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Categories: Rezension

Steven Patrick Morrissey – Autobiographie

Für seinen Wunsch seine Biographie in der Penguin Classics Reihe zu veröffentlichen, in der sonst eben Klassiker wie Charles Dickens oder Virginia Woolf erscheinen, erntete Morissey Hohn und Spott und der Verlag Kritik, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Aber es ist tatsächlich geschehen: Der kleine Pinguin ziert das Cover, auf dem sonst nur der sinnlich dreinblickende Morissey zu sehen ist, die Augen geschlossen, abgetaucht in eine andere Welt, so wie man ihn kennt. Aber was wäre Morrissey auch ohne den Hang zur Eitelkeit und Arroganz?

Allein die Entscheidung eine Autobiographie zu schreiben, impliziert ja schon die Annahme, das eigene Leben sei interessant und bedeutend genug, dass Menschen sich die Zeit nehmen, es auf 457 Seiten durchzukauen. Aber sein Erfolg gibt ihm mal wieder Recht, und wer kann es ihm verübeln, dass er nach gut 30 erfolgreichen Jahren als Musiker und über die Jahre von Millionen verehrt, der Meinung ist, er habe genug aufregende Geschichten erlebt, um ein Buch zu schreiben?
Wer aber eine Biographie á la „Großvater im Schaukelstuhl, der – melancholisch in Erinnerungen an die guten alten Zeiten schwelgend – aus dem Nähkästchen plaudert“ erwartet hat, der hat sich geschnitten. In seiner Autobiographie rechnet Morrissey ab mit der Welt – mit prügelnden autoritären Lehrern, Musikern und Weggefährten, der verlogenen Presse, unfähigen Plattenfirmen und Unrecht schaffenden Richtern.

Er zerreißt all die Menschen, die ihm in seinem Leben gebirgsartige Steine in den Weg gelegt haben und scheut keinesfalls davor zurück, Namen zu nennen. Er scheint seine Autobiographie als  Chance zu sehen, endlich seine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen und all die Lügen zu revidieren, die im Laufe der Jahre über seine Person verbreitet wurden. Und dabei hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, er wolle sich für irgendetwas rechtfertigen, was er gesagt oder getan hat, oder getan haben soll. Morrissey fühlt sich zu jeder Zeit voll und ganz im Recht.
Ja, er erweckt regelrecht den Eindruck, er sei die Unschuld und die Gerechtigkeit in Person – die heilige Mutter Gottes sozusagen – betrogen und benutzt von all den Menschen um ihn herum.

Alles beginnt im grauen Manchester der 60er und 70er Jahre. Tristesse, Tod und Trauer prägen Morrisseys frühes Leben. Schon hier zeigt sich, dass Steven Patrick Morrissey, der Sohn irischer Einwanderer nicht in die Gesellschaft passt, in der er aufwächst, mit all ihren Regeln und Konventionen und so wenig Platz, sich selbst zu entfalten. Die Ironie seines Lebens: Geboren wird er schon mit einem zu großen Kopf. Einem Kopf so groß, dass es seine Mutter fast umgebracht hätte. Wer hätte damals gedacht, dass aus diesem kleinen Jungen mit dem zu großen Haupt, mal das geniale Mastermind wird, das mit seiner Band zum Wegbereiter für so viele Musiker avancierte?
Im Schulalltag voller Unterdrückung bleibt kein Platz für Kreativität, Ideen und Zukunftsvisionen.
Die Musik ändert das. („Song made a difference to everything, and permitted expressions that otherwise had noy way through.“ (S.41) Righteous Brothers Bill and Bobby “Suddenly everything else in life was in question” (s.42))

Seine Begegnung mit Johnny Marr, die Geburtsstunde von The Smiths, ist ein Schlüsselmoment in Morrisseys Leben. (“The Smith’s were my first life’s pleasure, and were turned into incomprehensible sorrow”)

Und obwohl die Geschichte vom Anfang und Ende der Band gerade einmal gut 60 der 457 Seiten einnimmt, wird deutlich, dass so ziemlich alles Andere darauf aufbaut. An dieser Stelle sei erwähnt, was man oft vergisst, nämlich, dass The Smiths ja auch nur fünf (!) Jahre seines viel längeren und noch nicht beendeten Künstlerdaseins eingenommen haben. Und doch tauchen The Smiths immer wieder auf. Schon allein deswegen, weil der Name Morrissey für die meisten Menschen auf ewig damit verbunden sein wird. Hier wird sein ikonischer Status deutlicher als nirgendwo sonst.

Seine detailverliebte Schreibweise macht das Ganze zwar zuweilen recht langatmig, verfehlt an anderen Stellen aber keinesfalls ihre Wirkung. So hat man manchmal das Gefühl, man säße beim The Smiths Prozess, bei dem der ehemalige Schlagzeuger der Band Morrissey und Marr verklagt, um 25% des Smiths Vermögens zu bekommen, live im Gerichtssaal in der ersten Reihe. Und das liegt nicht nur daran, dass Morrissey sich im Buch ganz genau an jedes Detail der Verhandlung erinnert, an die Aussagen der einzelnen Personen, ihr Auftreten, ihre Mimik und Gestik, sondern vor allem auch daran, dass auch jetzt, Jahre nach dem Prozess, die Wut in jedem Satz mitschwingt. Man kann die Empörung über das ungerechtfertigte Urteil und die Bestürzung über die Willkür des Richters förmlich spüren. 
Und bei allem Verständnis für seinen Hass gegenüber dem Richter, der dem unsicheren und stammelnden Schlagzeuger der Smiths, trotz (laut Morrissey) eindeutiger Beweislage gegen ihn, Recht zuspricht, ist es hier eindeutig zu viel des Guten. Morrissey verliert sich wie in so einigen Passagen des Buches in wilden Beschuldigungen und endlosen Beweisführungen seines Rechts. Völlig verbissen und nahezu besessen davon, sich als Opfer der Geschichte und als Inkarnation der Wahrheit darzustellen, schießt er vollkommen über das Ziel hinaus.

