Obacht! Da sind sie wieder, die exzentrischen Schweden! Ola Salo und seine Horde schriller Federboaträger toben mit ihrem dritten Album zurück auf die Szene – aber der Zustandsbericht “State Of The Ark” zeigt, dass sich im Lager unserer Helden einiges getan hat.
Klar, einige liebgewonnene The Ark-Trademarks sind übrig geblieben. Die sich sofort ins Gedächtnis einprägenden Riffs, die schon den Über-Glamrock des Vorgänger-Albums “In Lust We Trust” (2002) so ausgezeichnet haben, finden wir wieder. Natürlich kann man auch die Melodien wieder sofort mitsingen, wie schon auf dem Disco-80s-Pop-Debut “We Are The Ark” von 2000. Vor allem: Die Attitüde, dieses “Wir gegen die Welt! In Technicolor!” – das war und ist und bleibt für immer The Ark. Und doch zeigen sich Ola und Co sich heute elektrischer, groovier und frecher als je zuvor.

Sie gehen neue Wege, und das muss man ihnen hoch anrechnen. Schließlich wäre jetzt der ideale Zeitpunkt gewesen, aus dem The Ark hätten Kapital schlagen können, dass sich der Trend zur grellbunten, flippigen Band in den letzten zwei Jahren endlich in ihre Richtung gedreht hat. Schließlich sind The Ark die Band, die The Darkness beiseite nehmen könnte, um sie zu erinnern: “Kostümwechsel, von einem ausgeflippten, augenschmerzenden Outfit ins nächste? Pah! Machen wir seit Jahren! Und euer Manifest: ‚Wir nehmen die Musik schon ernst, aber uns selbst nehmen wir ganz gerne auf die Schippe’ – das könntet ihr direkt von uns abgeschrieben haben!” Schließlich könnte Ola Salo, die musicalerprobte Stimme des Fünfers, auch den genderbending Scissor Sisters (nicht zuletzt die Band, deren Debut letztes Jahr das meistverkaufte Album in England war) erzählen: “Ihr habt noch Mitglieder rekrutiert, da hatten wir in Schweden schon Nummer Eins-Hits mit bisexuellen Befreiungs-Slogans a la ‚Let Your Body Decide’. Und bringt ihr erst mal einen Song über das recht Homosexueller, Kinder zu adoptieren, in die Top 5, bitteschön, wie wir das 2002 mit ‚Father Of A Son’ in Schweden geschafft haben!”
Machen sie aber nicht. Es wäre auch nicht The Arks Art, plötzlich nicht mehr in der Opposition zu sein. Von Anfang an bedeutete The Ark Provokation und Rebellion – wenn auch auf eine ganz andere Art, als festgefahrene Betonköpfe sich Provokation vorstellen. Weswegen sich gerade diese Leute auch so gut provozieren ließen.

Flashback: 1991 – Ola Salo, Priestersohn aus der kleinen südschwedischen Gemeinde Rottne, ruft im Alter von etwa vierzehn Jahren mit seinen Mitschülern Leari Ljungberg und Jepson The Ark ins Leben. Damals war Grunge das große Ding – dass Ola schon beim ersten Auftritt seiner Band im selbst gebastelten Lametta-Anzug vor allem Kopfschütteln hervorrief, kann man sich wohl gut vorstellen. “Wir wollten immer eine Band sein, die wir auch selbst sehen wollen würden. Eine Band, bei der auf der Bühne etwas passiert, eine Band, die Show macht.”
Qualitäten, die die gesamten Neunziger nicht gefragt waren. Wovon sich Ola und seine Mitstreiter natürlich nicht beirren ließen. Man zog ins nahegelegene Växjö und landete in der heute legendären WG-Villa-Kunterbunt “Festhuset”, in der sich alle Kreativen und Wilden der Gegend trafen (heute sind auch die ehemaligen Mitbewohner Melody Club und The Mo Top-Ten Stars in Schweden), schrieb Lied um Lied, spielte Gig um Gig. Mit neuem Gitarristen an Bord (Martin Axén) und dem aus dem Festhuset rekrutierten Drummer Sylvester Schlegel zog man schließlich nach Malmö – und die Sache kam langsam aber sicher ins Rollen.
Als die befreundeten Cardigans 1998 für eine Welttour kurzfristig einen Live-Bassisten brauchten, war Leari zur Stelle. Support auf dieser Tour: Kent, in der schwedischen Heimat die größte Band. Leari nutzte die Gelegenheit, Kent Aufnahmen von The Ark aufs Auge zu drücken – und die waren so angetan, dass sie The Ark 1999 als Support auf die eigene große Schwedentour durch die Eishockeyarenen des Landes mitnahmen.

