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Interview

The Dream – alt-j im Interview

Vor einer Woche erschien ‘The Dream’. Alt-j und motor.de haben über das neue Album gesprochen.

Geplant war das Interview in Berlin, aber unter allgemein bekannten Umständen wurde es ins Internet verlegt. Das war schade, aber auch gut, sonst wären die Jungs nicht ganz so fit gewesen (that’s what they said). Nachdem wir uns ein bisschen über unsere Zimmerpflanzen ausgetauscht haben, haben Joe und Gus mir ein bisschen über ihre letzten Jahre erzählt und wie dabei ‘The Dream’ entstanden ist – noch so ein Corona-Album. Denn gerade als sie 2020 nach einer Pause wieder zusammen kamen, um an einem neuen Album zu basteln, schlug die Pandemie zu.

Die Platte klingt typisch alt-j mit vielen schönen Songs und ziemlich guten, teils etwas düsteren Lyrics. Auf dem Cover des neuen Albums ist ein setsam graues Wesen, das verträumt schaut. Um was für einen Traum es sich handelt, was Joe und Gus am meisten vermissen und was sie machen würden, wenn sie nicht alt-j wären haben sie mir im Interview erzählt:

motor.de: Wie ist es euch in den letzten paar Jahren ergangen?

Joe: Wir kamen 2018 von der Tour, und ich glaube, wir wollten alle eine Weile nicht an Musik denken. Und so verbrachten wir 2019 damit, uns wieder mit Freunden und Familie und uns selbst zu verbinden. In dieser Zeit habe ich angefangen, ein bisschen zu schreiben. Eigentlich komisch [zu Gus]: Ich habe euch das noch nicht erzählt, aber als wir 2018 fertig waren, habe ich drei, vier Monate lang überhaupt keine Gitarre in die Hand genommen. Das passiert normalerweise nicht. Ich spiele immer Gitarre, einfach weil es schön ist und es entspannt. Aber da nicht. Ich hatte eine Abneigung dagegen.
Ich glaube, das liegt daran, dass, wenn man so viel tourt und so lange in dieser bestimmten Welt ist, das seinen Tribut fordert. Das merkt man nicht unbedingt, bis die Tour zu ende ist. Deshalb haben wir auch so lange pausiert.

Gus: Ich meine, in Bezug auf Corona… Nach einem Jahr Pause hatten wir alle das Gefühl: Lasst uns ein neues Album machen! 2020 – ein neues Jahrzehnt. Großartig. Und dann – innerhalb weniger Wochen – waren wir wieder zu Hause, mehrere Monate lang, und konnten nicht wirklich arbeiten.

Joe: Beim Musikmachen stimmt die Chemie zwischen uns und das übernimmt sozusagen die Kontrolle. Und so geht das Schreiben eigentlich relativ schnell. Also haben wir die sechs Wochen [vor dem Lockdown] mit etwa drei Songs abgeschlossen. Und wir fühlten uns ziemlich gut dabei.

motor.de: Denkst du, dass ihr nach der Pause mehr Energie hattet?

Joe: Ich denke schon. Weil keine Erwartungen an dich als Band gestellt werden: die ganze Welt schaut auf die Pandemie. Ich denke, es hat uns einfach erlaubt, das zu tun, was wir normalerweise tun – nur ohne Zeitplan – nämlich drinnen bleiben, in der Horizontalen, fernsehen und dann ab und zu eine Gitarre in die Hand nehmen.

motor.de: Gab es einen Zeitpunkt, an dem ihr gedacht habt: Vielleicht ist es jetzt zu vorbei mit dem Projekt? Oder hattet ihr immer im Sinn, weiterzumachen?

Joe: Wir wussten, dass wir zu diesem Zeitpunkt an einem wirklich guten Album arbeiteten. Ich glaube, es wäre verrückt gewesen, aufzuhören.
Aber es ist verrückt; ich habe jetzt das Gefühl, dass das Touren vielleicht nie wieder ganz dasselbe sein wird. Ich weiß es nicht. Das ist vielleicht ein bisschen negativ von mir, aber es fühlt sich so schwer an, es sich vorzustellen, so wie die Dinge im Moment laufen. Wird es wieder eine Zeit geben, in der man einfach einen Gig in Japan spielen kann und dann in ein Flugzeug nach Australien steigt und dort einen Gig spielt und dann direkt nach Amerika fliegt? Und vielleicht ist das eine gute Sache. Offensichtlich trägt das zu einer ziemlich katastrophalen Umweltsituation bei. Vielleicht wäre es also gut für uns, wenn wir weniger Flugmeilen auf unserem Namen hätten. Aber gleichzeitig wäre es schade, denn ich liebe es, auf Tournee zu gehen, und ich liebe die Tatsache, dass wir vor Fans in der ganzen Welt spielen können. Und es ist sehr aufregend, zu reisen und all diese Dinge zu tun.

motor.de: Das neue Album besteht aus vielen verschiedenen Songs, würdet ihr sagen, dass es ein bestimmtes Thema gibt?

