Mit der Loveparade geht eine Ära zu Ende. Es war höchste Zeit

Vor einem Jahr hat der Münchner Star-DJ Hell sein allseits hochgelobtes Doppelalbum „Teufelswerk“ veröffentlicht, eine Retrospektive deutscher Techno-Wurzeln und eine Art abschließender Kommentar zu einer Ära. Der in der Szene vieldiskutierte Schlüsseltrack darauf basiert auf einer legendären Fanfaren-Tonsequenz aus „Der Klang der Familie“ von 3Phase und Loveparade-Begründer Dr. Motte. 1992 war das eine der essenziellen deutschen Rave-Hymnen, soeben hat Motte den Track wiederveröffentlicht. Hell nannte seine Adaption „The Disaster“.
Ist eine Hommage und wirkt plötzlich wie eine Prophezeiung: Hells “The Disaster”.

In den frühen Neunzigern wurde die „Raving Society“ ausgerufen, „eine Gesellschaft mit lauter glücklichen Leuten“, am lautesten von DJ Westbam, der seit Anbeginn zum Loveparade-Establishment gehört und in diesem Jahr seinen Abschied von ihr geben wollte. Heute ist der schon damals schnell als Marketingtrick gesehene Begriff fast vergessen. Aber die Raving Society ist Realität und ihr Antlitz nicht schön. Die Spaßgesellschaft ist heute Pflicht, fordert schöne Körper, immerwache Leistungsbereitschaft, gerät in die Krise, wenn der Konsum schwächelt. Die Politik zieht mit, natürlich, eine Million Raver sind ein gern gesehener Standortfaktor für postindustrielle Brachstädte, „Loveparade“ klingt ja auch toll, sowas muss die Kulturhauptstadt Ruhr bereichern, genauso wie ein Grönemeyer-Song, hunderte gelbe Ballons oder eine Autobahnsperrung. Was gäbe das wieder für weltweit wirkmächtige Bilder: Die deutsche Jugend feiert friedlich, Kraft durch Techno.

 Aber der Triumph des Wollens fällt diesmal aus. Die Realität ist erschütternd profan. Die weltgrößte Rave-Veranstaltung gehört einem Fitnessstudio-Betreiber. Zu Werbezwecken. Sie findet auf einem Schotterareal, unter offensichtlich hahnebüchenen Vorkehrungen statt. Das Volk ist leider nicht durchweg friedlich, es trinkt, nimmt Drogen, ist eingesperrt in einem Tunnel und irgendwann genauso wütend wie erschöpft. Die Party obendrüber läuft nach einem monströsen Unglück auf bizarr anzuschauende Art einfach ungestört weiter, weil die eingeflogenen DJ-Jetset-Stars – so hört man – nicht mal Platten dabei haben, um eine tanzende Masse behutsam runterfahren zu können. Beendet wird die Geschichte der Loveparade, weil sie mit Toten und Verletzten als Werbemittel nichts mehr taugt. Alles daran ist widerlich. Mit „Techno“ hat das indes noch wenig mehr zu schaffen, als wummernde Bassdrums.

Der Klang der Familie – Dr. Mottes Re-Release 2010

Techno war die erste relevante Jugendkultur der Nach-Kalte-Kriegs-Zeit. Wie keine andere vor ihr hat sie sich in Rekordzeit freiwillig kommerzialisieren lassen, lieferte nur zu gern den Soundtrack zu einem neoliberalen Verständnis von Kreativität und Kultur, losgelöst vom emanzipatorischen Grundkonsens der Aufbruchzeit. Keines der damaligen Versprechen – das Ende des Starsystems, Schluss mit Sexismus, Homophobie, Minderheitenbashing – wurde gehalten. Das Ende der Loveparade – neben der Mayday das zentrale Spektakel der „Raver“ – bedeutet auch das Ende einer Ära. Aber nicht das Ende von Techno.
Der Anfang vom Ende: Westbam 1994 beim Krawalltalk “Einspruch!”

Der Geist von Techno ist lebendiger denn je. Mühsam und über lange Zeit fast unbemerkt vom Mainstream wurde er von den Megaevents zurückgeholt in die Realität der Clubs, die heute kein neues Lebensgefühl mehr anbieten, sondern schlicht und einfach Musik zum Tanzen. Techno steht heute selbstverständlich neben all den anderen Spielarten elektronischer Musik, die er mit ausgelöst hat, ist bloß noch eine normale Façette von Popkultur; mit neuen Szenestars, ohne ideologischen Ballast oder Manifest. Und ohne Loveparade.

Augsburg