Wer über Zugang zum Internet verfügt und ein gewisses Interesse an britischem Pop hat, dürfte in den letzten Monate kaum an ihnen vorbeigekommen sein: Mit Songtiteln wie “Waiting For Pete Doherty To Die” erhitzten The Indelicates aus dem Seebad Brighton die Blogs, für Art Bruts Eddie Argos ist das Duo plus drei gar die derzeit beste Band Englands.
Unter anderem war das britische Seebad Brighton bislang bekannt als: Rentner-Oase, Refugium vermögender Rockstars wie Nick Cave, Schwulen-Paradies, Ausflugsziel stressgeplagter Großstädter und nicht zuletzt als “Naherholungsgebiet” für die Freizeitexperimente kampftrinkerprobter Wochenend-Partygäste aus London. Letzteres bekanntermaßen heilige Tradition seit jenem berüchtigten Montag im Mai 1964, als Hunderte Rocker und Mods ein langes Party-Wochenende in Brighton in einer gigantischen Massenschlägerei kulminieren ließen – hinreichend dokumentiert in The Whos “Quadrophenia”.
In jüngerer Zeit aber hat es verstärkt Szene-Auguren und Trendforscher ins alte Seebad verschlagen. Bands wie die Kooks, The Pipettes, Blood Red Shoes, The Go! Team oder The Maccabees machen die Stadt in diesen Tagen zur Indie-Trendmetropole Nummer eins. Und auch der jüngste Brit-Hype, Bat For Lashes, kommt ja aus der Südküsten-Enklave. Die Erklärung, warum sich ausgerechnet in einem außerhalb der Saison eher öden Nest wie Brighton mit seinen gerade einmal rund 250.000 Einwohnern eine derart agile und gut vernetzte Szene entwickeln konnte, ist, wie meistens in solchen Fällen, relativ simpel und vorwiegend wirtschaftlicher Natur: Die Mieten sind, zumindest im Vergleich mit London, bezahlbar, durch die Abwesenheit jedweder Attraktionen können sich die Musiker auf das Wesentliche konzentrieren: die Musik.
Video zur aktuellen Single: Sixteen
Auch der aufgrund seiner leicht teigigen Figur nur bedingt Pop-Star-taugliche Simon Indelicate, der damals natürlich noch nicht Simon Indelicate hieß, schenkt der Hatz nach dem schnöden Mammon nicht viel Beachtung und schlägt sich mehr schlecht als recht als Theaterautor und Dichter durchs Leben, als er 2005 die Dokumentarfotografin und Halbösterreicherin Julia kennen lernt. Selbige war eben bei der All-Girl-Truppe The Pipettes ausgestiegen und nun auf der Suche nach einer neuen musikalischen Herausforderung. Mit Simon teilt sie die Vision von einer Band, die ähnlich wie das US-Duo Dresden Dolls, theatralische Elemente integrieren sollte, um so den Bogen weit über das im Pop übliche Maß hinaus zu spannen. Zusammen mit Ed van Beinum (Drums), Kate Newberry (Bass) und Al Clayton (Gitarre) macht sich das Duo schon bald an die Realisierung dieses Vorhabens. Innerhalb kürzester Zeit wird ihre solchermaßen gegründete Band The Indelicates mit provozierenden Song-Titeln wie “Waiting For Pete Doherty To Die” zum vieldiskutierten Star der Blog-Communities, eine typische Web 2.0-Karriere nimmt ihren Lauf.
Witzigerweise stößt der vor bissigem Sarkasmus und süffisanter Ironie triefende, aus einer middle class-Perspektive dargebotene, sehr britische und nicht selten an Großmeister des Fachs wie Pulp erinnernde Kabarett-artige Pop der Band mit Piano-Passagen und lieblich perlenden Smiths-Gitarren ausgerechnet im Herkunftsland bisweilen auf Unverständnis. Für die Doherty-Nummer gab’s von erbosten Pete-Jüngern haufenweise Hass-Mails, während der Song anderorts als das verstanden wurde, was er ist: eine bittere Kritik an der zynischen Sensationslust der Yellow Pages. Die Babyhambles-Musik finden Simon und Julia sogar gut. Ganz und gar nicht verwunderlich indes, dass derartiges Treiben Chef-Zyniker Eddie Argos auf den Plan rief: Man denkt schon an Art Brut noch bevor man weiß, dass Argos sich bei jeder Gelegenheit als glühender Fan der Truppe outet, die er jüngst ja auch mit auf Deutschland-Tour nahm.
Bis dahin hatten The Indelicates mit der EP “The Last Significant Statement To Be Made In Roch’n’Roll” bereits einen weiteren Beweis ihrer Potenz erbracht, aktuelle Singles wie “Sixteen” oder “Julia, We Don’t Live In The Sixties” erweiterten das Spektrum der Anti-Pop-Stars. Anlässlich letzterer Belehrung veranstalteten die Indelicates einen öffentlichkeitswirksamen Protestmarsch durch London, den sie bei dieser Gelegenheit gleich für das dazugehörige Video festhielten. Natürlich blieb so viel Getrommel auch der Industrie nicht lange verborgen: Im August unterschrieb die Truppe endlich den lange verdienten Plattenvertrag, ohne den es für kleine Bands auch im Jahre 2007 nicht geht. Im März 2008 erscheint nun das sehnsüchtig erwartete Debüt, das die Indelicates wohl endgültig in die vorderste Reihe der etwas anderen Indie-Szene Brightons katapultieren wird. Wir finden: zu Recht!
Text: Michael Jäger
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