Die musikalische Retrospektive 2009 kommt nicht umher, sich noch einmal eines der präsentesten Schlagwörter des auslaufenden Jahres zur Brust zu nehmen: Die S-U-P-E-R-G-R-O-UP. Fast monatlich heischte im letzten halben Jahr ein Mix altbekannter Gesichter in neuer Kombination um unsere Aufmerksamkeit.
Im Juni 2009 betraten Spinnerette als Vorboten des Phänomens Rock-Supergroup die Öffentlichkeit. Brody Dalle wollte ihre neuen Band-Mitglieder zwar als ausführende Organe ihrer legislativen Songwriting-Gewalt inszeniert wissen, doch die Zusammenarbeit mit Musikern der Queens Of The Stoneage machten Spinnerette auch für Musikliebhaber abseits der Distillers-Fanreihen interessant.
Für The Dead Weather wurde der Begriff Supergroup wieder aus dem musikjournalistischen Duden hervor gekramt. Die Band um Jack White und Kate Mosshart veröffentlichte im September ihr Debüt-Album “Horehound”, ihr Promotion-Plan basierte hauptsächlich auf der Prominenz der einzelnen Mitglieder. Mehr als der musikalische Output der Band wurde also die Konstellation White Stripes/ The Kills/ Queens Of The Stoneage/ The Raconteurs besprochen und gefeiert.
Im November schließlich transformierte die Rock’n’Roll-Dreifaltigkeit Homme-Grohl-Jones das Phänomen Supergroup zum Super-Hype. Them Crooked Vultures präsentierten sich dabei ganz selbstverständlich als die Leibwerdung eines Modern-Rock-Halbgottes. Diesem Phänomen soll hier etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil werden.
Dave Grohl und Josh Homme avancierten in den letzten Jahren durch ihre musikalische Leistung bei den Foo Fighters, Queens Of The Stoneage sowie dem Image als übercoole, aber männlich-bodenständige Rock-Wunderkinder zu den nahezu unfehlbaren Everybodys-Darlings. Was Homme und Grohl anfassen, wird spätestens seit ihrer gemeinsamen Arbeit an der QOTSA-Platte “Songs For The Deaf” zu Gold. John Paul Jones setzte diesem Superlativ die Krone auf. Der Led-Zeppelin Bassist war seit Jahren nur relativ unbeobachtet Solo oder im Background diverser Künstler tätig, so arrangierte er unter anderem Songs für die Foo Fighters. Mit Them Crooked Vultures trat er erstmals wieder mit einer Band ins Scheinwerferlicht.
Lange vor der Veröffentlichung des Debüt-Albums schöpfte die Band das Potential ihrer hochkarätigen Namen voll aus, um dem Projekt die Omnipräsenz in den Köpfen Musikinteressierter zu sichern. Den Erfolg des Name-Droppings beweisen die unzähligen Exemplare des unveröffentlichten Debüt-Albums, die bei Amazon und Co. vorab über den Ladentisch 2.0 gingen sowie die Legionen von Fans in spe, die sämtliche Tickets der Welttournee binnen 12 Stunden aufkauften – alles ohne einen Ton Them Crooked Vultures gehört zu haben.
Neben der nachvollziehbaren Vorab-Euphorie der Fans von Led Zeppelin, den Queens Of The Stoneage oder den Foo Fighters, die sich in vielen Fällen die Zielgruppe sogar teilen, trug zu diesem Hype aber eine schlaue Marketing-Kampagne bei, aus der die drei alten Hasen am Ende trotzdem als ur-sympathische Flanell-Hemden-Mucker hervorgingen. Schlüsselwort: Top Secret. Im Bewusstsein über das Interesse an den Einzelpersonen der Band gab man mit der “No-Hype!”-Strategie eben diesem gerade erst einen Anlass.
Handfeste Informationen wurden spärlich gesäht, mit Andeutungen dritter allerdings nicht gespart. Im Juli 2009 berichtete der New Musical Express zwar über eine Zusammenarbeit der Künstler, nähere Angaben gab es aber nicht. Homme-Ehefrau Brody Dalle äußerte sich als Erste öffentlich zu den Gerüchten über die neue Band ihres Mannes. Sie sei nicht befugt, darüber Auskünfte zu erteilen, erklärte sie ihrem Interview-Partner erst, um kurz darauf freiwillig und geheimnisvoll “Beats und Sounds, die man nie zuvor gehört hätte” anzukündigen. Homme-Kumpel Jesse Hughes von den Eagles Of Deathmetal kam schließlich die Rolle zu, bei einem Interview aus Versehen den Namen des ungeborenen Kindes auszuplaudern (motor.de berichtete).
Bis also also offiziell verkündet werden durfte, dass Josh Homme, Dave Grohl und Paul Jones eine gemeinsame Band mit dem Namen Them Crooked Vultures gegründet hatten, sich derzeit in Los Angeles im Studio befänden und demnächst auf Tour gehen würden, war die Szene darüber bereits per Flüsterpost informiert. Angefixt mit ungenauen Andeutungen spekulierten Fans wild in den Foren und taten somit ihr Bestes für die Selbstläufer-Promotion der Band. Ein Fan postete ob der sensationellen Inszenierung im Zeichen der Geheimhaltung: “Diese Heißmacherei ist lächerlich! Give us some tunes!”
