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Nach dem vorläufigen Ende von Oasis und Blur schaut Großbritannien gespannt auf The Charlatans und ihr neues Album “Who We Touch”. Im motor.de-Interview zeigt sich Sänger Tim Burgess davon jedoch unbeeindruckt.
Im Frühjahr feierten The Charlatans Jubiläum. Mit ihrem Debüt “Some Friendly” avancierten sie vor genau zwanzig Jahren zu einem der absoluten Aushängeschilder des Manchester Rave und gelten heute als Mitbegründer des so genannten Britpops. Eine durch und durch wilde Zeit, die einigen ihrer Kollegen sprichwörtlich den Kopf kostete – die Happy Mondays versanken im Drogensumpf, The Stone Roses in zu vielen Streitereien und New Order wandten sich dem Stadionrock zu – allein The Charlatans hielten nach ihrer Single-Hit “The Only One I Know” von 1991 tapfer durch.
Ende der Neunziger gelang der Band mit dem Überalbum “Us And Us Only” das ganz persönliche Meisterwerk und doch verzettelten sich Burgess & Co. im Anschluss häufiger als ihnen lieb war. Mit “Wonderland” brachten sie im Jahre 2001 eine Platte auf den Markt, die aufgrund ihres kruden Stilmixes aus Soul und Rock keinen europaweiten Vertrieb fand. Harte Zeiten für die Charlatans und doch schafften sie mit der letzten Platte “You Cross My Path” die Regeneration. Inzwischen gelten sie wieder als Bastion des britischen Independentpop – allein über das Internet veröffentlicht, luden eine Million Menschen “You Cross My Path” (kostenlos) herunter.
Eine Strategie, die der Band auch musikalisch neue Wege öffnete und weil es in ihren Köpfen aktuell nur so sprudelt vor Ideen, schieben sie mit “Who We Touch” bereits ihren neuen, elften Longplayer nach. Gleichwohl unter veränderten Vorzeichen, denn inzwischen haben sich sowohl Blur als auch Oasis ins Nirwana verabschiedet und so setzt das Mutterland der Popmusik seine Hoffungen in The Charlatans. Warum Frontmann Tim Burgess das nicht als Ehre empfindet und was das neue Wir-Gefühl der Band ausmacht, erklärt er im motor.de-Interview.
motor.de: Die erste Frage soll sich mit dem Vorgänger “You Cross My Path” beschäftigen. Seid ihr immer noch zufrieden, die Platte kostenlos vertrieben zu haben?
Tim Burgess: Aus rein künstlerischer Sicht ist die Entscheidung zu 100 Prozent vertretbar. Nur geschäftlich haben wir Ärger bekommen, denn normalerweise verlangen Bands bei solchen Aktionen wenigstens die E-Mail-Adresse der Leute – wir hingegen gar nichts! Einmal angeklickt, konnte jeder die Platte kostenlos downloaden und das gefiel unserem Management überhaupt nicht. Schließlich hätte man die Mail-Adressen gut für unseren Newsletter verwenden können, meinten sie.
motor.de: Kommt euer neues Album “Who We Touch” deswegen als reguläre CD auf den Markt?
Tim Burgess: (überlegt lange) Für mich funktionieren Internetveröffentlichungen nur, wenn sie vollkommen frei von persönlichen Daten sind. Ich habe kein Interesse daran den Leuten irgendwas abzuverlangen und gleichzeitig so zu tun, als sei alles komplett ungezwungen. Ein Gratis-Release von “Who We Touch” scheiterte jedoch nicht allein daran – die Produktion der Platte war etwas kostspieliger als beim letzten Mal.
The Charlatans – “Love Is Ending”
motor.de: Die englische Presse feiert The Charlatans aktuell als “unshakable heroes” (NME) und sieht in euch die Thronfolger von Blur und Oasis.
Tim Burgess: (lacht) Wer sich so was ausdenkt, tut mir leid. Wir sind nicht die Nachfolger irgendwelcher Bands und haben mit der Bewegung nur in unseren Anfangstagen etwas zutun gehabt. Als Blur und Oasis richtig durchstarteten, veröffentlichten wir ganz andere Musik, die mehr am R’n’B orientiert war als beispielsweise “(What’s The Story) Morning Glory?”. Uns in einen Topf zu werfen ist also ziemlich abwegig, weil wir nicht die Retter des Britpops sind.
motor.de: Hat die Widerveröffentlichung eures Debüts “Some Friendly” im vergangenen Frühjahr auch das neue Album beeinflusst?
Tim Burgess: Es war toll an diesem Re-Releases mitzuwirken, weil mir all die Geschichten von damals in den Kopf schossen: Wie wir jede Woche im Hacienda abhingen, das ‚Factory’-Label Verträge nur per Handschlag unterzeichnete und wie die große Traumwelt in sich zusammenbrach. Der Manchester Rave hat jedoch nur bedingt Einfluss auf “Who We Touch”.
motor.de: Einige Songs klingen traditionell: Weniger Soul-Experimente, dafür rauer Gitarrenpop und am Ende fehlen nur noch die Keyboard-Wände, um die Reise in Vergangenheit perfekt zu machen.
Tim Burgess: Die Brücke zu den Anfängen lässt sich schon ableiten: Als im Frühjahr die Tour zum Jubiläum von “Some Friendly” anstand, habe ich zum ersten Mal nach einer gefühlten Ewigkeit Spaß dabei empfunden “The Only One I Know” zu performen. Ende der Neunziger hasste ich dieses Lied regelrecht.
The Charlatans – “The Only One I Know”
motor.de: Geht es in einem der neuen Song namens “You Can Swim” genau darum – um das Weitermachen, auch wenn es nicht läuft wie anfangs erhofft?
Tim Burgess: Sei beruhigt, inzwischen haben wir für “The Only One I Know” einen Platz gefunden – es kommt nicht mehr als Zugabe, sondern im Mittelteil des Sets. (denkt nach) Generell würde ich sagen, dass “You Can Swim” zeigt, dass es nicht einen Weg geben muss, der alles erklärt, sondern manchmal Umwege die Ortskenntnis erhöhen.
motor.de: Wie oft haben sich The Charlatans dabei verlaufen?
Tim Burgess: Einmal, vor sechs Jahren mit unserer Platte “Up At The Lake”. Da klangen wir wie Vorruheständler und hoffen, dass dieser Eindruck nicht erneut aufkommt – vor allem jetzt nicht.
Interview + Text: Marcus Willfroth
Vö: 10.09.10
Label: Cooking Vinyl/Indigo
Tracklist:
01. Love Is Ending
02. My Foolish Pride
03. Your Pure Soul
04. Smash The System
05. Intimacy
06. Sincerity
07. Trust In Desire
08. When I Wonder
09. Oh!
10. You Can Swim
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