Zwischen Kaffee und Emser-Pastillen offenbarte Sven Regener verworfene Gedanken, Meinungen zur Zukunft der Musikindustrie und seinen schärfsten Kritiker.
Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautor Sven Regener hat es mal wieder getan und sein fünftes Buch veröffentlicht. “Meine Jahre mit Hamburg-Heiner”, der Nachfolger zur erfolgreichen Lehmann’schen Triologie vereint gesammelte Blogeinträge, die in den letzten Jahren vom gebürtigen Bremer im Internet erschienen, in Logbuch-Form. Doch nicht nur als Autor dürfte der Name Regener bekannt sein, da er gemeinsam mit seiner Band Element Of Crime auf eine 25-jährige Bandgeschichte zurückblicken kann. Anlässlich des Starts seiner Lesereise trafen wir ihn am Rande der Leipziger Buchmesse und sprachen mit ihm über Hamburg-Heiner, die Anfänge des Internets und die Idee Musik und Literatur zu verbinden.
motor.de: Sven, inwieweit hat sich dein Leben dem Internet angepasst?
Sven Regener: Ich bin nicht sicher, ob das Leben dafür da ist, sich dem Internet anzupassen. Ich denke, es ist eher umgekehrt. Das würde ich zumindest als Ideal nicht von der Bettkante schubsen, dass das Internet für uns da ist und wir es benutzen sollen und nicht umgekehrt. Da würde ansonsten auch der Schwanz mit dem Hund wedeln. Prinzipiell nutze ich das Internet wie jeder andere auch – vom Umfang her so mittel. Ich hab auch schon seit 1997 Internet, da hat es noch 10 Pfennig die Minute gekostet und es gab noch kein DSL. Heutzutage hat es viele Funktionen übernommen. So braucht man zum Beispiel kein Telefonbuch oder Nachschlagewerk mehr. Ich warne immer davor, das Internet in seiner Bedeutung über zu bewerten, da es ja die Leute auch nicht schlauer macht. Also Leute, die doof sind, sind so gesehen mit oder ohne Internet doof.
motor.de: Und hättest du 1997 geglaubt, dass du mal ein Buch in der Form wie “Meine Jahre mit Hamburg-Heiner” machen wirst?
Sven Regener: Ja, eigentlich schon, denn es gab ja schon einige Indizien dafür, wo es mit dem Internet hingehen wird. Es war klar, dass man viel schreiben wird im Internet und abgesehen davon ist das Literarische, der Inhalt den ich in Form von Blogs niedergeschrieben habe, ja nicht abhängig vom Internet. Das Einzige, was das mit sich bringt, ist die zeitliche Eingeschränktheit, sodass man sich jeden Tag in der Pflicht fühlt, etwas zu tun. Den gleichen Effekt hätte man auch, wenn man den Job annehmen würde, zum Beispiel eine Fortsetzungsgeschichte in der Tageszeitung zu veröffentlichen. Der Impuls etwas zu machen oder wie man es macht, wäre der Gleiche und da darf man nicht die Form mit dem Inhalt verwechseln. Das war damals auch die Herausforderung als ich damit anfing herauszufinden, was mit den Blogeinträgen eigentlich machen will. Und auch das war nicht durch das Internet bestimmt, sondern durch mein Leben und meine Auffassung zur Kunst.
motor.de: Wer ist eigentlich dieser Hamburg-Heiner? Entspringt er tatsächlich nur aus einer reinen Fiktion oder gibt es in deinem Leben tatsächlich einen Menschen mit dem Eigen von ihm?
Sven Regener: Hamburg Heiner ist natürlich ausgedacht und ist eines der entscheidenden Mittel für mich, eine Sicherheit und einen roten Faden in die ganze Geschichte zu bekommen. So gesehen hat er es ermöglicht, all das, was mir durch den Kopf rauscht, auch zu hinterfragen, sodass es sich bewähren muss. Kritiker wäre eine passende Beschreibung für ihn, da er mir immer wieder in das, was ich da tue, reingrätscht. Das ist so ein bisschen, als wenn man mit sich selbst Schach spielt und am Ende gewinnt mal der Eine oder der Andere oder es geht auch mal Remis aus, was hier auch der Fall ist. Das ist ein interessantes dialektisches Prinzip und für diese Art und Weise zu schreiben ganz brauchbar. Es bringt eine bestimmte Ästhetik rein, die auch die Veröffentlichung in Buchform rechtfertigt.
motor.de: Also hat Hamburg Heiner das Schreiben vereinfacht?