Musik folgte tatsächlich kurz darauf auf altbewährter Tippel-Tapppel-Marketing-Tour: Auf YouTube veröffentlichte die Band einen Instrumental-Snippet, im Oktober erschien die erste Single-Auskopplung “New Fang” (motor.de berichtete) und eine Woche vor Verkaufsstart lud man das gesamte Album in Teasern auf das offizielle YouTube-Profil der Band (motor.de berichtete). Nach zwei Monaten Vorsorge-Promotion folgte anlässlich der Veröffentlichung des selbst betitelten Albums schließlich der Supercoup der Supercrew: Die Musikzeitschrift Visions bekam die weltweiten Exklusiv-Rechte am ersten offiziellen Interview mit der Band zugesprochen. Dass diese mit der hierzulande 7,90 Euro teuren Sonderausgabe des Heftes gekoppelt wurde, lässt auch seitens des Blattes auf ausgeklügelte Finanz-Strategen schließen. Irgendwie wurde man das bittere Bild einer bombastischen Marketing-Maschine und nimmersatter Labelbosse hinter den drei Sympathie-Trägern nicht los. Und irgendwie wurde man auch die Vermutung nicht los, dass ebenso das harmlose Trio selbst etwas damit zu tun hatte.
Neben der medialen Überinszenierung brach dem Rock’n’Roll-Übermenschen aber etwas anderes das Genick: Im Schatten der Gesichter konnte die Musik dem nahezu religiösen Rummel nicht gerecht werden – die Crux am Karrierestart der Supergroup. Wer in Musik und Konzept von Them Crooked Vultures den Hard Rock der Zukunft sieht, muss einen Blick zurück werfen.
“Supergroup”, das ist keine musikjournalistische Wortneuschöpfung aus dem Jahr 2009, seit den 60ern beschreibt dieser Terminus Rockbands, deren Mitglieder es in ihrer Vergangenheit bereits mit anderen Projekten erfolgreich waren. 1966 verwendete man die Bezeichnung Supergroup erstmalig im Fall Cream. Die Musikzeitschrift Melodie Maker kündigte damals den spektakulären Zusammenschluss von Eric Clapton von den Yardbirds, Jack Bruce, dem ehemaligen Bassist der Bluesbrakers und der Manfred Mann Band sowie Ginger Baker, dem Schlagzeuger der Bluesbrakers und der Graham Bond Organisation unter dem Bandnamen Cream an. Bei den später auch Power-Trio betitelten Cream handelt es sich also um die Ur-Supergroup. Cream brillierten einerseits durch die musikalische Versiertheit eines jeden einzelnen Mitgliedes, vor allen Dingen durch die Verbindung von Blues, Hard- und Psychedelic-Rock aber, prägten sie trotz des gerade einmal zweieinhalbjährigen Band-Bestehens die zukünftige Entwicklung der Rockmusik.
Nicht nur das Image eines roughen Power-Trios scheint der neuen Super-Band zu gefallen, auch Psychedelischer Blues oder Hardrock der Zukunft sind Wortgruppen, deren Verursachung man Them Crooked Vultures zu Gute halten könnte, hätten Cream nicht schon vor vierzig Jahren gleiches mit Songs wie „Sunshine Of Your Love“ oder „White Room“ begründet. Natürlich klingen Them Crooked Vultures nach Homme, Jones und Grohl, trotzdem hört man deutlich wie sich die Supergroup 2009 an den musikalischen Vorgaben ihrer Ur-Ahnen orientiert.
Am Ende sei es den drei Herren auch gestattet, gemeinsam zu musizieren, ohne Frage qualitativ hochwertige Konzerte zu spielen und mit soliden Rock-Platten allen Fans dieses Genres regelmäßig eine Freude zu bereiten. Die musikjournalistische Aufmerksamkeit aber sollte jungen, unbekannten Projekten gelten. Die Konzentration auf immergleiche Namen und Gesichter verwehrt dem Hörer, der im Normalfall ja auf die Vorgaben der Musikpresse angewiesen ist, die Bandbreite des musikalischen Zeitgeschehens. Denn, wie Grohl im Interview mit der Visions das Prinzip anhand seines Beispielfalls Them Crooked Vultures selbst erläutert: Das Trio wird immer klingen “wie wenn John Bass spielt, Josh Gitarre und ich Drums“. Ob man das dann gut oder schlecht findet, ist Geschmacksfrage, tut aber der traurigen Wahrheit keinen Abbruch, das sich ein Großteil musikalischer Zeitgeschichte abseits der großen Independent-Presse entwickelt.
Eine unabhängige Berichterstattung wäre wünschenswert, ebenso der Versuch, der weit verbreiteten “Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht”-Mentalität das wahrheitsgemäße Abbild einer vielfältigen und dynamischen Musiklandschaft entgegen zu setzen. Neue Musik im Zeichen der Zeit zu entdecken und sich nicht Ohren-faul, Courage-los und Finanz-fixiert auf Altbewährtes zu verlassen, sollte dem angemessenen Respekt gegenüber den Alteingesessenen dabei nicht im Wege stehen.
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