Vielen gilt Martin Büsser, der mit “If the kids are united: von Punk bis Hardcore und zurück” ein viel zitiertes Standardwerk zur Geschichte eben jener Bewegungen verfasste, als einer der wichtigsten Musikjournalisten in Deutschland. Anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten zum zehnten Geburtstag der von ihm herausgegebenen Buchreihe Testcard trafen wir den 1968 geborenen Autor und Journalisten in Mainz. Ein Gespräch über Pop als Diskursgegenstand, Subversion und immer wieder Adorno.

Testcard hat Geburtstag. Was ist Testcard eigentlich?
Ganz knapp: Testcard ist ein Buchreihe mit wechselnden Themenschwerpunkten, die sich etwas hintergründiger als Wochen- oder Monatsjournalismus mit Popkultur auseinandersetzt.

Wie werden die Themen gesetzt?
Wir setzen uns halbjährlich zusammen und überlegen, welche Themen derzeit in der Luft liegen. Sprich: Wozu lassen sich viele interessante Aspekte sammeln.

Wer ist wir?
Der feste Kern sind Johannes Ullmaier, Roger Behrens aus Hamburg und ich. Dazu kommen diverse freie Autoren.

Welchen Anspruch hattet ihr bei der Gründung von Testcard 1995?
Die Medienlandschaft in Deutschland sah so aus, dass es zwei Dinge nicht gab. Zum einen etwas wie das britische Wire, ein Magazin, das sich um randständige Popmusik kümmert. Und zum anderen wollten wir ein Forum bieten für Texte, die langfristig recherchiert sind und bei dem man über ein Phänomen auch mal zehn Seiten schreiben kann – nicht wie in einem Monatsblatt vielleicht eine halbe Seite. Ich kenne den Mark der Monatspresse aus eigener Erfahrung…

…Du schreibst neben Testcard noch für Konkret, die Schweizer Wochenzeitung oder auch das Intro…
…und da bist du einfach abhängig von Anzeigenkunden. Ich habe da als freier Autor weniger Probleme. Wenn ich was nicht machen will, muss ich das ja nicht machen. Aber in den Redaktionen der großen Musikmagazine sieht es so aus, dass die Auswahl der Themen längst nicht mehr zu hundert Prozent den Lieblingsplatten der Redaktion entspricht. Über gewisse Sachen muss dort einfach geschrieben werden. So entstehen dann Hypes und Bands wie Franz Ferdinand sind auf allen Titelbildern. Genau diese Sachzwänge wollten wir umgehen. Deshalb haben wir uns für die Buchform entschieden. Das bedeutet mehr Kontrolle über den Inhalt.

Inwieweit seid ihr heute – zehn Jahre später – diesem Anspruch gerecht geworden?
Ich würde sagen, wir haben ihn eingelöst. Buchhandel heißt ja auch: Leute bestellen nach. Das geht bis an die Unis. Wenn z.B. ein Seminar über das Thema Kulturindustrie angeboten wird, dann bestellen die Studierenden sich die Testcard-Ausgabe 5, die sich mit diesem Thema beschäftigt hat. Die Leute gucken auch nach Jahren noch in ein Buch rein, während Zeitschriften schnell weggeworfen werden.

Du bezeichnest die in Testcard erscheinenden Texte oft als “eher wissenschaftlich”. Was bedeutet das? Welchen Ansprüchen müssen die Texte genügen?
Dazu möchte ich erst mal sagen, dass wir gerne in diese Ecke geschoben werden. In Rezensionen schreibt dann jemand, das sei aber wieder kopflastig, oder man müsse so und soviel Semester studiert haben, um das zu verstehen. Als Herausgeber sage ich immer, dass es auf jeden Fall verständlich bleiben, sich allerdings von einer reinen Fanhaltung lösen soll. Strömungen sollten erkannt und in Zusammenhängen erklärt werden. Ein analytischerer Ansatz als nur: “Diese Band ist super, kauft euch deren Platte.” Allerdings ist es uns wichtig, verschiedene Schreib- und Sprechweisen zuzulassen, was sich jedoch von selbst ergibt. Unsere Autoren sind Journalisten, Künstler, Labelmacher, aber eben auch Leute, die von der Uni kommen. Wir zwingen aber niemanden zu Fußnoten. Wir sind eigentlich sogar froh, wenn unsere Autoren ohne Auskommen.

