Diskurse auslösen hat bei Joy Formidable oberste Priorität. Und am Besten stößt man die Hörer erstmal vor den Kopf, wie es „Wolf’s Law“ getan hat. Und dennoch sollte man ihnen zuhören.

(Foto: Mick Nite)

Nach dem Senkrechtstart mit ihrem Debüt-Album, auf das aufverkaufte Konzerte und Shows im Vorprogramm von Muse und den Foo Fighters folgten, brauchten die drei Waliser Ritzy, Rhydian und Justin erstmal Zeit zum nachdenken, sammeln und reflektieren. Gott und die Welt, oder besser der Mensch und die Natur waren dabei die Kernthemen und das Resultat glatt eine zweite Scheibe. Viele mag es verschreckt haben, dass „Wolf’s Law“ nicht ein weiteres „The Big Roar“ geworden ist, sondern seinen eigenen Weg geht. Denn trotz aller Reflexion, gehen The Joy Formidable vor allem geradeaus. Motor.de hat eine sehr selbsbewusste Band mit einer gehörigen Portion Risikobereitschaft getroffen, die man so heute kaum noch findet – Von „Playing-It-Safe“ keine Spur.

motor.de: So ihr habt ein neues Album am Start und es ist sehr überraschend, wie stark es sich von eurem Debüt unterscheidet.

Ritzy: Ja, es ist auf jeden Fall anders, worüber wir sehr froh sind. Es sind jetzt etwa knapp 18 Monate seit dem ersten Album vergangen, da wäre irgendwas total schief gelaufen, wenn wir genau die selben wären wie zuvor. Wir mögen die Weiterentwicklung in dem Album. Es ist aufgeschlossen und in Bewegung. Wir sind die gleiche Band, aber probieren neue Kombinationen von Instrumenten aus und versuchen neue Mischungen und Stimmungen zu finden.

motor.de: Also keine Angst vor dem schändlichen zweiten Album, nachdem „The Big Roar“ so immense Aufmerksamkeit erhalten hatte?

Rhydian: Wir mögen es die Leute herauszufordern. Und es ist nur natürlich für einen Musiker, zu wachsen und die verschiedenen Sachen, die man erlebt auf eine neue Art zu verarbeiten, als zuvor. Man muss bereit sein, die Konsequenz daraus zu ziehen. Wir haben Herz und Seele in jeden Song gesteckt und wenn die Leute wahre Fans sind, werden sie das verstehen. Wir mögen Bands, die es geschafft haben, sich von Album zu Album zu entwickeln, ansonsten wird es irgendwie vorhersehbar und langweilig – auch für einen selbst. Wir wollen auch nicht die ganze Zeit darübr nachdenken, was für eine Band wir sind oder sein wollen. Darunter leidet nur dein kreativer Output. Wir wollen unseren Schaffensprozess genießen.

motor.de: Wenn man „Wolf’s Law“ so hört, bemerkt man, dass die Songs viel ruhiger sind als bei „The Big Roar“, aber ihre Intesität im Verlauf den Albums steigt. Habt ihr bewusst so herausgearbeitet?

Rhydian: Wir finden, dass „das Album“ an sich ein großartiges Format ist, das man als Gesamtwerk aufbauen kann. Wir wollten nicht nur 12 Singles irgendwie aneinanderreihen, wo es egal ist, mit welchem Song man beginnt. Man versteht das Album nicht, wenn man es nicht im Ganzen hört. Wir sehen es so, dass Musik auf verschiedensten Ebenen intensiv sein kann. Das erste Album ist daher auf eine andere Art intensiv als jetzt das Zweite. Ich denke „The Big Roar“ war musikalisch agressiver, „Wolf’s Law“ ist es hingegen textlich. Es ist ein Album, dass vom Text angetrieben wird.

motor.de: Worauf bezieht der Titel „Wolf’s Law“?

Ritzy: Es ist ein wissenschaftlicher Begriff (eigentlich „Wolff’s Law“ Anm. d. R.), der sich darauf bezieht, wie Knochen sich an bestimmte Belastungsstärken anpassen können. Und auf dem Album treffen sich Wissenschaft und Natur. Die Natur bietet so viele Metaphern darauf, wie man sein Leben lebt, eine Art Lebensphilisophie mit der man überall die Parallelen ziehen kann.

Rhydian: Es hat verschiedene Bedeutungen. Das Album handelt viel vom Zurückfinden zu sich selbst, zu anderen, zur Natur – der Heilung von verschiedensten Beziehungen. Nach „The Big Roar“, wo wir im Auge des Sturms waren, in dem immer viel zerbricht, geht es uns hier eher um Besinnung und Heilung. Wir haben uns daher auch mit traditioneller Musik der amerikanischen Ur-Einwohner beschäftigt und ihre Symbole aufgegriffen. Daher der Bezug  auf den Wolf, der ein ziemlich faszinierendes Tier ist und in verschiedensten Kulturen anders gedeutet wird.

motor.de: Ihr habt das Album ja auch zum Großteil in der Natur geschrieben?

Ritzy: Ja, wir sind für eine Woche abgehauen in eine kleine Hütte. Kein Kontakt zur Außenwelt. Kein Handy oder Internet oder ähnlicher Quatsch. Es war so befreiend – das komplette Gegenteil zum turbulenten Touralltag. Wir konnten gar nicht schnell genug die Songs fertigschreiben, so viel Druck hatten wir uns selbst gemacht, diese Platte aufzunehmen. Es hat uns aufgefressen. Und das war unser Ort an dem wir uns aus dem Sturm zurückziehen und in Ruhe arbeiten konnten.

The Joy Formidable – “This Ladder Is Ours”


motor.de: Im Video zu „This Ladder Is Ours“ werdet ihr dagegen aber in einer Hütte vom Sturm heimgesucht?

Ritzy: Wie eigentlich viele der Songs, vermittelt auch „This Ladder Is Ours“ die Stimmung, dass du gegen dich, gegen andere oder gegen die Gesellschaft in den Kampf ziehen musst. Das symbolisiert der Stum im Video. Diese unbändig scheinende Umwelt. Aber genauso endet das Video auch mit Hoffnung und Optimismus, dass du diesen Sturm vertreiben kannst.

motor.de: Seint als würdet ihr viel auf euer Leben und eure Musik reflektieren.

Ritzy: Wir reflektieren mit unserer Musik. Es geht vor allem um den Diskurs – so geht man einfach mit allen Wendungen des Lebens um. Man braucht das zynische Element, worauf der Name The Joy Formidable auch hinweist. Es geht nicht nur darum, dass alles voller positiver Energie ist. Das geht gar nicht, ohne dass man ein Auge auf die Dunkelheit hat. Alles ist grau.

Rhydian: Und wir gehen ziemlich agressiv damit um. Wir wollen durch diesen Diskurs eine Verbindung zu anderen Menschen aufbauen. Darum spielen wir Konzerte. Wir haben verdammt nochmal was zu sagen! Uns kommt es vor als würde es für Menschen immer schwerer ihre Mauern einzureißen, die sie sich aufbauen. Wir wollen das Gegenteil forcieren und nicht, dass die Leute sagen: „Oh ja wir haben da dieses Konzert angesehen.“ So ein Erlebnis muss dich inspirieren. Das ist unser Ziel.


Interview: Matthias Ziegenhain
Text: Tim Hoppe

Foto: Mick Nite