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Geert van der Velde über seine Vergangenheit bei Shai Hulud, Tonstudios mitten im Nirgendwo und die Freude am Entschlüsseln kryptischer Texte.
Andächtige Melodien ohne viel Brimborium: The Black Atlantic zeigen mit ihrem Debütalbum “Reverence for Fallen Trees”, dass man in Zeiten von zappeligen Indietronic-Bands und hippen Genre-Mashups ruhig auch mal wieder einen Gang zurückschalten und das Wesentliche für sich sprechen lassen kann. Ganz so entspannt wie in der Musik seiner Band ging es im Leben vom Frontmann Geert van der Velde allerdings nicht immer zu. Welchen Einfluss der Hardcore, abgeholzte Bäume und das Studium der Philosophie auf seinen musikalischen Werdegang ausübten, verriet er uns der gesprächige Holländer auf dem Friction Fest.
motor.de: Vor The Black Atlantic warst du in der Metalcore-Band Shai Hulud. Hast du noch irgendeinen Bezug, eine Verbindung zu dieser Band, musikalisch oder persönlich?
Geert van der Velde: Nein, ich bin noch sporadisch mit den Bandmitgliedern in Kontakt, via Facebook etwa. Den Tourplan verfolge ich aber nicht wirklich, jedoch habe ich von einem Freund erfahren, dass Shai Hulud morgen in Berlin spielen. Das ist ein lustiger Zufall! (lacht) Aber ansonsten habe ich keinen wirklichen Bezug mehr zur Band außer einer freundschaftlichen Beziehung zu den Mitgliedern. Auch die Musik höre ich nicht mehr wirklich, geschweige denn, dass ich verfolge, was sich in der Szene noch so tut.
motor.de: Wie kam es denn zu diesem plötzlichen großen Schritt in völlig neue musikalische Richtungen?
Geert: Naja, das passierte natürlich nicht über Nacht – das ist viel mehr in einem Zeitraum von vielleicht vier, fünf Jahren entstanden, ein schleichender Prozess also. Während ich noch studiert habe, zog es mit sich, dass ich mich für sehr viel mehr Musik interessierte als nur das Hardcore-Zeug.
motor.de: Also hast du das Kapitel Hardcore und alles was dazugehört mittlerweile vollständig abgeschlossen?
Geert: Ja, ziemlich! Ich höre mittlerweile sehr viel Singer/Songwriter-Kram oder experimentellen Indiepop.
Manchmal, etwa während einer langen Autofahrt, höre ich noch ein paar alte Platten, dann aber eher aus Nostalgiegründen; inspirieren tut es mich nicht mehr.
The Black Atlantic – “Heirloom”
motor.de: Mit The Black Atlantic schlägst du ja nun ruhigere Töne an, was sicherlich auch an der Umgebung lag, in der du das Album aufgenommen hast.
Geert: Ja, wir haben es in einer kleinen Hütte fernab von Zivilisation eingespielt. Ich glaube, es hätte nicht in einer großen Stadt aufgenommen werden können. Das liegt wohl auch daran, dass ich viele Songs bereits mit dem Hintergedanken an diesen ruhigen Ort geschrieben habe, weil ich wusste, dass ich das dort aufnehmen werde. Als wir den Aufnahmeprozess dann begonnen haben, wurde alles auf die Platte genommen, aber zusätzlich noch ein wenig mehr zu Hause aufgenommen.
motor.de: Gibt es etwas wie ein Konzept hinter dem Album? Die Songnamen mit ihren zahlreichen Natursymbolen lassen ja auf einen gewissen roten Faden schließen.
Geert: Zum Titel “Reverence For Fallen Trees” kam ich eines Nachts, ich weiß nicht mehr wann. Jedenfalls lag ich da im Bett und dachte an meine Großeltern, von denen
beinahe schon alle verstorben sind, außer eine Person. Diese war aber auch schon in den letzten Zügen ihres Lebens. Ich denke, ich hatte bisher immer eine ziemlich normale Beziehung zu meinen Großeltern. Sie waren nicht so etwas
wie Mentoren für mich, sie waren eben da. Ich habe mich gut mit ihnen verstanden, aber es herrschte auch keine besonders innige Beziehung vor. Dann dachte ich daran, wie ich die Straßen meiner Nachbarschaft entlanglaufe und die Umwelt in meinem Kopf rekonstruiere: In der Gegend wurden alle Bäume gefällt, dennoch sind sie in meinem Kopf vorhanden. Das ist komisch! Ich habe sie immer nur unbewusst wahrgenommen, aber wirklich aufgefallen sind die Bäume mir erst, als sie gar nicht mehr da waren. So ähnlich erging es mir auch mit meinen Großeltern: Ich habe es als selbstverständlich erachtet, dass sie da waren. Erst als es beinahe zu spät war, entschloss ich, ein wenig mehr für diese Beziehung zu tun.
