Fast die Hälte ihres Lebens sind Tegan And Sara in einer Band – Zeit für eine Zwischenbilanz.
Ein halbes Jahr vor ihrem 30. Geburtstag bringen Tegan und Sara Quin mit “Sainthood” auch hierzulande ihr mittlerweile sechstes Studioalbum auf den Markt. In nackten Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass die kanadischen Schwestern schon fast die Hälfte ihres Lebens ihrer Band gewidmet haben. Nachdem sie sich seit jeher mit ihren kleinen, smarten Melodiewundern immer weiter in die Herzen ihres Indie-Publikums spielten, machen sie mit der neuen Platte einen großen Schritt nach vorn in Richtung Mainstream-Pop.
Tegan And Sara haben ordentlich durchgefegt. Auch auf die Gefahr hin, dass ihre neuerwachte Vorliebe für synthetische Ausschmückungen und aufgeräumte, glatte Pop-Sounds bei dem einen oder anderen Ur-Fan krause Nasenrücken verursachen wird: Tegan And Sara sind nicht vom altbewährten Weg abgekommen. Sie haben ihre Handschrift nur weiter ausgefeilt und die eine oder andere Kante ausradiert. Dabei stand ihnen, wie auch bei der Arbeit am Vorgänger “The Con”, erneut Chris Walla von Death Cab For Cutie zur Seite. Was sich in den letzten Monaten so getan hat und vor allem nach der 30er-Marke noch tun wird, verraten die plauderlaunigen Schwestern im Interview.
motor.de: Mit der neuen Platte habt ihr offensichtlich ganz auf die Pop-Karte gesetzt. Fast jeder Song scheint ein potenzieller Hit geworden zu sein, trotzdem wirkt alles zusammen wie aus einem Guss.
Tegan: Da “Sainthood” ja bereits unsere sechste Platte ist, wollten wir uns selbst herausfordern. Über die Jahre haben wir mehr und mehr angefangen, uns für das Produzieren als solches zu interessieren. Wir wollten einen spezifischen Band-Sound für die Platte, dass alle Songs ineinander greifen, dass das Album eine runde Sache wird. Schon als unser Freund Matt Sharp Keyboard auf “So Jealous” spielte, waren wir angefixt, schließlich haben wir in unserer Jugend selbst neun Jahre lang Klavier gespielt. Sara und ich lieben Melodien und mit ihnen herumzuspielen. Ein Keyboard hilft dabei enorm, da man nur ein paar Tasten drücken muss, um zum Beispiel einen Orchestersound zu erzeugen. Bei der Produktion haben wir uns beim Overdubbing bewusst zurückgehalten. Dadurch öffnet sich alles und klingt unangestrengter.
motor.de: Wenn sich “The Con” und “Sainthood” in einem deiner Träume als reale Personen begegnen würden, würden sie…
Sara: … sehr gut miteinander auskommen. Ich denke, “The Con” war definitiv eine selbstbewusste, wenn auch einsame Platte. Wir haben sie zusammen mit Chris ganz zurückgezogen in einem Keller aufgenommen – über Monate. Deshalb wirkt alles introvertierter. “Sainthood” ist unsere leichteste, unsere extrovertierteste Platte. Sie ist selbstbewusster, poppiger, mit einer Mainstream-Aura ausgestattet. Gut, dass wir die Songs bei unseren Live-Shows mischen können.
motor.de: Ihr werdet bald 30. Ist das eine magische Grenze für euch?
Tegan: Seltsamerweise kann ich mich genau an den Tag erinnern, als meine Mutter 30 wurde. Aber damals war alles anders. Gerade erst hat mich ein Interviewer gefragt, ob wir uns demnächst an die Kinderplanung machen werden. Es ist seltsam, wenn du 29 bist, wollen die Leute so was wissen, klar. Aber ich denke, in der Generation unserer Eltern hatte man bis 30 schon längst Kinder. Heute fangen die Leute im Schnitt mit Mitte 30 an, mal darüber nachzudenken. Ich meine, seht uns an, wir sind ja selbst noch Kinder. Auf der anderen Seite reisen wir seit mehr als zehn Jahren auf uns allein gestellt durch die Welt, halten diese Band und unser eigenes Business am Leben. Eigentlich sind wir sehr erwachsen und ich denke, wenn Sara jetzt ein Kind hätte, müsste ich ihr nicht die Fürsorge auf den Hals hetzen. Ich habe jedenfalls keine Angst davor, die 30 zu knacken. Meine Freundin ist über 30 und sie meint, das sei viel besser, viel entspannter.
motor.de: Der Titel “Sainthood” verweist ja auch darauf, dass sich Menschen, um anderen zu gefallen, gern verstellen – um möglichst perfekt zu sein. Was ist das Erste, das ihr an euch ändern würdet?
Tegan: Ich würde oft gern weniger denken und weniger reden. Ich teile so viele Informationen, das ist anstrengend.
Sara: Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich wünschte, ich wäre aufgeschlossener, wenn es darum geht, zu Menschen eine Beziehung aufzubauen. Je älter ich werde, desto schwieriger wird das. Ein Teil von mir hat irgendwann festgelegt, wer die Leute sind, die ich näher an mich heran lasse. Jetzt fällt es mir schwer, dieses Schema zu durchbrechen und neue Menschen kennen zu lernen.
motor.de: Denkt ihr, Menschen können ihre Persönlichkeit wirklich verändern?
Sara: Nein! Ich kann bei Leuten, die ich kenne, immer die Grundessenz herauslesen. Man muss nur die richtigen Knöpfe drücken und sie werden genau so regieren, wie man es erwartet hat.
motor.de: In euren Texten geht es viel um gescheiterte Lieben. Seid ihr der Liebe manchmal überdrüssig?
Sara: Oh Gott, ich bin so müde davon. Ich durchlaufe gerade eine Art Reinigung. Ich denke nicht, dass ich die Liebe tatsächlich nicht mag, aber ich organisiere gerade meine Konstrukte um: Was denke ich wirklich über Beziehungen, romantische Liebe? In meinem Bekanntenkreis sehe ich gerade viele neue Partnerschaften erblühen und nein, der Anfang einer Beziehung hat nichts Attraktives. Es ist so chaotisch und gleichzeitig so intensiv. Im Augenblick bin ich froh, wenn ich mich nicht damit herumplagen muss.
Interview: Christine Stiller
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