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Neue Wege im Alleingang

Vor etwa einem Jahr ließ Victoria Bergsman die Bombe platzen. Während eines Krankenhausaufenthaltes verkündete die Sängerin der Concretes ihren Ausstieg. Nun meldet sich die schüchterne Skandinavierin mit ihrem neuen Projekt Taken By Trees zurück und auch The Concretes waren ohne ihre Frontfrau im Studio aktiv. Zeitgleich erscheinen die neuen Werke. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

Keine Atempause

Victoria Bergsman ist die verkörperte Schüchternheit. Interviews sind einfach nicht ihr Ding, Konzerte ebenfalls nicht und noch viel weniger die Demokratie innerhalb einer Band. “Ich sah viele von meinen Ideen mit den Concretes nicht mehr umsetzbar. Die Chemie zwischen uns hat einfach nicht gestimmt in der letzten Zeit und deswegen sah ich den einzigen Ausweg für mich darin, einem neuen Projekt meine Aufmerksamkeit zu schenken!” Das Ergebnis nennt sich Taken By Trees und ihr Debüt hat sie schlicht “Open Field” betitelt. Der Sound ist stark reduziert, minimalistisch und grenzt sich klar von ihren gemeinsamen Popsongs mit den Concretes ab. Man könnte fast meinen, sie sei der Philosophie “weniger ist mehr” gefolgt! Victoria: “Das stimmt in gewisser Weise auch. Trotzdem hatte ich kein derartiges Konzept während der Aufnahmen verfolgt. Es ging mir bei ‚Open Field’ eher darum, all die Ideen in die Tat umzusetzen, welche innerhalb der Band auf taube Ohren stießen.” Sagt’s und schweigt. Lange, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

In die Stille hinein stelle ich ihr die Frage, ob sie sauer sei, dass die Concretes unter gleichem Namen weitergemacht haben? Ein Schulterzucken und ein leichtes Lächeln sind die ersten Reaktionen bevor eine Antwort folgt. “Das kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen. (lange Pause) Manchmal habe ich mich allerdings wirklich gefragt, warum ändern sie nicht ihren Bandnamen? Ich bin schließlich nicht mehr dabei und ein neues Gewand wäre vielleicht ein besserer Start für die Band gewesen. Andererseits habe ich die Concretes mit meinem Ausstieg auch sehr stark belastet.” Wohl war, denn die Zurückgebliebenen wussten lange nicht, wie es mit ihnen weitergehen soll und wollten die Concretes eigentlich auflösen. Warum es nicht zu diesem Schritt kam, erklärt im Folgenden Lisa Milberg, Gründungsmitglied und neue Sängerin der Concretes.

Wundenheilung im Krankenhaus

Lisa Milberg ist so ziemlich das genaue Gegenteil von Victoria Bergsman. Interviewfragen zum Split sind herzlich willkommen. Tabuthemen gibt es für sie nicht und wenn wir im Interview kein Wort über das neue Concretes-Album “Hey Trouble” verlieren, “ist das gar kein Problem”.

Ich würde dich bitten, mir die Situation einmal aus deinem Blickwinkel zu erklären. Was war für dich der Auslöser für die Trennung von Victoria?
Lisa: Dazu führten viele Umstände. Aber der entscheidende Punkt war unsere Amerikatour im letzten Sommer. Wir waren kaum ein paar Tage unterwegs und plötzlich wurde das gesamte Band-Equipment gestohlen. Dann saßen wir da, tagein, tagaus nur in unserem Tourbus. Diese Situation ist Victoria sehr nahe gegangen und wir mussten sie in ein Krankenhaus einliefern.

Es folgten die schlimmsten Tage in Lisas Leben, wie die Wahllondonerin erklärt. Jeden Tag sei die Band ins Krankenhaus gegangen und dann wieder in den Nightliner der Band zurück. Diese Situation war für alle sehr Kräfte zehrend: Nicht nur die eigene Sängerin lag im Krankenhaus, sondern auch die erhoffte Abreise wurde dadurch unmöglich gemacht. Die Lage spitzte sich mehr und mehr zu.

Wann kam das entschiedene Gespräch, indem Victoria euch von ihrem Ausstieg bei den Concretes unterrichtete?

