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Manchmal nervt sie, oft ignoriert man sie, selten belohnt man sie: Straßenmusik. Über eine Kulturform, die Räume schafft, Existenzangst bestärkt und am Ende dennoch auch Corona überleben wird.
Nur knapp ist man der fünftausendsten Performance von „Hit the road jack“ vom CD-Player in der S7 entkommen, als unten am U-Bahnhof schon der nächste Musikant wartet. Doch diesmal bleibt man stehen. Ein kleines Mädchen beginnt mit ihrem Bruder vor dem Sänger zu tanzen, was immer mehr Menschen zum Stehen bleiben motiviert. Die U-Bahn fährt ein. Manche werfen noch schnell etwas Kleingeld in die Gitarrenbox. Dann ist es wieder still und in der U-Bahn hört man nur den Schweiß seines Nebenmanns tropfen.
Am 11. März 2020 vergab die BVG die letzte Genehmigung für Straßenmusiker*innen vor Corona. Seitdem ist die Stadt still geworden und die Menschen, die mit laut sein ihr Geld verdienen, kratzen am Existenzminimum. Manche Straßenmusiker*innen versuchen sich über Crowdfunding eine Heizung zu finanzieren, andere spielen in leeren Stadien. Doch von Anfang: Was überhaupt bewirkt Straßenmusik?
Die ersten Straßenmusiker*innen waren die wandernden Rhapsoden in der Antike. War es damals jedoch noch üblich, dass Kultur in der Gemeinschaft und zumeist aus festlichen oder sakralen Gründen stattfand, ist sie heute durch ihre technische Reproduzierbarkeit überall und ohne Grund abrufbar. Für den Musikethnologen Mark Nowakowski bildet Straßenmusik für uns heute dementsprechend vor allem eine willkommene Abwechslung für unseren alltäglichen Kulturkonsum, denn sie begegnet uns an Orten, an denen wir eigentlich nur auf der „Durchreise“ sind. Der französische Anthropologe Marc Augé nennt Transiträume, wie Einkaufsstraßen oder U-Bahnhöfe, „Nicht-Orte“, denn eigentlich kommt es in ihnen zu keiner sozialen Interaktion. Eigentlich – denn wenn ein*e Straßenmusiker*in beginnt zu spielen, verwandelt sich der „Nicht-Ort“ in einen realen Ort und wir, die Passant*innen, werden aus unserer süßen kleinen Traumwelt in eine soziale Situation geworfen.
Man könnte also durchaus sagen, dass die große Gabe der Straßenmusik die Erschaffung von Räumen ist – und genau diese Erschaffung verbietet Corona. War es für Straßenmusiker*innen die größte Freude eine große Crowd vor sich zu versammeln, müssen sie jetzt bereits Angst haben, wenn nur vier Leute stehen bleiben. Die Verantwortung sei ihm momentan zu groß, meint auch der Straßenmusiker Danny, der vor Corona mit seiner Musik regelmäßig Straßenmusik-Touren gemacht hat. Im November startete er nun eine „Stadien-Tour“ und drehte ein Musikvideo in der leeren Lanxess-Arena in Köln um auf die Lage der Straßenmusiker*innen aufmerksam zu machen.
Inspiriert durch Stories wie die der Kelly Family und zu pleite, um einen Proberaum zu finanzieren, beginnt Danny mit 12 Jahren auf der Straße Musik zu machen.
Wenn er über Straßenmusik spricht, erkennt man schnell seine Professionalität und wenn er betont, dass er Straßenmusiker und Singer-Songwriter ist, dann merkt man durchaus, dass Straßenmusik nicht nur ein positives Image hat. Es ist als würde man unterteilen in StraßenMUSIKER und STRAßENmusiker, wobei zweiteres als Synonym für Bedürftigkeit, Kriminalität und Scheitern herhalten muss – Dinge, die wir in unserem Alltag prinzipiell vermeiden wollen.
Eine der größten Stärken, die Danny in der Straßenmusik sieht, ist die Freiheit, die sie ihm bietet. Er kann spielen, wann und wo er will – muss aber auch mal den ganzen Tag spielen, um das zu verdienen, was er bei einem 1,5h Konzert auch verdienen könnte. Dennoch mag er die Nähe, die Straßenmusik zwischen Musiker und spontanem Publikum herstellt. Man hört wie er sich freut, wenn er vom letzten Sommer erzählt, davon wie dankbar die Menschen waren, wenn sie ihn in der Stadt spielen hörten. Sein Spiel fühlte sich für die Menschen wie ein Lebenszeichen der Kultur an, die alle vermisst hatten.
Nun ist die Kultur auf unbestimmte Zeit wieder weg und selbst die Straßenmusiker*innen ohne Bühne. Natürlich hat auch Danny die Existenzängste der Künstler*innen, doch er versucht durchzukommen. Sei es mit Balkonkonzerten, seiner Stadien-Kampagne oder der (noch nicht umgesetzten) Idee, Straßenmusik zu streamen.
Warum es Straßenmusik immer geben wird? „Wenn du in der Stadt bist und Musik hörst, dann ist da Bewegung, dann ist da Leben“, sagt Danny. Am Ende ist diese Bewegung auch immer ein schreiendes Plakat für die Stadt, auf dem von einem Herz umzingelt, Kreativität, Toleranz und eines urbanen Lebensgefühl steht. Ob es nach Corona eine Renaissance für Straßenmusik gibt, will Danny nicht prophezeien. Aber wir werden sie garantiert mehr schätzen (zumindest für zwei Wochen, bis sie uns Ignoranten dann wieder nervt).
Dannys neueste Single übersetzt das letzte Jahr in Musik. Mehr zu ihm erfahrt ihr auf seiner Website.
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