Vergangenes Wochenende fand zum 14. Mal das Stoned From The Underground Festival am Alperstedter See bei Erfurt statt und um ehrlich zu sein, wissen wir gar nicht genau, wie wir anfangen sollen, dieses unglaubliche Wochenende zu beschreiben. Sicher handelt es sich hier nicht um jedermanns Geschmack und um eine stilistisch recht spezielle Angelegenheit, aber derart viel Herzlichkeit, musikalische Konsequenz und familiäre Atmosphäre findet man im deutschen Festivalwesen bei weitem nicht an jeder Ecke. Wer abseits der geschmeidigen, popgeschwängerten Soundgefilde kapituliert, sollte sich an dieser Stelle vielleicht lieber die Review der neuen Pet Shop Boys vornehmen. Klotzen statt kleckern, das Stoned LineUp wuchtet ein gehöriges Pfund in die Magengrube. Mögen die Spiele beginnen:

Sympathy For The Devil

Wir erreichen das Gelände am späten Donnerstag Nachmittag. Die Veranstalter feiern in diesem Jahr Premiere vom dritten, offiziellen Festivaltag und holen mit unter anderem Earthless und The Atomic Bitchwax einen spannenden Einstand auf die im Verhältnis zum kleinen Gelände großzügig proportionierte Hauptbühne. "Nee, fahrt erstmal rauf und sucht euch nen schönen Platz. Bändchen holt ihr euch in aller Ruhe später." Ein breitschultriger, bis unter die Ohrläppchen mit Tattoos bestückter Security mit sonnigem Gemüt und der sicher unter den Kollegen heiß gehandelten Mitarbeiternummer 666 winkt uns auf den Platz. Im ersten Camp scheppert eine leere Bierdose auf einen bereits amtlich aufgetürmten Haufen Blech, stilecht rumpelt aus überstrapazierten Autoboxen irgendwo Kyuss über die staubige Einfahrt. Ein gelungener Empfang.

 

Blues For The Red Sun

Das Festivalgelände erreicht man in kaum mehr als fünf Minuten Fußmarsch direkt vom angrenzenden Zeltplatz aus. Ein riesiger Grill mit beachtlichen Steaks ist der erste Blickfang bei Betreten des Platzes. Neben und um diesen reihen sich eine Hand voll Platten- sowie reichlich Bierstände und liebevoll ausgewählte Fressbuden (wie auch immer die Kollegen dort auf warmen Milchreis gekommen sind, aber selbst grimmig dreinblickende Rocker mit langen Bärten haben hier ordentlich zugeschlagen). Zentral und fast unmittelbar neben dem FOH befindet sich ein kleiner, runder Hügel, der von jeder Menge gemütlich lümmelnder Festivalisten besiedelt wird. Hinter ihm geht hinter den thüringischen Hügeln ganz in rot die Sonne unter, parallel dazu spielt das Trio Earthless aus San Diego ein unglaubliches Sologewitter mit unaufhaltsam schiebender Rhythmusfraktion. Die Band legt eine überzeugende Performance ab und beweist am Ende gar einen noch längeren Gniedel-Atem als J. Masics, wir sind überrascht. The Atomic Bitchwax übernehmen im Anschluss die Bühne schließen den Donnerstag überraschend Garagen-lastig mit gehörig Fuzz und Muff im Gepäck, denen alle auf dem Platz gern noch mehr Gehör geschenkt hätten. Punkt zwölf ist jedoch Ruhe vor der Bühne, denn Kleinbürgerlichkeit macht leider auch vor dieser Oase nicht halt. Dank der anliegenden, jüngst zum Wohngebiet erklärten Bungalowsiedlung müssen die Veranstalter in diesem Jahr strikten Auflagen gehorchen. Der Stimmung tut das trotzdem keinen Abbruch. Ein starker, erster Abend.

 

Everybody's Gonna Be Happy

Die Sonne kennt am gesamten Wochenende kein Erbarmen und wir lieben sie dafür. Vielleicht nicht unbedingt morgens um acht, wenn sie uns schweißgebadet aus dem Zelt zwingt, aber umso mehr wenn sie den Regen fernhält und für das gesamte Wochenende bestes Wetter garantiert. Erste Amtshandlung vom Freitag (bis zum Opener um 15 Uhr bleibt viel Zeit) – ab zum Strand! Unglaubliche fünf Minuten ist der Alperstedter See vom Zeltplatz entfernt, bei Temperaturen von knapp 30 Grad gibt es am Ufer ein extrem dankbares Publikum. Dort lässt es sich unter ein paar Bäumen noch ein paar Stunden ausspannen, Steak und Kaffee schaffen die Grundlage für ein reichhaltiges Programm. Unter anderem die Truckfighters, Schwedens derzeit vielversprechendstes Stoner-Aushängeschild, haben sich angekündigt. Ein phantastisches Brett, unaufhaltsam geradeaus knüppelnd und ein Gitarrist, der nach einer Show etwa 10 Meilen gesprungene Bühnenstrecke hinter sich lässt. Einzig die Stimme des Bassisten wirkt nicht mehr ganz taufrisch. Aber nach gut einem halben Jahr Tour (unter anderem als Support von Kvelertak in Europa) sei ihm das verziehen. Im Anschluss fahren Acid King einen etwas entspannteren jedoch nur minder unspektakuläreren Film, die Koryphäen aus dem Tiefdruckgebiet der langsamen Doom-Stoner-Regionen sind wortkarg, perfekt aufeinander eingespielt und äußerst charismatisch. Frontfrau Lori lädt ein in den "Outer Space", ihre Stimme wirkt hunderte Kilometer über den knurrenden, tiefen Riffs. Eine konsequente Performance mit hervorragendem Sound. Aber über letzteren kann man in der Tat an kaum einem Punkt des Wochenendes klagen. Gesättigt von einem erfüllten Tag nehmen wir die Einladung zum Biertrinken mit dem Campnachbarn dankend an.