Lisa: Dies geschah noch im Krankenhaus. Wir hatten sie am dritten, oder vierten Tag besucht und sie bat uns, wir mögen sie ziehen lassen. Das war für viele das endgültige Aus der Concretes und auch in den nächsten Tagen waren wir fest davon überzeugt, die Band komplett stillzulegen. (überlegt) Die Tour brachen wir deswegen sofort ab. Es gab keine weiteren Konzerte.

Wie geschah es dann plötzlich, dass auf eurer Webpage verkündet wurde, die Concretes seien wieder im Studio?
Lisa: Die Monate danach waren nicht einfach. Eigentlich war ich die Einzige, die den Glauben an die Concretes nicht verloren hatte. Also setze ich mich an meinem Schreibtisch und schrieb einige Songs. Ob sie mit der Band umgesetzt werden würden, wusste ich damals natürlich nicht. Ich schickte sie den anderen per E-Mail und die Antworten ließen lange auf sich warten. Zu meiner eigenen Überraschung waren die Reaktionen dann doch sehr positiv und so langsam fügte sich wieder ein Element zum anderen.

Auch an dich die Frage: Habt ihr nach der Trennung von eurer Sängerin jemals darüber nachgedacht, den Namen zu ändern?

Lisa: Das war das größte Thema, keine Frage. Erst wollten wir unter neuem Namen weitermachen, doch dann spürten wir, dass die Songs super zu den Concretes passen würden. Deswegen spielten wir sie ein und horchten beim Ergebnis auf unser inneres Gefühl. Bei mir war jenes mehr als positiv!

Dass die Concretes ihr Album “Hey Trouble” getauft haben, hat viel mit der jüngeren Vergangenheit zu tun. Obwohl die Songs das Thema “Victoria Bergsman” höchstens indirekt aufgreifen, zeigt gerade der Titel, dass die Band für dieses famose und zuckersüße Pop-Album einige Federn lassen musste. “Ich habe mich beim Schreiben der Songs auch immer wieder gefragt, wie soll das weitergehen? Wird das mit uns Verbliebenen klappen? Können wir bzw. ich als Sängerin Victorias Fehlen wirklich ersetzen? Fragen, die uns alle zum Titel inspiriert haben”, erklärt Lisa Milberg sehr entspannt und ergänzt energisch, dass die einzelnen Songs nicht von der Amerikatour und den Folgen handeln würden. Ob dies stimmt, liegt im Auge des Betrachters. Fest steht jedoch, dass beide Bands sich um die eigene Zukunft keine Gedanken machen müssen und irgendwann sicher auch entspannter auf das Geschehene zurückblicken können.

Was zählt, ist der direkte Vergleich.

Stellt sich abschließend nur noch die Frage, wie die beiden Acts nach knapp einem Jahr Trennung übereinander und über ihre neuen Platten denken!

Lisa Milberg über Taken By Trees “Open Field”:
“Ich habe lange versucht den neuen Songs von Victoria aus dem Weg zu gehen. Nicht weil ich sie hasse oder so! Ich wollte mich einfach auf mein eigenes Songwriting konzentrieren und gar nicht wissen, was Victoria macht. Aber inzwischen habe ich ein paar Songs von ‚Open Field’ gehört und die gefallen mir sehr. Auf der einen Seite erinnern sie mich natürlich immer noch an die Concretes, andererseits sind die Tracks schon sehr unterschiedlich zu unseren neuen Songs. Ganz ehrlich, ich mag die Sachen wirklich!”

Victoria Bergsman über The Concretes “Hey Trouble”:
“Einige Stücke der neuen Concretes-Platte habe ich bereits hören können. Allerdings möchte ich dazu nichts sagen. Tut mir leid, aber da wäre jegliches Statement von mir völlig fehl am Platz!”

Trotz der Verschwiegenheit haben beide Alben das, was man im Fachjargon gemeinhin als kommerzielles Potenzial bezeichnet. Deshalb gibt es weder für die Concretes, noch für Victoria Bergsman Grund zur Sorge. Denn eines ist nach beiden Gesprächen sicher: Selten war das Ergebnis einer Trennung musikalisch so vorzüglich!

Interviews + Text: Marcus Willfroth

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