Gus: Ich habe neulich ein Interview gegeben und jemand sagte: ‘Also geht es auf diesem Album um den amerikanischen Traum. Weil es viele Songs über Amerika gibt und es heißt the Dream‘. Ich fide das eine interessante Theorie. Darüber haben wir zwar nicht gesprochen, aber ich will nicht sagen, dass das falsch ist. ‘The Actor’ ist ein Lied über den Hollywood-Traum, der schief geht. Ich glaube nicht, dass das auf alle Songs zutrifft, aber es ist ein bisschen wie eine persönliche Reise mit Höhen und Tiefen.
Es ist nicht so, dass wir uns hingesetzt und versucht hätten, das Album als eine zusammenhängende Geschichte zu schreiben. Aber ich denke schon, dass viele dieser Songs von seltsamen Ereignissen im Leben eines Menschen handeln. Vielleicht in einer etwas willkürlichen Reihenfolge, die dann im letzten Stück des Albums vom ersten Moment der jungen Liebe handelt. Es ist also sicherlich keine chronologisch kohärente Sache. Aber ja, ich habe das Gefühl, dass man bei vielen unserer Alben ein bisschen das Gefühl hat, dass man kleine Fenster öffnet und immer in eine andere Welt oder Geschichte hineinschaut. Ich erinnere mich noch daran, dass ich das auch über ‘Relaxer’ gesagt habe, und ich denke, es trifft auch auf dieses Album zu.

motor.de: Ich habe gelesen, dass du dich auch von Kriminalgeschichten inspirieren lässt.

Joe: Ja, es gibt einen Podcast, den ich mir oft anhöre. Er heißt ‘my favorite murder’ in dem zwei Comedians jede Woche über einen neuen Mord sprechen. Die Chemie zwischen den beiden stimmt einfach und sie haben so eine Art schamlose Faszination für die dunklen menschlichen Seiten. Das ist etwas, das mich sehr fasziniert. Ich glaube, einige der Berichte in den Geschichten haben mich beeindruckt. So bin ich dazu gekommen, über den Tod von Menschen zu schreiben.

motor.de: Was würdet ihr sagen, ist der düsterste Track auf dem Album?

Gus: Es gibt einen sehr brutal traurigen und bewegenden Song namens ‘Get Better’. Aber ich würde nicht sagen, dass das der düsterste Song auf dem Album ist. Ich glaube, dass ‘Philadelphia’ ein ziemlich düsterer Song ist. Würdest du zustimmen?

Joe: Für mich ist ‘Chicago’ ziemlich düster, zweideutig: Es geht um einen Bruder und eine Schwester, die wandern gehen und einer von ihnen stürzt in den Tod. Man hört entweder der Hauptfigur zu, die in den Tod stürzt, oder der Hauptfigur, die ihre Schwester oder ihren Bruder in den Tod stürzen sieht. Es ist eine Art verwirrende Erzählung, die sehr ähnlich ist, wie wenn man mal in Ohnmacht gefallen ist. Wenn man ohnmächtig wird und wieder zu sich kommt, ist man so verwirrt, dass man nicht merkt, dass man selbst das Subjekt dessen ist, was einem widerfahren ist. Und auf diese Weise verwirrt zu sein, darum geht es in ‘Chicago’. Aber der Track ist auch sehr düster weil, als ich ihn geschrieben habe, ging es um mich und meine Schwester. Es ist diese sehr verwirrende Art, jemanden zu verlieren oder eine Situation zu durchleben, in der man bald verloren ist und man nichts mehr zurücknehmen kann. Und alles vergessen und für immer ist. Es ist dieses wirklich seltsame Spiel zwischen tiefer, tiefer Verwirrung und Verlust.

‘Chicago’ ist übrigens mein Favourite vom neuen Album


motor.de: Es klingt, als hättet ihr in dieser kurzen Zeit viele verschiedene Themen und Gefühle zu verarbeiten gehabt.

Gus: Nun, die Themen tauchen einfach auf und man arbeitet sie in den Song ein. Und je nachdem, was ich gemacht habe, hätte ich auch einfach einen ganz anderen Song schreiben können. Wenn ich zu dieser Zeit ein Buch gelesen hätte, hätte ‘The Actor’ nicht von jemandem handeln müssen, der um eine Rolle in einem Film kämpft und Kokain verkauft. Es hätte auch von der Beziehung einer Person zu ihrer Mutter in den 50er Jahren handeln können oder so.

motor.de: Was ist der Traum für das kommende Jahr?

Joe: Dass wir wieder so leicht touren können wie vor der Pandemie. Die Realität ist, dass wir einfach nicht wissen, wie leicht es sein wird.

motor.de: Eine ganz andere Frage: Was würdet ihr tun, wenn ihr nicht Musik machen und Musiker sein würdet?

Gus: Mhh, hast du eine Antwort?

Joe: Ich hatte schon immer eine Antwort. Ich denke, ich würde ein lokaler Naturschützer sein, der mit Tieren arbeitet. Vielleicht würde ich so etwas machen wie Otter auszuwildern; sie von einem See, der durch eine Baustelle ruiniert wurde, zu einem See bringen, der geschützt ist. So etwas würde ich machen und ich hätte Watthosen an und würde mit den Einheimischen reden. Ich hätte wahrscheinlich einen stärkeren Akzent vom Land…

Gus: Du hast viel darüber nachgedacht! Ich denke ich wäre vielleicht Lehrer oder würde vielleicht für die Regierung arbeiten, in irgendeinem nicht sehr aufregenden Job. Öffentlicher Dienst oder so. Wenn ich jetzt mit der Musik aufhören würde, würde ich wahrscheinlich etwas im Gastgewerbe machen. Meine Frau und ich reden oft darüber, ein Haus auf dem Land zu kaufen und eine Art Hochzeits-Campinggeschäft zu betreiben. Ich weiß nicht, ob es so etwas gibt. Das macht mir Spaß.

motor.de: Habt ihr noch einen Fun-Fact über die Band?

Joe: Ich habe einen. Also über mich: Ich bin 2013 einmal geflogen und mein großer Zeh wurde ganz seltsam: Es hat sich angefühlt wie Nadelstiche in meinem Zeh, und das ging fünf Jahre lang nicht weg. Jetzt ist er wieder in Ordnung.

Gus: Er ist bereit für einen weiteren Flug.

Hoffen wir, at-j können bald auf Tour gehen und dem Zeh passiert nichts.

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Katharina Blum

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