 

Welcome To Sky Valley

Nach gut einer Woche Dauersonnenschein sind ein paar Wolken am Samstagmorgen recht willkommen – eine Stunde länger Schlaf im Zelt. Noch etwas wacklig auf den Beinen und mit leichtem Klingeln im Kopf folgt die Morgenroutine – Strandaction. Der Weg zum See gleicht einem wahren Best Of der Desert Sessions und allem, was sich darum wohl fühlt. Unermüdlich werden quer über den Platz verteilt Autoboxen penetriert, die Geräuschkulisse ist äußerst amüsant und auf dem durchschnittlichen Festival definitiv nicht zu finden. Der Platz flimmert vor Hitze, wir bekommen einen etwaigen Eindruck von den Umständen der Aufnahmen in Palm Desert. Im See schwimmend, hören wir die erste Band, Deville aus Schweden spielen sehr soliden Heavy Rock und grooven das Publikum langsam auf die kommenden Spitzen des Tages ein. Es folgt eine kleine Entdeckung des Festivals und obendrein die Band mit dem schönsten Foto im Programmheft (ein Haufen Orange-Boxen mit einem vor breitgrinsenden Gesichtern zentrierten Big Muff-Pedal): Black Bombaim aus Portugal. Die drei Herrschaften scheinen auf Speed oder sonstigem Brandbeschleuniger. Heavy 70's Acid Rock in your face. Aber es kommt noch besser. Die Finnen Lord Vicar bauen einen druckvollen Übergang zu den Bluesrockern Five Horse Johnson aus Ohio. Knarzend angezerrte Mundharmonika-Soli deluxe und ein wahnsinnig großartiger Soundtrack zum erneut filmreifen, roten Sonnenuntergang im Thüringer Land. Das beste kommt bekanntlich zum Schluss und so fallen unsere Kinnladen tief, als LowRider ein geladenes Sludge/Stoner-Monster auf die Menge loslassen. Zehn Jahre waren die Schweden weg vom Fenster, auf dem diesjährigen Desertfest feierten sie Reunion. Auf dem Stoned sind sie nun offensichtlich wieder richtig in ihrer Materie angekommen. Ein wahres Highlight des Wochenendes, vier absolute Sympathen, eine Ausstrahlung die ihresgleichen sucht und der vermutlich beste Abschluss, den man sich für dieses Festival wünschen kann. "Let the neighbours over there eat something brown!"

 

LowRider – "Ode To Io" (2000)

 

And The Circus Leaves Town

Grübelnd über das eben Erlebte lassen wir das Festival auf dem kleinen, runden Hügel vor der Bühne zu Ende gehen. Während die ersten fleißigen Hände bereits mit dem Abbau geginnen und die Massen in Richtung Aftershow-Zelt strömen, resümieren wir in Gedanken das Wochenende. Hier wurde in jedem Fall einiges richtig gemacht und es gelang den Veranstaltern trotz Einschränkungen in der Lautstärke und Feierlänge ein reibungsloses Festival, das tatsächlich eine Art Oase im kulturell recht dünn besiedelten, grünen Herz Deutschlands darstellt. Enorm viel Herzlichkeit wurde uns entgegengebracht, als Abschied gab es als Bonbon einen Veranstalter der sich ganz ohne Selbstdarstellungsansprüche sondern einfach weil es ihm ein Bedürfnis ist, dankend von seinem Publikum verabschiedet und es noch einmal eindringlich vor unangenehmen Polizeikontrollen und maßvollem Alkoholgenuss ermahnt. Wir sind gerührt, die Bühne ist mittlerweile leer. "And The Circus Leaves Town", wie Kyuss sagen würden, deren Diskografie spätestens am nächsten Morgen wohl auch bis zur Gänze über den Platz verteilt gespielt wurde. Ehrenwert und respektvoll. Hoffentlich vermiesen die nörgelnden Nachbarn auf der anderen Seite des Sees nicht die Fortsetzung des Stoned From The Underground, denn wir sind im kommenden Jahr auch gern wieder Gast und legen auch euch dieses familiäre Mekka der Tiefdruck-Gitarrenmusik sehr ans Herz.

 

Alex Beyer
Hans-Christian Puls
Fotos mit freundlicher Unterstützung unseres motor.de-Verlosungs-Gewinners Jan Püplichhuisen