Diese Tour war der große Wendepunkt in der Karriere der Band – Sofort war die schrille Paradiesvogeltruppe Gesprächsthema Nummer Eins unter Schwedens Musikfans. Man unterstellt heute ja vielen Bands, sie würden ‚polarisieren’, wenn man beschönigen will, dass echt viele Leute sie hassen. The Ark aber polarisierten wirklich. So sehr die einen sich mit offenem Mund am Kopf kratzten, so unbändiger das Vergnügen der Anderen an diesem hemmungslosen Vollgas-Glampop, der nach so langer Zeit endlich wieder Showmanship, Humor und Übertreibung in den Rock brachte.

Also stieg die Debutsingle “It Takes A Fool To Remain Sane” sofort auf Rang 1 der SWE-Charts und wurde zum meistverkauften und meistgespielten, also zum definitiven Hit des Jahres 2000. Nicht schlecht für eine Hymne ans Anderssein, für einen Song, der “ridicule is no shame” proklamiert und unter anderem fordert: “Take it to the stage in a multicoloured jacket! Strut it like a peacock! Dye your hair in glowing red and blue!”

Auch das darauf folgende Album “We Are The Ark” (2000) ließ monatelang nicht von der Nummer Eins ab. Vor allem, und wichtiger: Schwedens Außenseiter hatten ihre Band gefunden. Ola: “Ich habe so viele Briefe bekommen von Fans, in denen stand: Seit ich eure Platte kenne, kann ich damit umgehen, die Gehänselte in der Schule zu sein!” Die schrägen Vögel in den selbst geschneiderten Glam-Outfits waren angekommen. Kritik von “ernsten” Bands an Show und Outfit konnte Ola nun souverän zurückweisen: “Auch dieses ‚wir sind wie ihr und tragen deswegen Jeans und T-Shirt’ ist doch nur eine Maskerade – sogar eine ganz besonders unoriginelle. Mir ist ehrliche Künstlichkeit jedenfalls viel lieber als gekünstelte Ehrlichkeit!”

Zwei Jahre später konnte der Nachfolger “In Lust We Trust” alle Hoffnungen erfüllen. Gitarrenlastiger als der Vorgänger, mehr Seventies als Eighties, mehr Rocky Horror Picture Show als Duran Duran präsentierten The Ark hier – ein Schritt, der ihnen wieder mehrere Top-Singlehits (darunter “Calleth You, Cometh I” und das oben erwähnte “Father Of A Son”) und die wochenlange Position 1 der Albumcharts einbrachte.

Was uns nun zu “State Of The Ark”, der aktuellen Platte bringt. Von Außen betrachtet: The Ark sind eine der festen Größen ihrer Heimat. Sie haben in anderen Ländern definitiv ihre Spuren hinterlassen und die eine oder andere Nation ordentlich aufgewühlt, z.B. haben sie auch in Italien wiederholt die Top Ten geknackt. Sie haben, das ist wohl das wichtigste, eine internationale Fanbase, die sich vom Ark-schen “Schäm’ dich für nichts!”-Manifest befreien und inspirieren ließ. Sie haben so einige Tore geöffnet, durch die Bands wie The Darkness oder die Scissor Sisters durchstürmen konnten. Wohin nun?

The Ark hätten sich zurücklehnen können und darauf vertrauen können, dass sie mit einem dritten Album, welches ihren Sound und ihre Position konsolidiert hätte, diesmal zwangsweise von den Scissor Sisters-Fans der Welt entdeckt worden wären.

– Statt dessen? Wird der Breitwand-Glam von “In Lust We Trust” zu zackigem Minimalpop – man höre nur den One-Note-Bass-Opener “This Piece Of Poetry Is Meant To Do Harm” oder “Girl, You’re Gonna Get ’em (Real Soon)”, der mit kaum mehr als Keyboards, Drums und The Knack-Riff arbeitet.

– Statt dessen? Entdeckt Ola, bisher doch meist so lebensbejahend, eine richtig gemeine Ader. Schimpft zu einem Zeitpunkt, da noch immer alles aus dieser Stadt einen Plattenvertrag nachgeworfen bekommt, “New York’ a goldmine for Rock City Wankers” und haut den NYC-Trendies mit Zeilen wie “Just because you’re full of it, doesn’t mean that you’re the shit!” einen Fehdehandschuh um die Ohren.

Will heißen? The Ark haben uns wieder überrascht. Haben sich nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Haben auch beim dritten Album noch eine Menge Neues zu sagen und sagen dies auf untypische Weise. Gehen weiter Wagnisse ein. Bleiben sich treu, indem sie sich wandeln.

Ach ja – Eines müssen wir dazu noch sagen – sowohl die erste Single “One Of Us Is Gonna Die Young” als auch das Album “State Of The Ark” beherrschen seit Wochen die schwedischen Charts und auch in Ländern wie Finnland, Dänemark und Norwegen kommt der Stein langsam zum Rollen bzw. die Arche Auftrieb!

“State Of The Ark” – der dritte Schritt einer ganz außergewöhnlichen Band. Wo wird er sie hinführen?

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