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“Punkrocker altern nicht gerade würdevoll” – Mike Ness im Interview

Eine Neuigkeit vorneweg: Mike Ness will nicht wieder mehr als ein halbes Jahrzehnt warten, bis das nächste Album von Social Distortion kommt – und seine Band damit nach Deutschland. Er will nach “Hard Times and Nursery Rhymes” direkt weiter machen und denkt nicht die Spur ans Aufhören. Er scheint zwar ruhiger geworden und älter, aber er ist fit.

Wir treffen Mike Ness im Haus Auensee in Leipzig, am 02. Juni, einige Stunden vor dem ersten Deutschland-Konzert von Social Distortion auf der aktuellen Tour. Der Mann taucht auf, klein, leicht gebückt von den seit 30 Jahren viel zu tief hängenden Gitarren. Er ist 49 Jahre alt, hat kleine graue Strähnen in den Bartstoppeln, die pechschwarzen, wenn auch etwas dünneren Haare sind wie immer slick back gekämmt. Er trägt eine schwarze Strickjacke, die Tattoos dezent unter dem V-Ausschnitt. Er ist ruhig, freundlich, spricht gemächlich und nachdenklich, er wirkt klar, kontrolliert und kolossal cool.

motor.de: Überrascht, dass Social Distortion so viele Extra-Shows ausverkauft haben, zwei weitere in Berlin und drei (!) in Hamburg?

Mike Ness: Ja! Ehrlich, ich habe vorher nicht viel darüber nachgedacht, weil wir in den USA auf Tour waren und ich dann nur eine Woche zu Hause. Aber es ist natürlich großartig. Wir haben gewusst, dass wir viele Fans in Deutschland haben, Freunde. Es ist uns wirklich wichtig, hier öfter herzukommen. Ganz klar: Wir müssen hier spielen.

motor.de: Also sind Touren in Europa keine lästige Pflicht?

Mike:
Oh nein, ganz und gar nicht! Sicher, für uns ist es wichtig, in den USA zu spielen. Aber: Wir wollen die Welt erreichen. Außerdem bin ich an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich Reisen schätzen gelernt habe. In den 90ern habe ich Europa gehasst (lacht), konnte das einfach nicht wertschätzen. Jetzt bin ich älter und mag die Unterschiede, die ganze Geschichte. Ja, das Touren ist interessanter geworden, es macht mehr Spaß.

motor.de: Wie kommt die Familie damit klar, die Kinder? [Mike Ness hat zwei Söhne, 15 und 19 Jahre alt; Anm. d. Red.]

Mike: Das ist sehr schwierig. Ich würde das niemandem empfehlen, wirklich eine große Herausforderung. Ich habe zwar das Glück, eine Frau zu haben, die das unterstützt, obwohl es hart für sie ist. Sie ist außergewöhnlich stark, aber sie muss damit leben, einen großen Teil des Jahres allein erziehende Mutter zu sein. Die Kids sind zwar alt genug jetzt, aber auch für sie ist das noch immer hart.

motor.de: Wie finden es die beiden einen Rock’n’ Roll-Star als Vater zu haben?

Mike: Ich denke, sie respektieren das und sind auch irgendwo stolz. Aber, nun ja, sie wollen noch immer nicht mit ihren Eltern gesehen, von der Schule abgeholt werden. Sie wollen nicht wegen mir die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, benehmen sich aber auch wie ganz normale Kids in diesem Alter, mit 15, wenn die eigenen Eltern einem immer irgendwie peinlich sind.

motor.de: Was macht ihr als nächstes, nach dieser Tour?

Mike: Oh, wir touren erstmal, das wird noch eine Weile gehen. Aber dieses Mal möchte ich versuchen, nicht wieder so eine lange Pause bis zu den nächsten Aufnahmen zu machen. Es ist ein kreativer Prozess, wenn man aufnimmt. Aber der muss nicht enden, wenn ein Album fertig ist. Dieses Mal möchte ich wirklich versuchen, das am laufen zu halten, in diesem kreativen Modus zu bleiben.

motor.de: Also könnte es Neuigkeiten in etwa zwei Jahren geben?

Mike: Das wäre schön, ja!

motor.de: Nicht wieder sechs oder sieben Jahre?

Mike: Nein, auf keinen Fall. Das hat für uns in der Vergangenheit gut funktioniert, aber ich möchte mich darauf nicht verlassen. Und ich kann mich auch nicht darauf verlassen, dass unsere Fans wieder acht Jahre auf ein neues Album warten.