motor.de: Also geht es darum, mehr in der Gegenwart zu leben, und diese so bewusst wie möglich aufzunehmen?
Geert: Genau, der Titel lautet ja auch “Reverence For Fallen Trees”, dabei können die Bäume als ein Sinnbild für meine Großeltern angesehen werden. Gleichzeitig ist es auch andere Art zu sagen “Ehre den Tod” oder “Ehre die, die du liebst”.
motor.de: Sicher hat bei deinen Texten auch dein Philosophiestudium eine Rolle gespielt, oder?
Geert: (überlegt) Ja, gut möglich! Ich habe das Studium aber abgebrochen. Ich mag es auch nicht, Texte zu erklären. Viel schöner ist es doch, wenn sich jeder selbst herauspickt, was er mag, um es auf seine Weise zu interpretieren. Es ist nicht, dass ich Angst habe, persönliche Informationen zu enthüllen. Mir macht es einfach auch selbst Spaß, Texte zu lesen, die ein wenig kryptischer sind, um ihnen meinen eigenen Sinn zu geben. Darum will ich den Hörern die Bedeutung meiner Lyrics nicht vorsetzen. Anfangs habe ich sie sogar hier und da erklärt, als das Album frisch erschienen ist. Aber nun möchte ich es eher “mysteriös” halten (lächelt schelmisch).
motor.de: Ihr bietet das Album als kostenlosen Download an. Was ist dir an dieser Option wichtig?
Geert: Wir wollten zunächst nicht vordergründig Geld verdienen, sondern erst einmal ein Publikum überzeugen. Und da wir jetzt ein Publikum haben, erscheint es mir als unfair, plötzlich Geld dafür zu verlangen. Außerdem mag ich die Idee, dass jemand in einem ärmeren Land mit Internetanschluss unsere Musik dennoch herunterladen, hören und an seine Freunde weitergeben kann.
motor.de: Es ist doch aber finanziell sicherlich nicht einfach, diese Strategie auf längere Sicht zu fahren, oder?
Geert: Naja, es ist nur der Download des Albums. Neben der Möglichkeit, die Songfiles kostenlos zu erhalten, kann man auch einen selbst gewählten Preis dafür bezahlen. Und die CD sowie die Vinyl-Ausgabe der Platte wird ja auch zu einem regulären Preis verkauft. Aber auch abseits vom reinen Geld-Gedanken rentiert es sich: Dass Leute unsere Musik noch immer downloaden und verteilen sorgt schließlich auch dafür, dass unser Publikum größer wird.
motor.de: Und so ein Publikum dürstet stets nach Output – habt ihr denn für die nächste Zeit bereits neue Veröffentlichungen geplant?
Geert: Also ein Album wird es erst einmal nicht geben. Aber über den Sommer wollen wir eine EP aufnehmen! Als wir “Reverence For Fallen Trees” veröffentlichten, waren wir lediglich ein Zusammenschluss von Musikern, aber noch keine wirkliche Band. Mittlerweile möchte ich aber wirklich diese Bandchemie haben und nicht nur, dass es so ist, dass einer die Lyrics schreibt und die anderen dazu Musik machen. Darum werden wir mit der EP schauen, wie wir als Gruppe funktionieren, um es dann im nächsten Jahr auf Albumlänge zu versuchen.
motor.de: Die EP fungiert also als eine Art Testballon, um zu sehen, in welche Richtung ihr euch als Band entwickeln werdet?
Geert: Genau, Jeder kann seinen eigenen Anteil dazu beisteuern und dann sehen wir, was daraus wird. Das gibt uns erst einmal genug Freiräume und Platz zum Herumprobieren. Aber klar, es wird jetzt nicht unbedingt eine Metal- oder House-Platte. Es wird gleich, aber anders.
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