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Es gibt Leute, die machen Musik, um berühmt zu werden. Timothy Showalter gehört nicht dazu. Der enorm behaarte Amerikaner, der unter dem Künstlernamen Strand of Oaks aktuell sein neues Album Heal bewirbt, scheint sich damit in erster Linie selbst zu therapieren. Schließlich meint es das fiese Schicksal nicht gut mit ihm: Timothy spricht von einem „Fluch“ der mit erschreckender Regelmäßigkeit Häuser und Autos auf dem Gewissen zu haben scheint. Aber genau das ist Teil von Strand of Oaks.
Kurz bevor Timothy 2009 sein erstes Album Leave Ruin aufnahm, ging sein Haus in Flammen auf. Eine ganze Sammlung an Synthesizern und Equipment verwandelte sich in zusammen geschmolzene Klumpen. Das klingt nach einem Rückschlag, war aber keiner, und bescherte dem Album den Opener End In Flames. Das Ende. Als Opener. Und genau das ist das Grundprinzip von Strand of Oaks: Hinten wird vorne, schlecht wird gut, der Fluch wird zum Segen.
Timothy: Ich würde ohne diesen persönlichen Aspekt selbst gar keine Musik machen. Ich würde wahrscheinlich irgendwo einen Bikini-Laden leiten (lacht). So gehe ich nunmal mit diesen harten Zeiten in meinem Leben um. Irgendwie passiert etwa alle zwei Jahre etwas schreckliches in meinem Leben. Es ist nicht so als ob ich das steuern würde, aber es passiert. Manchmal glaube ich ich sei verflucht… Dabei fühle ich mich eigentlich am Meisten Unwohl wenn es mir gut geht. Zum Beispiel singe ich in meinem Song Plymouth: „Comfort doesn’t mean you’re better off“. Wenn es dir also eigentlich gut geht, muss dich das ja nicht glücklich machen. Das ist wirklich ein großer Unterschied. Es gibt Leute, die sind glücklich, wenn sie abends von der Arbeit kommen, ihr Netflix anschmeißen und sich dann Makkaroni machen. Mich würde sowas verstören. Ich würde lieber leiden als so etwas zu haben. Das erklärt wohl, warum ich Musik mache.
Auf den ersten Blick könnte das die Blaupause für eine entsetzlich aufgesetzte Karriere sein, in der eigene Tragödien, die eigentlich gar keine sind, hoch stilisiert und zur Krone der kreativen Schöpfung überhöht werden. Bei Strand of Oaks ist das anders: Heal ist kein Emo-Gewäsch, sondern ein ehrliches Album. Timothy stellt weiter alles auf den Kopf und ist auch noch verdammt stolz darauf:
Timothy: Ich habe alles gemacht, was ich machen wollte. Das habe ich noch nie so machen können. Und stolz zu sein ist wirklich wichtig! Denn manchmal denken Musiker sie wären zu cool um auf ihre eigene Musik stolz zu sein. So diese Indie-Rock-Einstellung, von wegen: „Ja, whatever…“ Ich sage: Ja, ich bin verdammt stolz auf dieses Album! Dieses Album hat mich verdammt nochmal vor der Selbstzerstörung gerettet! Man muss auf sowas stolz sein, denn das ist doch etwas besonderes! Das Internet kann dir keine Lieder schreiben, iPhones können das auch nicht. Das ist das, was uns noch bleibt, und auch wenn alles andere automatisiert wird, dann ist es immer noch unser eigenes Bewusstsein, das Dinge erschafft. Und deshalb bin ich stolz darauf. Heal ist auch das einzige meiner Alben, das ich absolut ohne Bedauern anhöre.
Tatsächlich beklagt sich Timothy, früher hätte er sich zu sehr in seine Alben rein reden lassen, einfach weil er es nicht besser gewusst habe. Heute ist das anders, sagt er. Aber wie klingt es überhaupt, wenn man stolz ist, kein Bedauern zeigt, und aus brennenden Häusern (während der Produktion von Heal war es übrigens ungelogen ein Autounfall!) Kreativität schöpft? Schwer zu sagen. Vielleicht ist es ja einfacher, den Geruch von Heal zu beschreiben. Wie also würde die neue Platte von Strand of Oaks riechen, wenn man Musik mit der Nase hören würde?
Timothy: Ich weiß genau wie sie riecht (denkt nach). Wie jemand, der gerade einen Marathon gelaufen ist, und wirklich schwitzt… Aber du weißt, dass er diesen Schweiß verdient hat. Es ist hart verdienter Mief. Es riecht so, wie Mohammed Ali nach einem Kampf. Man respektiert das.
Hart verdienter Mief. Was Timothy da von sich gibt, klingt in der Tat so, als sei er der Iron Man des Songwritings. Genau das kann man in seiner Musik auch hören. Heal kommt zunächst recht unprätentiös daher, es ist eine Platte ohne Umwege, auf der die Dinge noch ganz unverkopft bedeuten, was sie zu bedeuten scheinen. Dazu passt der für Strand of Oaks Verhältnisse doch sehr „rockige“ Sound, lauter und direkter als die älteren Alben. Und es geht auch nicht darum, der Welt Leid zu klagen, sondern sozusagen die eigene Mitte zu finden:
Timothy: Was auch komisch ist: Auf meinem neuen Album sind teils meine traurigsten, aber auch meine fröhlichsten Texte drauf. Gut, das sind dann vielleicht keine wirklich fröhlichen Lieder, aber sie ziehen einen jetzt auch nicht runter. Da ist schon Freude und Kraft drin, zum Beispiel bei Goshen ’97, wo ich rumschreie, dass ich einsam bin, aber auch Spaß dabei habe. Ich feiere das! Auch mit den Gitarrensolos. Es fühlt sich an wie: Ja, ich war schon traurig, und mir sind da schlimme Sachen passiert, aber ich war auch nostalgisch. Einige Momente auf dem Album sind auch sehr positiv, zum Beispiel gute Erinnerungen mit meiner Frau. Oder als ich mit meinen besten Freunden auf Tour war. Es geht einfach um das, was passiert ist. Wer weiß bitte, um was es bei Bohemian Rhapsody geht?! Zum Beispiel bei meinem Song Plymouth wurde ich gefragt: „Was bedeutet es, wenn du sagst: ‚Naked in the Great Lakes underneath the shine of Mars‘?“. Da sage ich: Naja, ich war nackt, ich war in den Great Lakes, und am Himmel konnte man nachts den Mars sehen!
Reicht ja auch: Wasser, Sterne, Strand of Oaks.
Ob das wirklich reicht kann an zwei Terminen überprüft werden, denn Strand of Oaks kommt nach Deutschland:
09.10.2014: Berlin, Privat Club
23.10.2014: Köln, Blue Shell
Heal erscheint am 20. Juni bei Dead Oceans / Cargo Records.
(Foto: Dusdin Condren / Text: Carsten Brück)
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