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Ich bin orange. Ich liege hier. In dieser Obstschale.
Nein, wir sind nicht verrückt geworden, wir haben nur mit Talisco geredet. Der stark behaarte Franzose mit dem bürgerlichen Namen Jérôme Amandi, der seinen Namen passend dazu von einer Hunderasse geborgt hat, macht schon seit seiner Kindheit Musik. Und der erste Song – mit 13 Jahren – handelte tatsächlich von einer Orange, genauer von den Gedanken einer Orange, die gerade in einer Obstschale liegt.
Bevor wir uns mit Talisco getroffen haben, haben wir uns gefragt, was diesen eigentlich dazu bewogen hat, nach Jahren des Schweigens plötzlich den Status Quo des zeitgenössischen Indie zu treffen. Doch ganz so plötzlich war das dann doch nicht:
Drei Jahre hat es gedauert, bis die erste Platte fertig war: Run. Davor lagen viele Jahre der Vorbereitung. Für den Franzosen, der sagt, "schon immer" Musik gemacht zu haben, scheint alles auf diesen einen Punkt hingeführt zu haben. Alles, angefangen mit der Orange in der Obstschale, hat Sinn ergeben; ein Puzzleteil beigesteuert, das – der mit 35 Jahren musikwirtschaftlich betrachtet gar nicht mal so junge – Talisco mit vielen anderen zu etwas Großem kombiniert hat. Er fühle sich dabei "wie ein altes Baby", schließlich sei das alles ja noch immer neu für ihn. Trotzdem ist er sich sicher, dass das nicht sein letztes Album gewesen sein wird: "Man kann davon einfach nicht genug bekommen", sagt er, wirkt dabei ein wenig so, als habe er eine neue, gut wirkende Droge entdeckt. Die macht zwar süchtig, zerlöchert aber nicht das Hirn, sondern ergänzt es um wunderliche, bunt schillernde und ziemlich gut klingende Kortikallappen. Wenn das also bleibende Schäden sind, dann sind es gute.
Taliscos Gesamtwerk kann sich in der Tat sehen lassen: Die Single Your Wish braucht nur wenige Sekunden, bis sich ihre unfassbar einprägsame Hook in die Hirne ihrer Zuhörer eingebrannt hat.
Indie-Meisterwerke wie dieses entstehene bei Talisco mit Laptop und Gitarre. Mehr braucht es nicht, um die eigenen Ideen zu bündeln und erstmal festzuhalten. Diese simplen Bausteine sind es, mit denen er sein Ziel erreicht: "Eine gute Melodie erzeugt Emotionen", sagt er in einer Mischung aus Französisch und Englisch, und hält damit einen eigentlich einfachen, aber trotzdem von Vielen oft nicht erreichten Grundsatz fest.
Was seine Musik außerdem auszeichnet, ist Taliscos Gespür für auf den Punkt gebrachte und unverkopfte Ideen – Wie also steht der Franzose zu Musik, die ihre Botschaft nicht ganz so klar nachvollziehbar transportiert? Talisco gibt ein eindeutiges Statement gegen die Überinterpretation heutiger Hipster-Kunst ab, von der er durchaus genervt ist: "Wo ist der Sinn, wenn es niemand versteht?" Das kann er sich auch erlauben, denn selten wurden Botschaften so auf dem Silbertablett präsentiert, ohne dabei zu stumpf zu wirken: Auf Run geht es um das Rennen, nicht unbedingt Wegrennen, aber Rennen an sich, verdammt schnell und meistens nach vorne. Das zeigt ja auch konsequent das Video zu Your Wish. Dass sich dabei keine Flucht ergibt, sondern auf dem Weg neue Menschen und Orte gefunden werden können, scheint dann auch selbstverständlich, dass Bewegung immer auch mit Sehnsucht verbunden ist, sowieso.
Vielleicht ist aber auch das das Problem. Wo ist das negative, die wirkliche Flucht, Angst? Talisco scheint ein Mensch zu sein, der mit seiner Musik der latenten guten Laune erlegen ist. Das kann sich gut anfühlen, aber auch irgendwie anbiedernd wirken – ein Urteil darüber liegt aber wohl im Auge des Betrachters. Gut, auf Run gibt es auch Balladen, allen voran So Old, aber die wirken inmitten der Indie-staatstragenden Hymnen etwas deplatziert – auch wenn So Old ganz und gar kein schlechter Song ist.
Gute Laune kann allerdings dann nicht schaden, wenn man viel unterwegs ist. Und Talisco war ziemlich viel unterwegs: In Bordeaux wurde er geboren, lebte später in Kanada und Spanien, um dann seine Zelte in Paris aufzuschlagen. Rennen scheint schon daher etwas zu sein, was ihm liegt. Genau das scheint er einfach zu brauchen: "Reisen ist für mich wie neues Wasser im Aquarium", sagt er, lacht, und macht sich damit ganz unprätentiös zum ultimativen Weltbürger. Dem folgend singt er dann auch nicht auf Französisch oder Spanisch, sondern auf Englisch. An dieser Stelle könnte man einen gewissen Anpassungsdruck unterstellen, doch Talisco weiß diese Klippe gekonnt zu umschiffen: „Die Sprachmelodie ist einfach eine besondere“, erklärt er, „dass mein Englisch nicht das Beste ist, ist mir ziemlich egal“.
Talisco scheint sich einen gewissen Pragmatismus groß auf die Fahnen geschrieben zu haben. Das hat er sich vielleicht von seinem Vorbild Beck abgeschaut. Das ist allerdings weniger inhaltlich, als vielmehr über dessen Arbeitsweise zu verstehen. Beck versteht es schließlich wie kein zweiter, Konventionen über den Haufen zu werfen, um am Ende das zu erreichen was wichtig ist: Genau die Musik, die herauskommen soll. Talisco hört man das vielleicht nicht so sehr an wie Beck, aber im Kern sind beide verwandt. Einen Unterschied gibt es allerdings doch – und der ist der Punkt: Wo Beck den Indie als Zeichen benutzt, um am Schluss alles zu etwas Neuem zu machen, trifft Talisco den Indie genau dort, wo er heute ist. Das Genre wird hier aufpoliert, aber nicht nach vorne transportiert. Das kann einen aufregen, aber fairer Weise muss man sich auch eingestehen, dass nicht jeder das Rad neu erfinden kann. Talisco ist die duftende Orange, Beck die mutierte Ananas. Aber beide sitzen in der gleichen Obstschale.
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