Superpunk haben Frieden geschlossen. Nicht mit den Unmöglichkeiten dieser Welt, aber mit sich selbst. Und dabei klingen die Hamburger besser denn je.
“Der Mensch verlangt danach, intensiv, ganz und vollkommen zu leben. Wenn er das vermag, ohne auf andere Zwang auszuüben oder selbst Zwang zu erleiden und wenn ihn alle seine Arbeiten befriedigen, dann wird er geistig gesünder, stärker, zivilisierter und mehr er selbst sein.” Diese Zeilen wurden 1891 von Oscar Wilde zu Papier gebracht und entstammen seinem viel beachteten Essay “Der Sozialismus und die Seele des Menschen” oder im Original “The soul of man under socialism”.
Dass der Sozialismus die Wilde’schen Hoffnungen auf eine Gesellschaftsform, in der sich Kreativität und Individualität ungehemmt entfalten können, mitnichten erfüllen konnte, ist knapp 120 Jahre später leider hinreichend bekannt. Wenn sich Superpunk in diesem herrlichen Albumtitel direkt auf Wildes Essay beziehen, ist das mehr als nur ein cleveres Wortspiel, denn das oben zitierte Credo lässt sich eins zu eins auf den Superpunk’schen Kosmos anwenden.
Das Leitmotiv, in der Gesellschaft anzuecken, die Gewissheit, dass es kein richtiges Leben im Falschen geben kann, zieht sich schließlich vom ersten Ton an durch die Discographie der unpunkigsten Punks des Erdenrunds. Gleichzeitig lässt sich eine deutliche Entwicklung über die Zeit ablesen. Liebte man die Hamburger früher für aufmüpfige Protestnoten wie “Auf ein Wort, Herr Fabrikant” und “Neue Zähne für meinen Bruder und mich”, schwand der Kampfgeist mit dem Alter und wurde beim letzten Album “Why not” von einer missgestimmten Resignation abgelöst. Und nun?
2010 weigern sich Superpunk zwar immer noch irgendwie, aufzugeben, haben aber erkannt, dass einen der ständige Kampf gegen Windmühlenflügel letztlich doch nur aufreibt. Entsprechend haben die Top Old Boys inzwischen die Gelassenheit gelernt, die Dinge nicht verändern zu wollen, die man letztlich nicht verändern kann. Und suchen immer wieder ihr persönliches Heil im Kleinen. Wenn Sänger Carsten Friedrich das genüssliche Cruisen in seinem “Ford Escort” beschreibt oder ein Loblied auf seinen Lieblingsort, die Bibliothek, singt, hört man einen Mann, der immer noch nicht seinen Frieden mit der Welt geschlossen hat, aber dem inneren Frieden ein ganzes Stück näher ist.
Erstaunlich viel positive Aussagen gibt es zu hören.
Superpunk – “Das Feuerwerk ist vorbei”
Manch einer mag das bedauerlich finden, dass Superpunk wohl keine Parolen für die Pubertätsrebellion mehr liefern werden. Aber da die Pubertät im Falle der Protagonisten schon eine ganze Weile her ist, wählt man auch schon mal den bequemeren Weg des inneren Rückzugs: “Ich will heute nicht kämpfen” heißt der harmonieseligste Moment des Albums, bei dem der “Wanderer” Dion Pate gestanden haben dürfte. “Ich gebe zu, ich gebe auf, ich häng die weiße Fahne raus, leg die Sinatra-Platte auf und dann dreh ich die Heizung auf”. Dazu gibt Produzent Bernd Begemann den Beach Boy und intoniert die schönsten Chöre, die es je auf einer Superpunk-Platte zu hören gab.
Dem Hamburger Tausendsassa ist es wohl auch zu verdanken, dass es der Band besser denn je geglückt ist, den Sound ihrer so geliebten Siexties-Platten authentisch ins Hier und Heute zu übertragen. Manches klingt erst ungewohnt glatt, wie die stark Disco-infizierte erste Single “Das Feuerwerk ist vorbei”. Die ist wiederum mit einem unwiderstehlichen Ohrwurmcharakter ausgestattet, dass man bald nur noch glückselig vor sich hinsingt: “Ich bin einsam, schon zu lang. Und meine Villa scheint wie ein Grab, seit ich dich nicht mehr hab”. Wie man eine euphorisch beschwingte Tanznummer mit einem derart todtraurigen Text zusammenbringt, ohne dass das Gehirn implodiert, ist wohl Friedrichs bestgehütetes Songwriting-Geheimnis.
Fazit: “Die Seele des Menschen unter Superpunk” verlangt danach, intensiv, ganz und vollkommen zu leben. Wenn sie das nicht vermag – tut sie einfach ihr Bestes.
Robert Goldbach
VÖ: 25.06.2010
Label: Tapete/ Indigo
Tracklist:
01. Ford Escort
02. Ich bin nicht so wie jeder andere auch
03. Das Feuerwerk ist vorbei
04. Alle lieben Dich, Daniela
05. Up all night!
06. Das waren Mods
07. In der Bibliothek
08. Rette Dich vor den einfachen Leuten
09. Ich will heute nicht kämpfen
10. Oh, dieser Sound
11. Babylon forever
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