Sven Regener: Ja, er hat eine wichtige Rolle eingenommen. Dazu muss ich sagen – ich bin in das Blogschreiben durch die Onlinepromo-Leute von Universal reingeraten, weil es damals das neue, heiße Ding war. Nach zwei Tagen hatte ich dann eigentlich keine Lust mehr, weil es doch sowas wie ein Tagebuchding wurde, geprägt durch einen eigenen Fluss der Assoziationen, der immer nur von mir aus ging. Ich fand das unattraktiv, und Hamburg Heiner hab ich daraufhin am dritten Tag anrufen lassen, damit die Sache organischer wurde. Ich hab damals auch nicht über den Namen weiter nachgedacht, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass er später so eine wichtige Rolle spielen würde, das hat sich dann ergeben. Kurzum, er hat es attraktiver gemacht.
motor.de: Als du angefangen hast mit dem Blogschreiben, war da die Idee jegliche Einträge zu bündeln und in Buchformat zu veröffentlichen schon gegenwärtig?
Sven Regener: Nicht von Anfang an, aber die Idee hat sich ziemlich schnell in mir entwickelt. Gerade auch durch das Spiel mit Hamburg Heiner hat es sich angeboten, weil auf diese Weise ein roter Faden da war. Das hat aber nicht meinen Arbeitsstil beeinflusst, also es war nicht so, dass ich die Einträge mit dem Gedanken an das spätere Veröffentlichen eines Buches geschrieben habe.
motor.de: Inwiefern gibt es für dich Unterschiede hinsichtlich des Schreibens eines Romans, wie z.B. Herr Lehmann und dem Bloggen?
Sven Regener: Das Schreiben eines Romans bringt den großen Vorteil mit sich, dass man Zeit hat und auch im Nachhinein noch über alles drübergehen und es gegebenenfalls ändern kann. Das ist beim Bloggen nicht der Fall. Hier schreibt man und veröffentlicht prompt, sodass keine Zeit bleibt, um noch einmal über den Inhalt genauer nachzudenken. Es besteht, jedenfalls aus sportlicher Sicht keine Möglichkeit, das Geschriebene zu ändern und würde man es tun, wäre es nicht echt. Das ist ein wenig wie bei einem Live-Album. Das sollte meines Erachtens auch nicht im Nachhinein bearbeitet werden, da es ansonsten seinen Charakter verliert. Ich finde das echt bescheuert, dann brauch man auch kein Live-Album aufnehmen, wenn man ihm durch Nachbearbeitung die Seele nimmt.
motor.de: Womit wir so langsam die Brücke zur Musik schlagen. Konzert oder Lesung? Gibt es da für dich Gemeinsamkeiten?
Sven Regener: Schwer zu sagen. Meine Lesungen sind allerdings eher an Konzertabläufen orientiert, insofern es keine Fragen an den Autor gibt oder das Signieren von Büchern nach der Show. Ich versuche, eine ähnliche Distanz zu wahren, wie ich es von den Konzerten her kenne – ich tue mich schwer mit Nähe zu vielen unbekannten Menschen. Außerdem finde ich es auch vom Kunstaspekt her besser: Man tritt auf, zieht sein Ding durch und geht wieder. Insofern ist da bei mir eine Parallele zu den Konzerten. Aber es gibt auch wesentliche Unterschiede: Lesen ist nicht Musik. Und ich bin als Lesender allein. Als Musiker bin ich Teil einer Band. Die Unterschiede sind natürlich gravierender als die oben skizzierten Gemeinsamkeiten.
motor.de: Wie entsteht bei dir ein Buch – wie zum Beispiel Herr Lehmann? Hast du vorher die Geschichte im Kopf und schreibst sie nur auf, oder ergibt sich das bei dir während des Schreibens?
Sven Regener: Bei den Romanen hatte ich zunächst eine grundsätzliche Idee für den ganzen Roman und entwickelte dann ein Kapitel nach dem anderen. Beim Schreiben eines Kapitels gehe ich in der Regel so vor, dass ich erst sehr lange nachdenke und das alles im Kopf mache, bevor ich mich hinsetze und das Kapitel niederschreibe, was dann recht schnell gehen kann. Beim Aufschreiben des Romans Kapitel für Kapitel entwickelt die Geschichte und entwickeln die Figuren natürlich auch immer noch ein gewisses Eigenleben, das ist bei mir aber erwünscht. Bei den Logbüchern war das alles allerdings viel spontaner und spontaneistischer noch.
motor.de: Du bist ja sowohl als Musiker als auch als Schriftsteller erfolgreich und in Deutschland gibt es kaum einen, der es schaffte in beiden Feldern so Fuß zu fassen. Steckt da ausschließlich jede Menge Arbeit hinter, oder fliegt dir das manchmal auch einfach hinterher?
Sven Regener: Nein, wenn es nur Arbeit wäre, dann wäre es ja einfach nur mit viel Fleiß getan. Ich würde nicht sagen wollen, dass ich viel arbeite. Ich empfinde das alles eher als Spiel. Arbeit sind Interviews, Promoarbeit, sowas. Die Kunst selbst entsteht im Spiel, das ist wichtig, und beim Spiel braucht man Geschick, Talent, Glück, und natürlich auch ein gewisses Durchhaltevermögen, manchmal auch Kondition. So sehe ich das. Natürlich läuft das auch irgendwie auf “Arbeit” hinaus, aber das ist nachrangig, der spielerische Aspekt ist wichtiger. Das mit dem Erfolg ist sowieso noch einmal etwas anderes, das erklärt sich eher gesellschaftlich und ist vor allem Glücksache!
motor.de: Nehmen wir “Meine Jahre mit Hamburg”, wie misst du da deinen Erfolg? Was müsste mit deinem neuen Buch passieren, damit du es als persönlichen Erfolg werten würdest?