Wer liest euch eigentlich?
Es gab noch keine Umfrage, auch wenn geplant ist, mal eine zu machen. Dem Publikum bei Lesungen und Veranstaltungen nach zu schließen lesen Teenager Testcard allerdings nicht. Der Altersdurchschnitt liegt wohl irgendwo bei Mitte 20 bis Mitte 40. Das ist eine Generation, die mit Pop aufgewachsen ist, und die sich auch mit Pop auf einer gesellschaftspolitischen Ebene auseinander gesetzt hat. Die nicht nur eine reine Konsumentenhaltung einnimmt.

Das wäre die nächste Frage. Wieso ist Popkultur in deinen Augen eigentlich als Diskursgegenstand relevant?
Einfach aus dem Grund, weil jeder Mensch viel Zeit seines Lebens mit Popkultur – seien es Filme, Musik oder Fernsehserien – verbringt. Das prägt unser Bewusstsein, unser Denken. In soweit ist dieses Feld ernst zu nehmen. Hier lässt sich ablesen, wie sich über Kultur Gesellschaft verändert, oder welches Bild Kultur von sich selbst transportiert.

Wobei zu unterschieden wäre, zwischen Popkultur, die nur unbewusst reflektiert und einer Popkultur, die bereits mehrdeutig angelegt ist.
Mit Sicherheit. Du schreibst anders über Destiny’s Child als über eine Free-Noise-Kapelle aus New York. Ich nenne die Beispiele, weil wir in unserer Black-Music-Ausgabe einen Artikel über Destiny’s Child hatten. Der war dann soziologisch motiviert, weil er ihren Erfolg und ihre Verstrickung in politische Interessen darstellen wollte. In solchen Fällen geht es dann weniger um einen ästhetischen Befund. Bei Underground-Phänomenen stellt sich hingegen öfter die Frage, was an der Musik nun so außergewöhnlich ist

Wo du gerade eine Free-Noise-Kapelle als Beispiel anführst. In Ausgabe 5 stand der Satz: “Wer immer nur zu Hause sitzt und japanische Geräuschmusik hört, entwirft schnell ein romantisch verklärtes Bild über das Diskursniveau in den Clubs und Kneipen.” Das war sicher ironisch gemeint, aber inwieweit siehst du die Testcard Belegschaft dieser Gefahr wirklich ausgesetzt?
Ein Bedürfnis, sich über Randmusik zu informieren, ist da. Davon können wir ausgehen, sonst hätte sich die Reihe gar nicht gehalten. Deshalb sehe ich uns nicht als Elfenbeinturm-Bewohner, die ausschließlich für Plattensammler-Nerds schreiben.

Das Zitat lässt aber doch anklingen, dass die Befürchtung – zumindest in ihrer ironischen Brechung – im Raum stand.
Dann hole ich etwas länger aus. In den ersten Ausgaben hatten wir zum Teil mehrseitige Diskografien von wirklich abseitigen Platten aus der Geräuschkunst. Da haben wir dann schon mitbekommen, dass es unzählige Nerds gibt, die uns angeschrieben haben und sich beschwerten, dass wir da eine in Fünfziger-Auflage erschienene Single von was-weiß-ich-wem nicht aufgeführt hätten. Das hat uns dann selbst irgendwann genervt. Wir wollten nie ein Heft machen für Obskuritätensammler. Deshalb gab es in etwa ab Ausgabe 5 einen Knick. Danach sind wir mehr in eine soziologische Ecke gegangen. Ab dann haben wir auch über populären Pop geschrieben und nicht mehr nur die Abseitigkeitsregel bedient.

Das führt dann wieder zur Diskursrelevanz von Pop. Benutzt also jemand, der Pop ausschließlich als eskapistisches Vehikel benutzt, diesen falsch oder nur anders? Viele Leute machen sich ja gar keine Gedanken, wie ihr sie publiziert. Für sie zählt in erster Linie, ob sie zu etwas tanzen können oder ob es sie emotional berührt und das war’s.
Das stimmt, auch wenn “falsch” wohl ein zu harter Begriff ist. Das wäre ja eine Adorno würdige Position. Für den war Pop ja per se falsch. Ich würde sagen, diese Leute benutzen Pop anders. Weil die Ebene, die hinter dem Phänomen liegt, ignoriert wird. Eine Ebene, die immer gesellschaftlich ist. Selbst ein R’n’B-Stück, das ausschließlich von Liebe handelt und nichts anderes will als Unterhalten, erfüllt somit einen politischen Zweck.

