(Fotos: Tobias Schneider / Universal)

Marco Niemerski alias Tensnake über die Belanglosigkeit der deutschen Radiolandschaft und seine musikalische Antwort Glow, die als sein Debütalbum am 7. März erscheint. Warum ihn England mehr reizt, Disclosure in den Staaten so durch die Decke gehen und Nile Rodgers schon sein Studiogast war, bevor dieser mit Daft Punk die Radios besetzte. Ach ja, und natürlich über Coma Cat.

Warum kommt das Debut erst jetzt, nachdem du schon so lange aktiv bist?

Weiß ich nicht, das hat einfach so lange gedauert. Ich komme ja aus der Elektronik- und Clubwelt und da hast du meistens Tracks und Singles, da gab es erst mal auch keine Notwendigkeit für mich, ein Album im klassischen Sinne zu machen. Ich finde Clubalben auf Albenlänge immer eher langweilig. Ich glaube es hat einfach so lange gedauert, um herauszufinden, was ich überhaupt machen will und habe jetzt ein bisschen meine eigene Definition von Popmusik kreiert.

 

Wie kann man sich deine Definition von Popmusik vorstellen?

Das hat mit Club erst mal nichts zu tun. Die logische Konsequenz wäre eher so Clubsachen herauszubringen, das könnte ich dann auch spielen, wenn ich am Wochenende auftrete. Aus Promosicht ist es also totaler Quatsch, was ich jetzt mache. Ich habe viele Gastsänger drauf, da sind Kooperationen, die ich niemals für Live-Geschichten zusammenbringen könnte. Aber ich wollte für mich selber eine eigene Version von Radiomusik machen, also Musik, die ich gerne im Radio hören wollen würde, die aber nicht zwingend nach Aufmerksamkeit schreit, wie so vieles heutzutage. Wir haben eine relativ schlechte Radiolandschaft in Deutschland, in Hamburg zumindest.  Ich mag es gerne, wenn es etwas drunter bleibt.

 

Beim Radio stellt sich ja die grundsätzliche Frage, ob das, was da kommt, überhaupt durch die Nachfrage der Leute legitimiert ist, oder ob der immer gleiche Radio-Mainstream „von oben“ diktiert wird. Es gibt ja Stimmen, die sagen, die Leute wollen Radio hören um einfach abzuschalten und am besten nur die Songs, die sie eh schon kennen, um nicht überbeansprucht zu werden.

Naja, ich glaube die Masse konsumiert Musik einfach nur so und gehen da gar nicht so kritisch ran wie du oder ich und wollen einfach berieselt werden. Ich glaube, die mögen das am liebsten, was sie ganz oft hören. Die können sich aber auch mit anderen Sachen anfreunden. Worauf du hinaus willst ist wahrscheinlich die Verantwortung eines Musikredakteurs auch mal andere Musik zu spielen, das würden die Leute genau so gut finden. Das denke ich auch, das hängt wahrscheinlich eher damit zusammen, dass sich ein Radio finanzieren muss, kein Risiko eingehen darf und einen gemeinsamen Nenner finden muss. Und der klingt halt nicht gut!

 

Das ist ja die Frage, ob die Leute etwas anderes annehmen würden und das Gegebene nur hören, weil es ihnen so vorgelegt wird.

Ich glaube schon, dass die das annehmen würden. Viele wissen wahrscheinlich gar nicht, wie sie anders Musik entdecken sollen, als übers Radio.

 

Interessant ist allerdings auch, dass die Charts von Spotify den Airplay Charts sehr ähnlich sind, obwohl dort ja wirklich alles einen Click nebeneinander existiert und die Hörerin die absolut freie Auswahl hat.

Der Geschmack wurde natürlich über viele Jahre konditioniert, aber insofern ist „Glow“ meine Idee von dem, was ich selber gerne im Radio hören wollen würde. Es gibt heute ja kaum noch die Notwendigkeit, ein Album zu machen, man kann auch eine Single machen und dann geht das über Blogs, da gibt es ja heutzutage ganz andere Methoden. Ich bin eben in den Achtzigern mit Radiomusik aufgewachsen und ich möchte etwas schaffen, das man von vorne bis hinten durchhören kann, ohne sich zu langweilen.