Social Distortion – “Machine Gun Blues”

motor.de: Für mich klingt das neue Album stärker nach den Solo-Alben von Mike Ness. Bekommen traditionellere amerikanische Stile, Country, Folk, jetzt einen größeren Einfluss auf Social Distortion als früher?

Mike: Oh, das denke ich nicht. Dieses Album hätte auch gut auf “Somewhere Between Heaven and Hell” [viertes Studioalbum von Social Distortion, 1992; Anm. d. Red.] folgen können. Diese Einflüsse waren immer da.

motor.de: Vielleicht hört es sich etwas anders an, weil es nicht ganz so gerade reinhaut wie die beiden Alben davor.

Mike: Ich möchte schon auch Abwechslung. Wenn man ein Album auflegt, soll man gleich wissen: Ok, das ist dieses, das ist jenes von Social Distortion – nicht nur, aber vor allem wegen der Texte. Man kann auch in einer bestimmten Art zu schreiben stecken bleiben, dann wird es immer gleich klingen, und das möchte ich nicht. Ja, ich habe jetzt mit Grooves experimentiert, die ich von den späten 70ern her mochte. Aber es sind sonst auch noch immer dieselben Einflüsse – die Ramones, die Stones, Johnny Thunders und Hank Williams, nur eben mal in die, mal in die andere Richtung weiter getrieben.

motor.de: Welche Rolle spielt das Bad-Guy-Image von Mike Ness und Social Distortion heute noch, war es jemals wirklich wichtig, auch für den Erfolg der Band?

Mike: Ach, ich weiß nicht, ich habe es immer geliebt, diese Stereotypen zu zerstören. Die Menschen merken heute, dass ich Vegetarierer bin, ich mache Yoga und Boxen, ich bin Anti-Rassist und Tierfreund – Gegenkultur. Punk, wild, gewalttätig? Na ja, ihr wisst, dass ich einiges hinter mir habe. Ja, ich war durchaus mal gewalttätig, aber eher weil wir dachten, wir müssten so sein. (lacht)

motor.de: Es gibt einige Leute hier, die kommen zu den Konzerten, weil sie doch etwas Angst haben, es könnte das letzte Mal sein; oder dass es dann doch wieder sehr lange dauern wird, ist euch das bewusst?

Mike: Ich glaube, dass es doch eher daran liegt, dass viele Leute bisher noch nicht dazu gekommen sind, uns zu sehen. Also wollen sie es jetzt, denn sie mussten wirklich lange warten. Ich glaube, dass das eher der Fall ist.

motor.de: Gibt es etwas mit Social Distortion, das sich noch entwickeln kann, lassen sich mit der Band noch viele Experimente anstellen?

Mike: Mit uns ist es immer so gewesen, dass wir uns entwickeln wollten, und das tun wir nach wie vor – wir entfalten uns, wie ein Mensch. (lacht) Unser Erfolg kam immer langsam und schrittweise und wir wollen noch weiter kommen. Aber klar, wir machen das jetzt seit 30 Jahren, wir wissen, dass wir keine Stadionband sind, wir sind ehrlich zu uns selbst. Aber wir wollen natürlich Platten verkaufen und die Häuser, in denen wir spielen, auch füllen.

motor.de: Wann sollte ein Rock’n’Roll-Star aufhören?

Mike: Rock’n’ Roll, besonders Punk, ist die erste Musik-Generation, für die Alter eine Rolle spielte, für Jazzer, Blues- oder Country-Musiker ist das anders. Aber ich denke, so lange es echt ist und Spaß macht, geht es. Sehr wichtig dabei ist zu akzeptieren, dass man alt ist oder älter wird, dass man nicht versucht, jünger zu wirken. Die Stones sind ein gutes Beispiel dafür, Tom Petty, Bob Dylan, sogar die Ramones bis vor ein einigen Jahren. Ich habe nicht das Gefühl, dass die versucht haben, jünger zu wirken. So lange man ist, wie man ist, zu sich selbst ehrlich und nicht versucht anders zu sein, so lange ist es ok.

motor.de: Aber es gibt einen Punkt, an dem es peinlich wird…

Mike: Ja, wenn man nicht auf sich achtet, wenn man abgewirtschaftet aussieht. Punkrocker altern nicht gerade würdevoll (lacht), man muss dann schon etwas anders machen. Wenn man nicht auf sich aufpasst, kann es schon irgendwann lächerlich werden.

Interview: Kristian Schulze

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