geht in Skandinavien gerade wieder mal durch die Decke.

Peter, wie geht es dir heute? Hast du gut und vor allem mal genug geschlafen?
Mir geht es sehr gut! Was das mit dem Schlafen angeht, so bekomme ich nie genug Schlaf. Aber das ist schon okay. Ich brauche so oder so nicht so viel davon. Alles über acht Stunden ist zu viel.

Du hast mal gesagt, dass du den Drang verspürst, immer arbeiten zu müssen? Wie lange arbeitest du denn so im Schnitt?
Ich mache eine Pause, wenn mein Sohn von der Schule nach Hause kommt. Wenn er ins Bett geht, dann arbeite ich weiter. Das sind dann in etwa so 15 Stunden-Tage.

Wann hast du denn das letzte Mal Urlaub gemacht?
Letzten Sommer. Wir sind für zehn Tage nach Dänemark gefahren und haben uns da ein Haus am Meer gemietet. Ich habe mich einfach mal total entspannt und an gar nichts gedacht.

Konntest du das denn einfach so?
Ich hatte nicht gedacht, dass es funktionieren würde. Aber ich habe es tatsächlich geschafft.

Du machst nicht besonders oft Urlaub, oder?
Das war mein erster Urlaub überhaupt.

Was ist denn deiner Ansicht nach der Triebfeder deiner Rastlosigkeit, dieses Arbeits- und Schaffensdranges?
In meinem Kopf geht einfach ständig irgendwas ab. Ich habe einfach immer Ideen im Kopf, und die muss ich einfach rauslassen. Ich war schon als Kind hyperaktiv. Es ist gut, dass ich die Musik da gefunden habe. So kann ich all die Energie, die ich in mir habe, in die Musik stecken. Sonst wäre ich wahrscheinlich im Knast. Wenn ich andere Bands produziere, dann sehe ich, wenn die am Limit sind. Bei mir erkenne ich den Punkt nie. Ich pushe mich definitiv wesentlich mehr, als manchmal gut für mich ist.

Du bist ja auch mal nach einem so langen Tag zusammengeklappt und musstest wieder belebt werden?
Ja. Ich war für zwei Minuten klinisch tot.

Hat die Erfahrung denn dein Leben in irgendeiner Weise beeinflusst?
Nein, gar nicht. Ich versuche lediglich, am Leben zu bleiben für meinen Sohn. Ich kann aber jetzt nicht in der Gegend herumrennen und Angst vorm Sterben haben. Morgen kann eben schon alles vorbei sein. Das ist einfach so.

Du hast keine Angst vorm Sterben?
Nein.

Warum nicht?
Weil es einfach passiert, es ist die einzige sichere Sache, dass du irgendwann stirbst. Das einzige Frage ist, wann.

Wird der Gedanke an den Tod denn dadurch leichter zu ertragen? Du verlierst doch alles, wofür du dich abgerackert hast. Das ist doch der Hauptgrund, warum die Menschen Angst vor dem Sterben haben, vor dem Loslassen?
Ich denke nicht, dass es so schlimm ist, zu sterben. Natürlich will ich so lange leben, wie es geht. Wegen meines Sohnes und weil ich noch nicht fertig bin mit meiner Musik. Ich denke, ich habe noch eine ganze Menge mehr zu geben.

Wenn ich dich mir in deinem Studio bei der Arbeit vorstelle, dann hat das schon so etwas von einem extremen Einzelgänger. Warst du als Kind auch schon eher auf dem Solo-Trip?
Ja, ein bisschen. Natürlich hatte ich immer Freunde um mich, aber meistens wollte ich eigentlich alleine sein, mein Ding machen. Ich weiß, dass man eine Menge erreichen kann, auch wenn man ganz alleine ist. Und das treibt mich um so mehr an. Mit Hypocrisy ist es anders. Da sind wir ein Team, das ist auch mal gut. Also gibt es da beide Seiten in mir.

Für manche Leute ist es ja ein konstanter Kampf im Leben, hinter etwas herzulaufen, das sie letzen Endes doch nicht bekommen. Sie erreichen trotz aller Mühen niemals den Punkt, an dem sie wirklich von tiefer Zufriedenheit geprägt sind. Hast du dahingehend Erfahrung?
Ja, das bin ich. Definitiv. Obwohl ich ja in den letzten zehn Jahren eine Menge von dem erreicht habe, was ich niemals für möglich gehalten hätte.

Du bist ja ein extremer Perfektionist. Hast du denn jetzt schon etwas gefunden, was du mittlerweile an der neuen Platte anders machen würdest?
Eigentlich bin ich momentan sehr nahe daran, zu 100% zufrieden mit dem Album zu sein. Ich wollte, dass die Songs mehr Energie haben, ich wollte den Mix besser machen. Die ganze Produktion sollte besser werden. Außerdem habe ich mich mehr auf das eigentliche Songwriting konzentriert, auf starke Melodien und gute Riffs. Ich bin nah an meine ursprüngliche Vorstellung heran gekommen.

Wie findest du denn ein Ende beim Arbeiten, wenn du immer wieder und bis zur letzten Sekunde an Einzelheiten feilst?
Manchmal ruft die Plattenfirma an und sagt: “Schluss jetzt! Gib uns einfach das Album!” Dann ich: “Nein, es ist noch nicht fertig!” Dann wieder die: “Doch ist es! Her damit!” Manchmal müssen eben Leute reinkommen und mir Bescheid sagen (lacht).

Manche Melodien auf dem Album erinnern mich an groß produzierte Achtzigerjahre-Heavy-Metal-Bands.
Oh. (lacht!)

Was sagst du dazu?
Hilfe! (lacht noch mehr) Ich weiß nicht genau. Dieses Album ist schon wie ein gutes Ozzy Osbourne-Heavy-Metal-Album. Aber mit einer modernen Produktion, mit mehr Industrial und vielleicht etwas Gothic darin. Ein bisschen Techno-beeinflusst. Ich denke dieses Album ist das erste, bei dem ich von nichts sonst beeinflusst worden bin. Zuvor gab es da Bands wie Rammstein und Depeche Mode, die mich beim Schreiben prägten. Aber dieses Mal fühlt es sich so an, als hätte ich meinen eigenen Pain-Sound gefunden.

Die Songs sind sehr catchy, die Produktion ist fett. Das Ganze ist definitiv kommerziell. War auch das deine Intention mit Pain, und was bedeutet kommerzieller Erfolg eigentlich für dich?
Pain ist mein Baby. Ich mache alles selber. Was immer ich sage, geschieht. Natürlich ist es immer schön, erfolgreich zu sein, weil das mein Projekt ist. Niemand sonst ist daran beteiligt. Das fühlt sich echt toll an. Das Album ist gleich auf Nummer drei in Schweden eingestiegen. In Finnland ist es, glaube ich, in die Top 20 und die Single auf Nummer 5. Ich hoffe also, dass es nicht mehr nur ein schwedisches Phänomen ist.

Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass das heute dein letzter Tag wäre?
Dann würde ich sofort zu meiner Familie nach Hause gehen. Definitiv.

Und was machst du heute Abend? Zwei Rum-Cola trinken?
Noch ein paar Interviews, dann entspannen, ein Bier trinken und Spaß haben.

Text: Martin Erfurt

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