Ich finde diese Entwicklung weg vom Album ein bisschen Schade, vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich ein wenig älter werde, aber früher, als man Sachen auf Vinyl oder eine CD – vielleicht auch nur wegen einer oder zwei Nummern – gekauft hat, dann hat man auf dem Album oft ganz andere Titel entdeckt, die man dann viel besser fand. Und das waren meist eben nicht die Hits. Wenn du früher für ne CD 17 oder 18 Mark bezahlt hast, dann war das ja auch ne Menge Geld und dann wollte man das auch auskosten.

 

Interessant, dass du sozusagen die negativen Aspekte wie den viel zu hohen Preis ins Positive drehst. Alben zu produzieren wird von der Kulturindustrie konsequent durchgezogen, auch wenn sie ihre Berechtigung, wie du sagst, teilweise verloren haben. Das hat, wie du schon sagtest, wohl einen inhaltlichen Sinn, dass man es durchhören kann usw.

Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Leute das Album früher kaufen mussten, heute gehst du zu Spotify und Itunes und pickst dir die Nummern heraus, die du gut findest. Fertig. Heute werden die Alben zerpflückt.

 

Du hast gesagt, dass es sehr umständlich und unwahrscheinlich sein wird, das Album live umzusetzen, ich habe aber gelesen, dass du eine ganz neue Show konzipieren willst, mit Tänzern und dergleichen.

Hatte ich vor, ja, aber das war wohl etwas naiv gedacht. Ich habe dann einfach festgestellt, dass ein Jamie Lidell in Nashville wohnt, Fiora die Hälfte des Jahres durch die Welt tourt und Nile Rodgers auch nicht da ist. Das ist logistisch leider nicht zusammenzubringen. Aber ich habe schon noch irgendwo im Hinterkopf, vielleicht für zwei, drei Festivals dieses Jahr etwas umzusetzen, wenn die Zeit da ist. Ich würde auf dem Melt gerne etwas anderes machen, dann gibt es noch das Flow-Festival in Helsinki, das auch eines meiner Lieblingsfestivals ist, da würde ich auch gerne irgendetwas anderes probieren, aber so wie ich mir das vorgestellt hatte, geht das leider irgendwie nicht auf. Und das soll ja auch gut sein! Es gibt nichts schlimmeres, als wenn du da so ein paar Leute auf der Bühne hast und die Chemie nicht stimmt. Da musst du halt auch vorher Zeit zusammen verbringen und üben.

 


Tensnake – Love Sublime on MUZU.TV.

 

Spielst du Instrumente?

Nicht wirklich, ich kann so ein bisschen Klavier, aber ich habe es nicht gelernt. Ich mache das alles nach Gehör. Inzwischen geht das gut, aber manchmal wünschte ich mir, ich hätte eine klassische Ausbildung gehabt, wobei ich da von vielen gehört hatte, dass es auch von Vorteil sein kann, weil man nicht so dogmatisch an Sachen rangehst.

 

Hattest du dich auf Coma Cat festgenagelt gefühlt, als der Song 2010 so durch die Decke ging?

Schon ein bisschen, klar, wobei das ja auch nicht über Nacht war, das ist ja auch gewachsen. Es ist auch nicht so, dass es irgendwo Nummer eins war oder so etwas, es war ja eher ein weltweiter Clubhit und dann war es so, dass der auf Ibizia so gut funktioniert hat, wo ich bis dato keinerlei Berührungspunkte mit der Insel hatte. Ich war da mal mit 18 oder so und war auch gar nicht so der große Fan von diesen Massen, die da in die Clubs getrieben wurden, da musste ich mich erst mal dran gewöhnen.

 

Hat sich der Track schon beim Produzieren so hitverdächtig angefühlt?