Hat sich die Popkultur in den letzten zehn Jahren geändert?
In der musikalischen Vielfalt hat sich wenig getan. Damals wie heute gibt es viele interessante Musik, allerdings haben sich die Rezeption und die Medien drum herum verschoben. In der Radiolandschaft, im Musikfernsehen sind immer zunehmend Sachen weg gebrochen, die etwas anderes als die Top 10 bedienen. Gleichzeitig finde ich es aber auch interessant festzustellen, dass Dinge, die vor fünf Jahren noch ausschließlich in Testcard stattgefunden haben, heute auch in den ganz normalen Medien stattfinden. Dass die SZ, die Frankfurter Rundschau, die FAZ auch über weniger bekannte Bands schreiben. Dieses Spezialwissen hat sich verlagert, was früher den  Fanzines “gehörte” ist kulturelles Allgemeingut geworden.

Das ist aber doch ein Prozess, der überall wahrzunehmen ist. Dass der Untergrund als Trendscout für den Markt agiert und Dinge, die im kleinen Kreis erfolgreich sind, irgendwann zum Mainstream werden.
Das passiert heute aber zeitgleich. Ich habe mich darüber jüngst mit Alfred Hilsberg unterhalten, der das Label What’s so Funny About betreibt und in den Siebzigern auf ZickZack alle obskuren Punksachen veröffentlichte. Der erinnerte sich, dass damals Gegenkultur jenseits der bürgerlichen Öffentlichkeit stattgefunden hat. Es gab Fanzines, es gab die kleinen Plattenvertriebe und so sollte das dann auch zehn Jahre bleiben. Heute ist das alles im Museum. In Düsseldorf gab es vor ein paar Jahren die Ausstellung “Zurück zum Beton” und parallel erschien das Buch “Verschwende deine Jugend” bei Suhrkamp. Aber das hat immerhin zehn Jahre gedauert. Heute hast du die Rezeption fast zeitgleich.

Was bedeutet das für dich? Ist die Akzeptanz gestiegen?
Nein, denn das heißt ja nicht, dass die Sachen deshalb direkt in den Mainstream gehen. Wenn heute eine Band wie die Goldenen Zitronen eine Platte macht und Die Zeit und die Rundschau darüber schreiben, dann werden die Zitronen ja deshalb keine Millionseller. Ich habe eher das Gefühl, dass das was vor zehn, 20 Jahren im Untergrund stattgefunden hat, heute rezipiert wird, wie früher nur die Hochkultur und deshalb im Feuilleton stattfindet.

Was vielleicht einfach daran liegt, dass die Leute, die früher im Ratinger Hof ein- und ausgingen, heute in den Feuilletons der Zeitungen sitzen.
Ganz genau. Und selbst wenn sie nicht persönlich dort waren, beschränkt sich ihr Interesse nicht mehr nur auf Staatstheaterkultur. Heute stellen sich nachgewachsene Journalisten die Frage, warum eine neue Platte anders behandelt werden sollte als eine neue Aufnahme von Stockhausen.

In vielen Rezensionen wirst du als explizit “linker” Autor bezeichnet. Kannst du definieren, was das anno 2005 heißt, links zu sein?
Das ist immer ein leichtes Schlagwort zum Kategorisieren. Mir geht es allerdings schon darum, an Musik oder kulturellen Dingen festzumachen, ob sie eine emanzipatorische Wirkung haben. Ob sie reaktionäre Gesellschaftsbilder vertreten, oder eben nicht. Zu schauen, welche Geschlechterrollen Musik repräsentiert, die ganze symbolische Politik, die Kultur mitliefert. Das ist in meinen Augen auch die Aufgabe des Journalismus. Nicht Warenkunde zu betreiben, sondern darauf hinzuweisen, was hinter etwas steckt. Wenn man das links nennen mag, dann bitte.

Auch wenn die reine Beschäftigung mit einem Themenkomplex ja noch keine Lesart vorgibt. Du kannst dich auch mit der Repräsentation von Geschlechterrollen auseinandersetzen und trotzdem eine konservative Meinung vertreten. Die Beschäftigung mit dem Gegenstand ist ja noch nicht per se links.
Nein. Eher die Überzeugung, dass Musik und Kultur die Aufgabe oder Möglichkeit hat, Prozesse einer gesellschaftlichen Veränderung einzuleiten, bzw. auf sie hinzuarbeiten.