Sven Regener: Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und das ist das Ding. Der Prozess liegt schon hinter mir. Jetzt, wo es geschrieben ist, finde ich es gut! Wie vielen anderen Leuten das dann auch noch gefällt, ist Glücksache. Das ist ja bei Element Of Crime nichts anderes. Man kann nur hoffen, dass es viele sind. Und je nachdem, wie die drauf sind, hat das verschiedene Formen. Dann hat man vielleicht einen Mega-Singlehit oder wird eher zu einer sogenannten “Albumband” – wer kann das schon vorher wissen?!
motor.de: Und da ihr nicht für eure “Singlehits” bekannt seid und man euch eher als Albumband sehen kann: Macht ihr euch Gedanken über das Albumsterben, was bezüglich des immer mehr wachsenden Downloadgeschäfts eintreten könnte?
Sven Regener: Naja, diese ganzen Prophezeihungen immer – ich sehe überhaupt kein Albumsterben, wo soll das sein? Labelsterben, ja. Gerade auf der Indieseite. Weil man mit Schallplatten nicht mehr so viel verdienen kann. Weil sich das alles nicht mehr gut verkauft. Aber Albumsterben? Die Leute kaufen doch bei iTunes auch lieber die ganzen Alben als nur zwei, drei Tracks daraus. Jedenfalls bei der Musik, die mich interessiert. Bei Popmusik und ihren Singlehits ist das sicher was anderes. Auch die CD-Alben sterben ja nicht aus. Downloads sind einfach doof zum Verschenken und die Hälfte des Geschäfts läuft doch zu Weihnachten, ob einem das gefällt oder nicht.
motor.de: Macht ihr mit Element Of Crime denn gerade etwas Handfestes?
Sven Regener: Naja, die Veröffentlichung unseres letzten Albums “Immer da wo du bist bin ich nie” ist ja jetzt auch erst anderthalb Jahre her und das ist für Element Of Crime ein sehr kurzer Zeitraum. (lacht)
motor.de: Was ist ansonsten musikalisch geplant?
Sven Regener: Nun wir sind viel unterwegs und spielen live. (Anm. d. Red.: 7 Termine für diesen Sommer geplant) Danach schauen wir mal weiter. Bis dahin ist ja dann auch eine ganze Menge passiert und es wäre vielleicht auch erst mal gut, ein wenig Pause zu machen und Gedanken zu sortieren, aber das werden wir sehen, wenn es soweit ist.
motor.de: Glaubst du, dass Element Of Crime auch durch deine außermusikalischen Tätigkeiten profitiert, profitierte und profitieren wird?
Sven Regener: Bis zu einem gewissen Grad ja, insofern vielleicht, dass dadurch viele Leute überhaupt erst von Element of Crime erfahren. Aber ob sie das dann mögen, ist ja eine andere Frage. Da gibt es ja zwischen Büchern und Musik keinen zwingenden Zusammenhang. Insofern ist jeder Erfolg von Element of Crime immer ein genuiner Erfolg der Band.
Element Of Crime – “Immer da wo du bist bin ich nie”
motor.de: Hast du jemals drüber nachgedacht beide Dinge miteinander zu verbinden?
Sven Regener: Darüber habe ich mir schon oft Gedanken gemacht, aber diese dann immer gleich verworfen. Man darf nicht vergessen, dass Element Of Crime kein Soloding ist von mir, sondern ich nur einer von dreien bin und das muss man dann trennen können. So haben wir zum Beispiel auch aufgehört Bücher von mir im Merchandise bei unseren Konzerten zu verkaufen. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die defintiv getrennt gehören.
motor.de: Bei so viel kreativem Schaffen fragt man sich, wo du deine ganze Inspiration her nimmst?
Sven Regener: Unterschiedlich. Bei der Musik ist es die Musik, die immer zuerst da ist, und für die es gilt, die passenden Worte zu finden. Bei den Romanen wie “Herr Lehmann” entwickele ich, wie gesagt, Ideen, die in alle Richtungen gehen, über drei bis vier Wochen hinweg in meinem Kopf sind. Was weiß ich, wo das herkommt. Und bei den Blogeinträgen waren es vor allem die Dialoge mit Hamburg Heiner, die mich immer wieder auf neue Fährten lockten. Einwände und Kritik seinerseits gaben dem Schreiben, dem Inhalt und meinen Ideen immer wieder eine überraschende Wende. Komisch, wenn man bedenkt, dass ich mir den selbst ausgedacht habe…
Interview: Max Wege
Fotos: Sebastian Brauer
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