Nee, ich wollte die Nummer am Anfang nicht mal rausbringen, ich erinnere mich daran, wie ich einen Freund gefragt hab, ob man das machen kann, oder ob das irgendwie zu cheesy sei, mit den Vocals. Das hatte damals auch niemand so gemacht, Vocals waren da noch so richtig verpönt im Club. Das war damals noch die Hochphase von Minimal, also schön deep und bloß keine Melodie und so, eher perkussiv alles. Ich glaube das war auch so ein bisschen das (zufällige) Erfolgsrezept von „Coma Cat“, dass der auf einmal eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatte. Ich glaube der Track vereint viele verschiedene Geschmäcker. Eine Weile habe ich mich schon festgenagelt gefühlt, weil, wenn du gebucht wirst und das Set spielst, dann stehen viele eine halbe Stunde rum und warten, bis du das Ding spielst, das war teilweise zäh. Ich wurde auf einmal in größere Clubs gebucht und mein Sound war eigentlich gar nicht so, dass er da reinpasst, ich hatte damals eher langsamere Sachen gespielt, überhaupt keine Nummer, die in so einem 2000-Mann-Laden überhaupt bestehen können.  Da musste ich erst mal eine Strategie finden, um damit klarzukommen. Am Anfang ging das mit einer Menge Alkohol (lacht), dass du dir nicht so ein Stress macht. Dann verändert sich natürlich der Sound, ich hab mich ganz klar daran gewöhnt. Ich habe jetzt gerade eine Rezension meines Auftritts beim Eurosonic Festival gelesen, das war ein DJ-Set, also Vier-Viertel-Gestampfe, da hatte dann jemand geschrieben: „Auch viele Jahre Ibiza gehen an einem Tensnake nicht vorrüber.“ (Anm. d. Red.: Zu lesen bei den Kollegen von Noisey) Da hat er wahrscheinlich recht. (lacht)

 

Du wurdest damals auch seitens der Musikmedien als Gegenpol zu der Minimalbewegung zu der Zeit stilisiert. Hat sich die Technowelt (auch deiner Musik gegenüber) geöffnet?

Absolut! Ich meine in England haben wir heute die Charts rauf und runter Vocal-House, das war weg vom Fenster über 20 Jahre. Bands wie Disclosure oder Dusky, das hat natürlich alles ein bisschen gedauert, aber es ist schon so, dass wieder Melodien in den Club gekommen und Vocals nicht mehr ganz so verpönt sind. Der ganze Sound hat sich schon ziemlich verändert, würde ich sagen, also du hast auf einmal Melodien in den Basslines gehört und überall so ein bisschen Funk, wobei Funk eigentlich eher so ein Schimpfwort für mich ist. 

 

Inwiefern?

Ich verbinde damit eher so Nerv-Musik. Jedenfalls kam einfach wieder mehr Spaß in den Club. Clubmusik kann so bierernst sein und leider auch stumpf manchmal.

Du bist in England bei Virgin/ EMI gesignt. Seit wann eigentlich?

Gesignt wurde ich im März 2012. Das Album sollte eigentlich schon im Oktober letzten Jahres rauskommen, aber dann dauert das alles immer ein bisschen länger. Ich hatte auch schon gelesen: „Jetzt macht Nile Rodgers nach Disclosure auch noch Tensnake“ Der Song war aber schon fertig, als Get Lucky noch gar nicht draußen war, da wusste ich noch gar nichts davon. Aber das ist ja auch eigentlich egal.

 

Meinst du die Engländer sind musikalisch aufgeschlossener?

Ich denke schon! England ist ja auch das Mutterland der Popmusik und gerade die USA guckt wieder ganz stark nach England und was sich da so entwickelt. Ich meine, in den Staaten gab es über Jahrzehnte nur Rock und Hip Hop, was anderes gab es dort kommerziell erfolgreich kaum. Und auf einmal ist diese Riesenhousewelle, was total absurd ist, weil House ja eigentlich aus den Staaten kommt. Die entdecken das aber wieder über Bands wie Disclosure, es ist also echt verrückt, welche Wege das so nimmt.

Ich glaube schon, dass England ein bisschen offener oder zumindest weitsichtiger ist. Oder sagen wir so: Der Geschmack ist einfach ein anderer und mir sagt er mehr zu. Das siehst du schon an irgendwelchen Awards, hier siehst du jedes Jahr beim Echo Xavier Naidoo und immer die gleichen Gesichter, in England dagegen hast du irgendwelche Zwanzigjährigen, die die Charts stürmen.

 

Stimmt, beim Mercury Prize kann man beispielsweise sicher sein, dass alle, unabhängig von der Musikrichtung, gute Künstler sind.

Eben, von daher bin ich ganz froh, dass ich dort gelandet bin.

(Marc Augustat)