Da sind wir ja schon wieder bei Adorno.
Da ist sicher Adorno drin. Das Problem besteht dann allerdings darin, dass die Leute immer denken, ich würde das alles so ungeheuer didaktisch meinen. Dabei gefallen mir selbst Bands wie z.B. Rage Against The Maschine gar nicht, weil deren Ansatz eben so plump ist und sich in der reinen Lehre erschöpft, den Leuten nämlich zu sagen, du hast so und so zu leben. Ich denke, es geht auch etwas trickreicher.

Wenn wir jetzt schon mal bei dem Thema sind… Kannst du deinen theoretischen Background mal kurz umreißen? In vielen deiner Texte zitierst du Philosophen und Soziologen. Wer hat dich beeinflusst?
Sicher die Frankfurter Schule. Auch wenn ich sie von einem kritischen Standpunkt aus betrachte. Auch Adorno. Denn seine Kulturindustriethese lässt sich heute so nicht mehr aufrecht halten. Die Standardisierung, die er dem Schlager und Film vorwirft, lässt sich heute nicht mehr nur der Popkultur vorwerfen. Hoch- und Popkultur lassen sich nicht mehr trennen. Innerhalb der Hochkultur lassen sich genauso der Kulturindustrie entsprechende Phänomene ausmachen –  meinetwegen die Drei Tenöre und dergleichen – wie du in der Popkultur Phänomene hast, die in Adornos Sinne als emanzipatorisch gelesen werden können. Für Adorno war das einfacher. Es gibt ein Radiointerview aus den Sechzigern mit ihm, in dem er sagt, dass die Beatles schon auf Grund ihrer Rhythmik und Melodien rückschrittlich wären.

Das ist ja eine der Thesen aus dem Aufsatz “Über Jazz”. Dass populäre Musik mit ihrem Rückgriff auf Strukturen der Marschmusik bereits einer Unterwerfung des Subjekts zuarbeite.
Nur hat Adorno nicht mitbekommen oder nicht mitbekommen wollen, vielleicht auch zeitlich nicht mitbekommen können, dass damit auch innerhalb der Popkultur gebrochen wurde. Dass Musiker angefangen haben, sich dem gegenüber entweder ironisch zu verhalten, bzw. ganz neue Wege zu gehen.

Du würdest also sagen, dass Popkultur auch anno 2005 wenigstens theoretisch noch subversive Inhalte transportieren kann?
Auf jeden Fall.

Was wäre dafür notwendig?
Es geht hauptsächlich um das Brechen von Erwartungen. Viele Leute, die Musik machen, denken, es würde genügen, bestimmte Bedürfnisse einer Peergroup zu befriedigen und das wäre bereits emanzipatorisch. In der Regel werden sich viel zu wenig Gedanken gemacht über Musik als Transportmittel. Wenn Musik heute noch emanzipatorisch wirksam sein kann, dann nur, in dem mit Klischees gebrochen wird. Wenn eine Hardcore-Band zum Beispiel völlig schlaffe Gitarren spielen würde. Das würde für Irritation sorgen.

Wer böse ist, könnte dann aber anmerken, dass eine Band, die Irritation zu ihrem Konzept erhoben hat, in dem sie irritiert, auch nur eine Erwartung bedient.
Nimm Musiker, denen es um pure Irritation geht und die völlig atonale Störgeräusche aufnehmen. Gut, damit erfüllen sie dann auch nur eine ganz spezielle Erwartungshaltung. Das führt uns aber auch zu einem anderen Missverständnis, um mal wieder den Bogen zu Testcard zu schlagen. Die Leute denken immer, dass Testcard-Musik die Musik ist, die ganz doll wehtun muss. Ich denke aber, dass auch schöne, intensive Momente in der Musik nötig sind.

In vielen Rezensionen wirst du als “wichtigster” oder “bester” lebender Musikkritiker bezeichnet. Hast du jemals die Gefahr gesehen, zu einer Entscheidungsinstanz zu werden?
Also, das sollen andere beurteilen. Ich merke nur, dass es relativ wenige Leute in meinem Alter gibt, die sich mit Musik auf diese Weise beschäftigen. Als ich angefangen habe, mich für Musik zu interessieren, da war jemand wie Diedrich Diederichsen noch sehr wichtig, und es sind dann wenige Leute nachgewachsen. Eine Entscheidungsinstanz bin ich wohl trotzdem nicht. Wenn ich eine Band wie Animal Collective lobe, dann verkaufen die trotzdem weniger Platten als Franz Ferdinand. Mir ist wichtig, weniger mich, als den Gegenstand meiner Betrachtung in den Mittelpunkt zu rücken. Ich möchte den Leuten zurufen, dass sie nicht blind alles hören sollen, was ihnen ständig als Hype um die Ohren gehauen wird, sondern dass sie mit Musik einfach anders umgehen sollen.