Es zeigt sich: Der egozentrische Morrissey kommt mit keinem Menschen lange aus, immer wieder trennen sich die Wege auf unschöne Art und Weise. So ist es kaum verwunderlich, dass er seine erste Liebesbeziehung erst im Alter von 35 Jahren eingeht, und zwar mit dem Fotografen Jake Walters. Die Beschreibung seiner Zeit mit Jake Walters ist eine der ehrlichsten und aufrichtigsten Passagen des Buches, in der man Morrissey von einer anderen Seite kennenlernt. Einen Morrissey, der für einen anderen Menschen Zuneigung und Bewunderung empfindet, statt Abscheu und Enttäuschung. „Es ist das erste Mal in [seinem] Leben, dass das ewige „Ich“ zu einem „Wir“ wird, da [er] letztlich mit jemandem auskommt. (“[…] for the first time in my life the eternal “I” becomes “we”, as, finally, I can get on with someone” (S. 274) ).

An dieser Stelle des Buches gewährt Morrissey seltene Einblicke in sein sonst so mysteriös verhülltes Liebesleben, das zwar immer eine Rolle spielte, aber eigentlich nur auf die Weise, dass Morrissey immer wieder bekräftige, dass es keine große Rolle in seinem Leben spiele.
In einem Gespräch sagt David Bowie „Ich hab so viel Sex gehabt und so viele Drogen genommen, dass ich gar nicht glauben kann, dass ich noch am Leben bin“, woraufhin Morrissey antwortet:  „Ich hab so wenig Sex gehabt und so wenig Drogen genommen, dass ich gar nicht glauben kann, dass ich noch am Leben bin.“ So wurde auch die Antwort auf die Frage nach Morrisseys sexueller Orientierung letztlich nie ganz geklärt. Nach seiner Beziehung mit Jake Walters lebte Morrissey mit einer Iranerin zusammen und überlegte sogar, ein Kind mit ihr zu bekommen. Er selbst beschreibt sich als „Humasexual“ ("Unfortunately, I am not homosexual, In technical fact, I am humasexual. I am attracted to humans. But, of course, not many.")

Im Grunde kann man das Buch beschreiben, wie seinen Schöpfer. Gefüllt mit einer großen Portion Narzissmus und Selbstmitleid, und doch scheint der geniale und außergewöhnliche Kopf und Geist immer wieder durch. Es ist Morrissey durch und durch. Und erfüllt so doch, trotz all der Kritik an seinen endlosen Hasstiraden gegen seine Mitmenschen und die Welt, die ihn so weit gebracht haben, die Welt, die ihn so groß gemacht hat, den Zweck einer Autobiographie. Was man ab und an vermisst, ist der Steven Patrick hinter dem großen Morrissey.

Morrissey – den Vornamen abgelegt, um sich einzureihen in die Riege von großen Komponisten, und Schriftstellern, deren Nachnamen zeitlos verbunden sind mit ihren Werken? Goethes Faust, Mozarts kleine Nachtmusik und Morrisseys Werke?
Ich will dem guten Herrn hier natürlich keinen Größenwahn unterstellen, nur weil er seinen Nachnamen als Künstlernamen gewählt hat. Aber dann noch die Veröffentlichung seiner Autobiographie in einem Klassikverlag, irgendwie schließt sich da für mich der Kreis.

(Linna Umme)

 

Neugierig geworden?
Wir verlosen zwei Autobiographien von Steven Patrick Morrissey. Die einfach so zu verschenken wäre aber viel zu einfach. Da müsst ihr schon etwas mehr tun und uns folgende Fragen beantworten:
Wir suchen zwei Namen: Den eines Songs und den einer Künstlerin.

Es geht um einen Song, den Morrissey 2004 gemeinsam mit Alain Whyte geschrieben hat. Es gibt zwei Versionen dieses Songs: Die von Morrissey, die es auf Platz 8 der UK Charts schaffte, und die einer anderen Künstlerin, die auf Platz 46 landete.

Im Buch beschreibt Morrissey besagte Künsterlin so: "We have become good friends, and she is desperately generous and humble. She has recorded my song 'xy', and it is to be released as a single, and I am dumb-struck with excitement at the fullness and strenght of the final mix. There is a flickering sensuality to 'xy's voice that is unique, and with the restorative power of Sanctuary behind the release, I sense a huge hit."

Na? Erraten? Wenn ihr es wisst, dann schickt uns eine Mail an linna.umme@motor.de mit dem Betreff "Morrissey". Die zwei richtigen Antworten dürfen darin natürlich nicht fehlen.
Viel Glück!

 

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