Da treibt dich also schon eine Art Sendungsbewusstsein?
Ja klar, Auch aus meiner eigenen Erfahrung heraus. Als ich jung war, so mit 14, 15, 16 Jahren, ging es mir genau so. Ich war dankbar für jeden Ort, an dem du mal was jenseits von Bonnie M und ABBA erfahren hast.  Dafür, dass jemand mich an die Hand genommen und gesagt hat, guck mal, es gibt z.B. auch die Dead Kennedys.

In vielen Rezensionen über deine Artikel und Bücher, auch jetzt mit deiner Beteiligung am “Can’t Relax in Deutschland”-Sampler findet kaum eine kritische Auseinandersetzung mit deinen Thesen statt. Oft wird nur wiederholt, aber nicht kritisch gewürdigt.
Ja, das ist schade, denn eigentlich geht es mir ja darum, Auseinandersetzung zu provozieren. Es wäre schön, wenn Leute dazu Stellung nehmen würden. Mein Beitrag für den Sampler war übrigens sehr komprimiert. Die Bitte war, möglichst viel hineinzupacken, während parallel immer weniger Platz zur Verfügung gestellt wurde. Deshalb geht es jetzt etwas sehr schnell von Kant zu Marcuse und so weiter. Ich hoffe, er ist trotzdem verständlich, das ist mir wichtig.

Warum hast du überhaupt bei der Aktion mitgemacht?
Ich habe ja bloß einen Text beigesteuert und trete bei einigen Veranstaltungen auf. Ich bin nicht Mitherausgeber, wie oft geschrieben wird. Antrieb war die Feststellung, dass sich die Phänomene häufen, bei denen Pop instrumentalisiert wird für nationalistische Aussprüche. Wir wollen hingehen und sagen‚ dass wir aus Deutschland kommen, dass wir meinetwegen Deutsch singen, aber dass das noch lange nicht heißt, dass wir dieses Land und alles was darin passiert supertoll finden. Popkultur war schon immer etwas sehr Internationales. Die meisten der Bands, die sich heute das Deutsche auf die Fahnen schreiben, bedienen sich z.B. beim Rock’n’Roll, der seine Wurzeln nicht in Deutschland, sondern in den USA hat. Hinzu kommt die Auffassung, dass Popkultur sich generell kritisch auf die Gesellschaft beziehen sollte.

Inwieweit besteht denn für dich so was wie “Deutsch” überhaupt?

Wenn du, wie du vorhin erwähntest, davon ausgehst, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann sorgen die Lebensverhältnisse hier und die Sprache doch dafür, dass sich zwangsläufig so was wie nationale Eigenheiten ausbilden. Kulturelle Eigenheiten sind ja auch nichts per se Abzulehnendes. Ich denke, deutsche Bands, die im Ausland Erfolg hatten, hatten ganz bestimmten Eigenheiten. Die Einstürzenden Neubauten könnte man z.B. zurückverfolgen bis zum deutschen Expressionismus. Nur es geht nicht darum, zu sagen, irgendwelche kulturellen Eigenheiten wären prinzipiell gut oder schlecht, sondern es geht darum, klarzumachen, dass bei einem positiver Bezug auf eine Nation, besonders bei einem Spruch wie ‘Ich bin stolz, Deutscher zu sein’, dass dann Nation immer ein Konstrukt ist. Ich kann nicht stolz sein auf… ja auf was. Dass ich zufällig hier geboren wurde?

Interview: Moritz Honert

Wir verlosen insgesamt drei Ausgaben der aktuellen Testcard-Ausgabe “Discover America” an jeden, der uns sagen kann, welche Band Headliner auf der Testcard-Geburtstagsparty am 30.9.2005 in Mainz war.

Testcard #01: Pop und Destruktion
Testcard #02: Inland
Testcard #03: Sound
Testcard #04: Retrophänomene in den Neunzigern
Testcard #05: Kulturindustrie – Kompaktes Wissen für den Dancefloor
Testcard #06: Poptexte
Testcard #07: Pop und Literatur
Testcard #08: Gender – Geschlechterverhältnisse im Pop
Testcard #09: Pop und Krieg
Testcard #10: Zukunftsmusik
Testcard #11: Humor
Testcard #12: Linke Mythen
Testcard #13: Black Music
Testcard #14: Discover America
Testcard #15: Medien (erscheint voraussichtlich Frühjahr 2006)